Neue Verhandlungen am kommenden Dienstag, 10.11.2009 in Ankara

Interview mit Kuryakos Ergün, Stiftungs-Vorsitzender von Mor Gabriel, zu den Dauerprozessen um das syrisch-orthodoxe Kloster

Anlässlich seines Deutschlandbesuches Ende September sprach die Reporterin für Menschenrechte Marianne Brückl in Gütersloh mit dem Vorsitzenden der Klosterstiftung Mor Gabriel Kuryakos Ergün (Foto). Thema waren die andauernden Prozesse um das syrisch-orthodoxe Kloster sowie die Situation der Assyrer/Aramäer im Tur Abdin. Am Dienstag sollen nun in Ankara die Prozesse um Mor Gabriel fortgeführt werden.

Nachdem der für den 30. September 2009 angesetzte Gerichtstermin in Ankara verschoben worden war, sollen jetzt die Berufungsverhandlungen im Streit um den Grundbesitz des Klosters am kommenden Dienstag, den 10. November, stattfinden. Für den 02. Dezember ist dann das bisher ausgesetzte Strafverfahren wegen des Mauerbaus gegen den Stiftungsvorsitzenden des Klosters in Midyat angesagt.

Das 397 n. Chr. erbaute Kloster gilt als christliches Zentrum und Weltkulturerbe. Es ist in Gefahr, das gleiche Schicksal zu erleiden, wie viele andere christliche Stätten vor ihm. So dient beispielsweise die berühmte Hagia Sofia heute als Moschee-Museum.

http://de.wikipedia.org/wiki/Hagia_Sophia

mb: Herr Ergün, Sie waren nun seit Beginn der Gerichtsprozesse bereits mehrfach in Deutschland. Wie intensiv haben die deutschen Medien bisher die Möglichkeit genutzt, um über die Situation Mor Gabriels mit Ihnen persönlich Gespräche zu führen?

K.E.: Was die deutschen Medien wie z.B. ARD, ZDF, 3-Sat oder auch den österreichischen Sender ORF betrifft, wurde etwas gemacht. 3-Sat hat eine Dokumentation gedreht, mit ARD und ZDF haben auch Interviews stattgefunden. Im Großen und Ganzen ist das Interesse aber viel zu gering, was die Situation unseres Klosters betrifft. Gerade bei der großen Demonstration im Januar in Berlin war es sehr schade, dass hier die deutschen Medien, wie ARD und ZDF nicht anwesend waren und dass dazu nichts öffentlich im deutschen Fernsehen ausgestrahlt worden ist. Von daher ist das schon wirklich enttäuschend. Ganz kurz gefasst, waren und sind die deutschen Medien einfach zu desinteressiert. Es hätte von dieser Seite viel mehr kommen müssen.

mb: Sehen Sie grundsätzliches Desinteresse an der Problematik der Christen in muslimischen Ländern?

K.E.: Das Resümee für die deutschen Politiker ist sehr positiv, aber was die Berichterstattung in den Medien angeht, ist das eher negativ. Es ist zu wenig Information, die hier rüberkommt.

mb: Müsste Ihrer Meinung nach dieses Thema noch mehr in den Europäischen Gremien behandelt werden?

K.E.: Wir beobachten, dass Politiker in Europa und insbesondere die deutsche Regierung die Angelegenheit „Christentum im Tur Abdin“ mit der Türkei sehr engagiert lediglich im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen erörtert. Das ist nicht sehr viel, aber dennoch erfreulich, da wir auf diese Weise möglicherweise zu mehr Rechten kommen.

mb: Die Prozesse um Mor Gabriel wurden immer wieder vertagt, erst kurz vor den EU-Wahlen fiel dann eine positive Entscheidung. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

K.E.: Der Grund dafür, dass die Prozesse immer wieder vertagt worden sind, liegt mit darin, dass immer wieder irgendwelche Papiere gefehlt haben und der Anwalt der Gegenseite ständig neue Dokumente verlangt hat. Darum mussten immer wieder neue Termine anberaumt werden. Aber wie die Europäer darüber denken, das kann ich nicht beurteilen.

mb: Nach den EU-Wahlen wurden die Verhandlungen negativ entschieden. Wie beurteilen Sie diese Gerichtsentscheide und was werden Sie tun, wenn in Ankara erneut gegen das Kloster entschieden wird?

