Ich wollte eigentlich assyrisch (türk. Süryanice) sprechen; da es jedoch nicht die Möglichkeit der Simultanübersetzung gibt, möchte ich in einer anderen Sprache sprechen. Ich möchte nicht Deutsch oder Englisch sprechen, da es nicht unser primäres Ziel ist, dass die Europäer bzw. die Amerikaner den Völkermord anerkennen. Das Ziel ist die Türken, die Kurden und die Muslime vom Genozid zu überzeugen; deshalb werde ich Türkisch sprechen.
Der Auftakt der [Massaker der Jahre] 1915 bzw. 1895 geht bis auf das Jahr 1071 zurück. 1071 ist das Jahr der Schlacht bei Manzikert, das heutige Malazgirt. Bis 1071 lebten Assyrer [1], Armenier, Griechen und Georgier im byzantinischen Reich. Mit der islamischen Eroberung drangen Moslems in die Region. Eigentlich ist die Frage der [islamischen] Invasion und der Eroberung nicht etwas, was der Vergangenheit angehört. Eroberer werden im türkischen Fatih genannt. Es gibt eine Reihe von Moscheen in Deutschland die Eroberer (Fatih) Moschee heissen [2]. Ich denke, dass eine sogar in Berlin steht. Denn diese Ideologie ist noch präsent. Deshalb sehe ich es als wichtig [meine Ausführungen] mit dem Jahr 1071 zu beginnen.
Um mit 1071 anzufangen: Wie sah unser Land im Jahre 1071 aus? Kleinasien, Armenien, die Pontus Region und natürlich Mesopotamien. Zunächst einmal ist festzustellen, dass in diesen Regionen hochzivilisierte Städte existierten. Einer der ersten großen Städte, welche die Türken in der östlichsten Provinz der Türkei besetzten, war die heutige Stadt Erzurum. Wie sie wissen, bezeichnen die Armenier diese Stadt mit einem anderen Namen, während die Griechen sie Theodosiopolis nannten. Nach der Eroberung nannten sie die Türken Erzurum. Erzurum bedeutet im Arabischen das Land der Römer [Rum]. Rum bezeichnete zu jener das Oströmische Reich. Bis heute bezeichnet Erzurum eine türkische Provinz.
Unsere Heimat hat als Land eine sehr wichtige Rolle in der Weltgeschichte gespielt. Als ich die Grundschule besuchte, lehrte man uns, dass alle Menschen Anatoliens aus Zentralasien stammen; dies wurde anhand einer Migrationskarte veranschaulicht. Wie geschah dies? Die Stadt Midyat, in der ich geboren und aufwuchs, hatte eine Besonderheit. Nach der Zeit des Völkermordes von 1915 war sie die einzige türkische Stadt, in der mehrheitlich Christen lebten. In unseren Schulen gab es keinen einzigen Türken. Auch lebte in Midyat kein einziger Türke. Die Schüler waren entweder Assyrer oder Kurden, oder aber arabisch-sprachige Moslems, die wir als Mahallemi bezeichnen.
Die Frage ist nun: Werden wir die Geschichte der Herkunft aus Zentralasien akzeptieren oder unsere eigene Geschichte lernen? Für die Türken und den Kurden ist dies ein sehr wichtiger Aspekt. Denn, wenn wir die Entwicklung aus heutiger Sicht betrachten, heißt es: Ein Völkermord hat stattgefunden. Wie lösen wir die Probleme der jetzt im Tur-Abdin verbliebenen 2500 syrisch-orthodoxen Assyrer? Es leben [etwa] 60 000 Armenier in Istanbul; dazu gibt es etwa 3000 Griechisch-Orthodoxe, zumeist ältere Menschen. Was wird aus deren Problemen – und auch aus denen der Minderheiten?
Ich möchte zunächst einen Punkt deutlich machen: Wir sind keine Minderheit. Im Jahre 1910 betrug der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung des heutigen Gebiets der Türkei 40 Prozent. Wenn es zu jener Zeit eine Minderheit gegeben hat, dann war es die türkische Minderheit.
Des Weiteren ein Hinweis zur Frage des Türke Seins. Hier wird wiederholt von Türken gesprochen. Sait Çetinoğlu [3] ist beispielsweise Lase (türk. Laz). Meines Erachtens ist jemand ein Türke, wenn er sich dazu bekennt. In der Türkei gibt es [u.a.] auch Moslems aus Bulgarien. Jeder zählt als Türke, wenn er sich als solcher bezeichnet. Wenn wir jedoch die Statistik der Türken im Jahre 1910 berücksichtigen, dann waren die Türken eine Minderheit.
Seit dem Jahr 1071 bezeichnen wir Assyrer den Völkermord als Sayfo. Sayfo bedeutet Schwert im assyrisch-aramäischen. Warum sagen wir Sayfo? Im Jahre 1915 wurden die Assyrer nicht mit dem Schwert sondern durch Feuerwaffen getötet. Doch während der leidvollen Geschichte der Assyrer hat das islamische Schwert eine entscheidende Rolle gespielt, weshalb mit Rückblick darauf die Assyrer die Massaker und den Völkermord als Sayfo bezeichnen. Deshalb glaube ich, dass wir den Beginn dieser Entwicklung mit dem Jahre 1071 verbinden müssen.
Nun, wenn heute in Kolumbien oder in Peru jemand behauptet, dass die Konquistadoren [die spanischen Eroberer – A.d. Ü.] kamen, um seine Vorfahren zu befreien, dann wird er in eine Irrenanstalt gesteckt. Solches wird andauernd als offizielle Staatsdokrin in der Türkei kommuniziert. Es wird unterstellt, als ob diese Länder vor 1071 Wüstenlandschaften waren.
Wie war das Land im Jahre 1071? Ich möchte kurz über die Geschichte unseres kleinen Landes sprechen. Gegenwärtig gibt es die Stadt Amasya, die ursprünglich eine griechisch-pontische Stadt war. Wessen Heimat ist Amasya? Sie ist die Heimatstadt eines der weltweit ersten und größten Historikers und Geographen Strabo [4]. Woher stammt Herodot? Er kommt aus der ehemals griechischen Stadt Halikarnas in der Ägäis, heute als Bodrum bezeichnet. Auch weiß ich nicht woher der kurdische Name Adiyaman kommt. Diese Städtenamen sind erfunden. Samosata war eine antike Stadt nahe bei Adiyaman [5]. Dort lebte der berühmte Lukian von Samosata. Von Lukian, der im 2. Jahrhundert nach Christus lebte, sind 70 Bücher überliefert. Seine Bücher sind heute im Internet zu finden. Nun sollen wir als das ignorieren, dürfen das nicht erzählen und müssen die [türkische] Geschichte Adiyamans anerkennen. Ein erfundener Name.
Lassen Sie mich dies fortführen. Wer ist die berühmteste historische Persönlichkeit in der Welt, die aus der heutigen Türkei kommt? Wenn Sie mich fragen ist es jemand, der in Tarsus lebte. Paulus von Tarsus. Wenn Sie heute zu den Fidschi Inseln oder zu den Inuits gehen, haben die Menschen dort das Christentum angenommen. Jeder kennt Paulus von Tarsus. Es ist unser Landsmann. Er hatte eine der bedeutendsten Rollen bei der Etablierung des Christentums. Wir sind die Nachkommen jener Kultur.
Betrachten wir die Stadt Urfa. Im klassisch syrisch-aramäischen wurde sie Urhoy genannt. Die Griechen bezeichneten sie als Edessa. Bar Daisan (Bardesanes), ein Philosoph, lebte im 2. Jahrhundert [n. Chr.] dort. Oder auch unser Hl. Ephrem, der auch in Nusaybin lehrte. Er schrieb im 4. Jahrhundert über 40 000 Verse [in der klassisch-syrischen Sprache]. Beide sind weltweit bekannt. Sollen wir diese Tradition und diese Geschichte ablehnen und jemanden glauben, der behauptet, dass wir aus Zentralasien kommen oder dieses Land Kurdistan ist? Übrigens, die byzantinische Geschichte ist nicht eine mündlich überlieferte Geschichte, sondern sie ist eine geschriebene Geschichte. Wo lebten die Kurden während des byzantinischen Reiches? Im Reich gab es keine Kurden; sie lebten östlich des Zagros Gebirges. Nun, diese Fakten sollen nicht ausgesprochen werden, stattdessen sollen wir die Legende erzählen, dass wir aus Zentralasien kommen. Mit dem Hinweis auf die blonden Haare und blaue Augen Mustafa Kemals werden wir auch sagen, dass wir aus Türkmenistan kommen! Werden wir diese Lügen weiterführen oder die Wahrheit vorziehen?