K.E.: Seitens Europa wurde der Wunsch geäußert, für den künftigen EU-Beitritt der Türkei eine positive Lösung in Bezug auf das Kloster zu finden.

Angesichts der Rechtslage in der Türkei einschließlich der uns bisher bekannten Urteile in entsprechenden Forstangelegenheiten hatten wir bereits die Befürchtung, dass die Verhandlungen nicht zu Gunsten des Klosters ausgehen würden. Sollte die Entscheidung in der Türkei endgültig negativ für Mor Gabriel ausfallen, dann beabsichtigen wir, uns an den Europäischen Gerichtshof in Straßburg zu wenden. In Midyat ist die Entscheidung gegen das Kloster ja bereits gefallen und in Ankara hat das Kloster Widerspruch eingelegt. Wir warten also noch auf die Antwort aus Ankara.

mb: Trotz Engagement von Politikern und Menschenrechtsorganisationen aus ganz Europa gab es im Juni die negativen Urteile. Hätte noch mehr Einsatz zu einem anderen Resultat führen können?

K.E.: An dieser Stelle möchte ich mich zuerst einmal herzlich bei all denjenigen bedanken, die uns bis jetzt unterstützt haben beim Erhalt des Klosters Mor Gabriel als ein Zentrum der Christen und auch Weltkulturerbe. Wenn Politiker uns noch mehr unterstützt hätten, dann wäre das sicherlich von Vorteil gewesen.

mb: Prozesse wie dieser sind in der Regel sehr kostenintensiv. Es wird behauptet, das Kloster verfüge über sehr viel Geld, um dem finanziellen Druck ohne weiteres Stand zu halten. Stimmt das so?

K.E.: Zunächst möchte ich sagen, dass es nicht stimmt, dass das Kloster über viele finanzielle Mittel verfügt. Es steckt auch keine Industrie dahinter, die hier unterstützen würde. Wir leben ausschließlich von Spenden der Gläubigen. Nur weil wir gutmütig und herzvoll sind im Kloster heißt das nicht, auch wenn es so rüberkommt, dass wir reich und wohlhabend sind. Wir sind zwar wohlhabend an Liebe, aber nicht an Materialismus.

mb: Wie hoch waren bisher die Kosten für den Prozess?

K.E.: Bis dato wissen wir nicht, wie viel der Prozess bisher verschlungen hat. Die uns bisher entstandenen Anwaltskosten haben Spender übernommen, denen ich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausdrücken möchte.

mb: Worin sehen Sie das größte Problem für die Assyrer im Tur Abdin?

K.E.: Ein großes Problem sind die Fehler, die im Katasteramt gemacht worden sind und zu dem ganzen Streit geführt haben.

mb: Wie wirkt sich das auf das Zusammenleben der christlichen Assyrer und der muslimischen Bevölkerung im Tur Abdin aus? Gibt es da Spannungen, die sich in Gewalt äußern?

K.E.: Weder zwischen den Assyrern und den Kurden gibt es Probleme, noch zwischen Assyrern und Arabern, und zwischen Assyrern und Türken ebenfalls nicht. Untereinander haben wir keine Probleme. Das Problem sind eher vereinzelte Gruppen. Wir als Christen möchten dort in Frieden mit den anderen Völkern leben.

mb: Wie hoch sind die Chancen für eine Entscheidung zu Gunsten des Klosters Mor Gabriel?

K.E.: Ich würde sagen, die Chancen für eine positive Entscheidung liegen bei etwa der Hälfte, also bei 50 Prozent.

mb: Welche Konsequenzen hätte eine Niederlage im Berufungsverfahren für die gesamte Belegschaft des Klosters und auch für die christliche Bevölkerung im Tur Abdin?