Ich hatte vorhin die Bezeichnung Minderheiten ablehnend angesprochen. Des Weiteren möchte ich betonen, dass wir keine Nicht-Muslime (gayri-müslüm) sind. Der Begriff Nicht-Muslime stellt für uns eine Beleidigung dar. Nicht-Muslim bedeutet ja, dass es einen normalen Typ von Menschen gibt, die Moslems sind, und einen anormalen Typ von Menschen, die eben Nicht-Muslime sind. Nun weiß jeder, dass die Buddhisten keine Muslime sind. Was habe ich [als Christ] mit den Buddhisten gemeinsam? Doch in der Türkei, selbst in intellektuellen Kreisen und auch bei den linken Intellektuellen werden die Begriffe nicht-muslimische Minderheit bzw. Minderheiten häufig benutzt. Man hat [über die Jahrhunderte] die Leute dezimiert, so dass als Folge davon wenige übriggeblieben sind, um sie danach als Minderheit zu bezeichnen und zu beleidigen.
Dialog ist eine gute Sache. Ich möchte das an meinem Werdegang ein wenig schildern. Ich bin Türkisch ausgebildet worden. Ich besuchte die normale türkische Grundschule – nicht eine armenische oder assyrische Grundschule. Danach besuchte ich die türkische Mittel- und dann die Oberschule. Ich habe das gelernt, was man uns gelehrt hat. Deshalb ist mir eine Feindschaft zum Türkentum fremd. Denn ich bin mit Türken gemeinsam aufgewachsen. Was die Kurden angeht, so bin ich in Midyat aufgewachsen. Ich spreche auch Kurdisch.
Wir haben [vorhin] die Frage der Eroberung angesprochen. Es gibt ein [weiteres] Problem. Das ist das Dhimmitum [6]. Die Muslime haben die Welt in Regionen eingeteilt. Es gibt die Moslems als die Besitzer der einen wahren Religion. Als zweites gibt es die „Leute des Buches“ (arab.: ah-lul-kitab). Das sind die Christen und die Juden. Diese Leute des Buches sind Dhimmis. Wenn sie die Jizya, die sog. islamische Schutz-Steuer zahlen, ihren Kopf neigen, wenn sie einen Moslem sehen, werden sie toleriert. Nun, ich bin kein Feind der Türken, und auch kein Feind der Kurden. Wie die Türken bzw. Kurden, bin ich ebenso ein Mensch. Alle Rechte die sie haben, sollte ich ebenso in Anspruch nehmen können, wenngleich sogar etwas mehr, da ich Einheimischer dieses Landes bin, während sie als Besatzer in das Land kamen. Das ist, was ich denke. Das Dhimmitum ist keinesfalls akzeptabel.
Solange wir die Frage der Christen vom Völkermord, von der islamischen Eroberung und vom Konzept des Dhimmitum trennen, werden wir zu keiner [gemeinsamen] Lösung gelangen. Ich bin ein optimistischer Mensch. Optimist zu sein heißt aber nicht, dass wir morgen sehr gut miteinander auskommen werden. Leider kenne ich die Türken und Kurden zu gut. Denn ich bin unter ihnen aufgewachsen. Ich kenne ihre Sprache. Wenn wir einen Dialog aufbauen sollen, kann dieser Dialog nicht auf [historische] Lügen aufgebaut sein. Sait [Çetinoğlu, mein Vorredner [7]] ist ein liebenswerter Mensch, ich schätze ihn. Sait wird sagen, dass ich auch nett bin und so würde ein Dialog entstehen. Das ist der falsche Weg für einen Dialog; dieser führt Nirgendwohin. Meines Erachtens müssen die geschichtlichen Wahrheiten offen angesprochen werden. Um die historischen Fakten zu erfahren, müssen wir, wie mein Freund darauf hingewiesen hat, bei den Jahren 1071 bzw. 1895 beginnen.
Ich möchte auch etwas anderes erwähnen, um die Pontus-Griechen zu loben. Wir als Assyrer und die Armenier haben gegen den Islam keinen großen Widerstand geleistet; die Pontus-Griechen und die Lasen (türk.: Laz) haben bis zum letzten Tropfen ihres Blutes Widerstand geleistet und verloren. Danach mussten sie sich [zum Islam] bekennen und viele von ihnen la ilaha illallah rufen.
Seit 1980 war ich der Vorsitzender einer kommunistischen Partei in der Türkei. Dort hatten wir im Bezug auf den Völkermord an den Assyrern und Armeniern einen Beschluss gefasst, der die Ereignisse als Schandfleck für die Türken und Kurden bewertete; dem Beschluss hatten vierzig Personen zugestimmt. Die Delegierten in Istanbul kamen im Geheimen zusammen. Zu jener Zeit gab es niemand in der Linken Szene, der sich mit der Frage [des Genozids] beschäftigte. Die vordergründige Frage war der Klassenkampf; [für die meisten] machte es keinen Sinn sich mit solchen Aspekten zu beschäftigen. Gott sei Dank, gibt es mittlerweile mehr als ein paar Freunde, die darüber reden.
Des Weiteren beschäftige ich mich im Moment mit einem Projekt, das dem ähnelt, womit sich dieser Westarmenien Kongress beschäftigt. Wir haben einen Verein der Armenier, Assyrer-Aramäer, Pontos-Griechen, Yeziden, Lasen, Koçgiri, Dersim- und arabische Aleviten gegründet; abgekürzt AGADEKA. Ich bin der Ehrenvorsitzende des Vereins. Der Vorstandsvorsitzende des Vereins hat eine Grußbotschaft geschickt, die wir hier verlesen können. Wahrscheinlich ist dies die allererste Kooperation ihrer Art in Deutschland, welche die Völker, die den Völkermord erlitten haben mit anderen nicht-christlichen Völkern, wie den Yeziden und Aleviten, zusammenbringt. Die Assyrer, Armenier und die Griechen hatten einige Zusammenarbeit, aber soweit ich mich erinnere wurde diese nicht auf die Aleviten und Yeziden ausgeweitet. Außerdem sind die Yeziden unsere Brüder und Nachbarn und unsere Schicksale sind eng miteinander verbunden. Sie wurden erst vor kurzem Opfer vom Genozid im Irak. Auch in dieser Hinsicht teilen sie unser Schicksal.
Unter armenischen Freunden existierte früher die Sicht, dass die Führer des [jungtürkischen] Komitees für „Einheit und Fortschritt“ (İttihat ve Terakki Cemiyeti) keine Muslime gewesen wären und sie keine Sympathien für den Islam hätten. Daher hätte der Islam beim Völkermord von 1915 keine Rolle gespielt. Das Komitee für Einheit und Fortschritt war jedoch türkisch-nationalistisch. Es ist wahr, dass das Komitee nicht sehr religiös war, jedoch waren sie Gauner. Doch den Genozid von 1915 hätte es nicht gegeben ohne den Islam. In unserer Region haben alle Gemetzel mit dem Ruf „la ilaha illallah, Muhammad resul Allah“ gestartet. Das ist allzu bekannt. Solche [einseitigen] Sichtweisen wollen sagen: Türkische Nationalisten sind schlecht, Muslime sind gut. Umgekehrt könnte man sagen: Die Kemalisten sind säkular und deshalb keine Unmenschen. Meines Erachtens tragen beide Verantwortung.
Ich bin mir nicht sicher, ob andere Redner dies angesprochen haben. Das wichtigste Merkmal des im Jahre 1920 etablierten [türkischen] Parlaments ist die Apartheid, wie sie in Südafrika existierte. Im Jahre 1920, lebten noch etwa 300 000 Armenier in der Türkei, die den Völkermord überlebt hatten. Dazu gab es etwa 200 – 250 000 Assyrer verschiedener Konfessionen. Vor dem Bevölkerungs-Austausch mit Griechenland gab es auch etwa zwei Millionen Griechisch-Orthodoxe. Keines dieser Volksgruppen war im Parlament vertreten. Was für eine Wahl war das? Bei der Eröffnung des ersten osmanischen Parlaments, dem sogenannten Meclis-i Mesbusan, das im Jahre 1876 zusammentrat, sprachen etliche armenische und griechische Abgeordnete im Parlament in ihrer eigenen Sprache. In Kontrast dazu, beginnt die Eröffnung des Parlaments am 23. April 1920 mit dem Koran. Dies war das Parlament des säkularen Mustafa Kemal.