K.E.: Wir möchten erst gar nicht daran denken, dass wir diese Verhandlung verlieren. Wenn wir diese Verhandlung aber doch verlieren sollten, dann haben wir mit sehr vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Und was danach geschieht, das wissen wir noch nicht. Das kann man noch nicht abwägen.

mb: Das Volk der Assyrer ist vielen Europäern kaum bekannt. Entweder gibt es nur „die Christen“ oder „die Muslime“. Was müsste denn Ihrer Meinung nach geschehen, um Ihr Volk als ethnische Minderheit der Öffentlichkeit nahe zu bringen, hier wie auch in den muslimischen Ländern?

K.E.: Was das betrifft, ist es mehr eine Aufgabe der Akademiker, sei es z.B. der europäischen aber auch der türkischen und auch der ganzen Welt, sei es auf politischer wie auch auf historischer Ebene. Sie sollten sich viel mehr um dieses Thema kümmern und das auch entsprechend in der Öffentlichkeit präsentieren. Diejenigen Menschen, die jetzt nicht diese akademische Bildung haben, wie beispielsweise die, die vor 30 Jahren in die Diaspora gekommen sind, waren einfach froh, von dort wegzukommen. Sie gehen heute arbeiten, so wie sich das eben gehört. Normalerweise ist es aber auch deren Aufgabe, etwas über sich zu sagen. Natürlich, wenn sich jemand mit diesem Thema befasst, dann wird auch gesagt, dass dieses Volk seit mehr als 5000 Jahren dort in Mesopotamien ansässig ist, auch dass die Wurzeln der Assyrer dort sind.

mb: Seit 2- 3 Jahren sind Dörfer in den nahegelegenen Izlo-Bergen von Waldbränden betroffen. Können Sie mir dazu etwas sagen?

K.E.: Die Dörfer in den Izlo-Bergen sind nicht erst seit 2 bis 3 Jahren betroffen, sondern das Ganze geht schon seit 10 Jahren so. In den Izlo-Bergen befinden sich ausschließlich nur unsere Volksangehörigen. Unsere Leute haben dort Weinberge, Ackerböden und Anbaugebiete. Es ist ein sehr fruchtbarer Boden. Durch die ganzen Brände, wo auch die ganze Ernte zerstört wird, wird es immer schwieriger zu leben und die Menschen bekommen Angst. Auch die Rückkehrwilligen. Sobald die Leute sehen würden, dass dort Frieden herrscht, wäre das Verlangen noch stärker, in die Heimat zurückzukehren.

mb: Glauben Sie, dass es in Zukunft für die Assyrer möglich sein wird, in ihrer Heimat unbehelligt zu leben und dort die assyrische Kultur zu bewahren?

K.E.: Zunächst, wir als Volk haben unsere Wurzeln dort, ob wir wollen oder nicht. Viele ziehen nach Europa und haben sich dort ansässig gemacht, aber wir sind die Ureinwohner Mesopotamiens. In Europa oder auch Deutschland findet z.B. Unterricht in der assyrischen/aramäischen Muttersprache statt. In der Türkei ist dies nicht möglich. Es gab zwar in letzter Zeit dort einige Änderungen, aber das reicht nicht.

mb: Möchten Sie zum Abschluss den Menschen gerne noch etwas mit auf den Weg geben?

K.E.: Ich erwarte von jedem Menschen, der die Menschen achtet, der den Christen positiv gegenüber steht, dass er sich für die Belange von Mor Gabriel einsetzt.

Nicht nur Christen, sondern allgemein auch alle anderen Völker, alle anderen Glaubensrichtungen, sollten das Interesse zeigen, um positive Entscheidungen zu bewirken.

Dieses Kloster sollte man auch als eine Brücke zwischen Nahem und Mittlerem Osten einerseits und zwischen Nahem Osten und der westlichen Welt andererseits betrachten. Das Kloster ist ja sozusagen ein Sternpunkt dieser Völker, dieser unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, dass Sie das Interesse hatten, das Interview zu führen. Ich möchte mich auch bei Ihnen persönlich wie auch der Organisation CSI dafür bedanken, dass Sie den Christen im Tur Abdin eine unterstützende Hilfe sind.

mb: Ich darf mich auch ganz herzlich bei Ihnen bedanken, Herr Ergün, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Vielen Dank!

Von Marianne Brückl
2009-11-08

 

 

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