Im Jahre 1876 stand der Koran nicht im Vordergrund. Wenn wir diese historischen Wahrheiten in Betracht ziehen, ist es unmöglich das Türkentum vom Islam zu trennen. Denn Türke zu sein bedeutet nicht der türkischen Nation anzugehören. In der Türkei gibt es bulgarische Muslime, Albaner und Bosnier. Dazu gibt es Völker aus dem Nordkaukasus, die als Tscherkessen bezeichnet werden. Darunter fallen z.B. die Abchaser und Tschetschenen. All diese Volksgruppen werden als Türken bezeichnet. Doch allen gemeinsam ist der Islam. Es ist daher kein Wunder, dass viele von den Pontus Griechen als die besten Muslime sprechen. Trotz Konvertierung zum Islam sprechen einige noch griechisch. Umgekehrt heißt dies, dass die Menschen, von denen behauptet wird sie seien aus Zentralasien gekommen, keine bedeutende Rolle im Türkentum jemals gespielt haben. Sie haben nie das Land regiert. Ich kenne zumindest keine schlitzäugige Person in den türkischen Regierungen, sie kommen alle aus den erwähnten Volksgruppen.
Wenn wir im Zusammenhang mit dem Jahr 1071 über die Lasen sprechen, so stellen wir fest, dass die Lasen bis zum Jahre 1500 Christen waren. Ein Historiker der Lasen hat in Istanbul Recherchen betrieben. Er untersuchte die Steuerbücher der Lasen Region. Die osmanischen Steuerregister existieren noch. Darin steht, wer, was bzw. wieviele Schafe oder Ziegen jeder hatte. Im Jahre 1500 war die ganze Region der Lasen christlich. Die Namen der Leute waren entweder Hristo (Christof), Yorgo (Georg) oder Dimitri. Ich weiß nicht ob Lambro vorkommt.
Die Bevölkerung der Christen reduziert sich im Jahre 1500 um die Hälfte. Im Jahre 1600 ist die Mehrheit der Bevölkerung bereits muslimisch. Die Behauptung dieser osmanischen Register ist, dass diese Menschen im 16. Jahrhundert Muslime geworden sind. Einige junge Las Freunde recherchierten weiter. Eine AKP geführte Gemeinde hat sogar ein Buch veröffentlicht, um zu belegen, dass die Lasen gute Muslime sind. In dem Buch gibt es zwei wichtige Tatsachen: Erstens, im Jahre 1840, d.h. noch nicht so lange her, wurde die allererste Moschee dort gebaut. Zweitens, der erste arabische Schriftzug auf einem Grabstein ist vom Jahre 1797. D.h., dass diese Menschen zwischen 1600 und 1800 offensichtlich als Christen weitergelebt haben. Wie kann man ohne Moschee ein Moslem sein? Von da an wird mit der Urbevölkerung der Pontos-Griechen die Islamisierung vorangetrieben. Wenn wir uns aber zur Geschichte zurückwenden, so müssen wir die Zeit um 1071 besonders beachten.
Es kann weiterhin behauptet werden, dass die Türken eben als Sieger kamen und wir nichts tun könnten. Sicherlich kann man die Welt so betrachten. Der Stärkere hat recht. Ich teile diese Ansicht nicht. Ich denke, dass die erste Moschee in Trabzon etwa im Jahre 1480 eröffnet wurde. Aber woher sollte man einen Imam für die Moschee herbringen? Der erste Imam der Moschee war ein Kurde. Denn in dieser Zeit waren die Kurden bereits Muslime. Dies mag den kurdischen Freunden gefallen oder nicht.
Ich möchte auch aus Sicht der Assyrer zum Völkermord Bezug nehmen. In unserem Land leben keine Türken. Somit ist auch kein Türke da, der uns zusetzen könnte. Meine Großeltern und die Geschwister meines Großvaters wurden während des Genozids getötet. Mein Großvater kannte die Mörder, da seine Angehörigen vor seinen Augen ermordet wurden. Es sind unsere kurdischen Nachbarn gewesen. Er kannte sie. Gott sei Dank wurde er 95 Jahre alt. Sie konnten nicht alle vernichten.
Und noch etwas: Möglicherweise haben die Türken viele Armenier getötet. Doch in unserer Region gibt es keine Türken, die uns hätten töten können. Was haben die Türken in Hakkari zu suchen? Selbst heute gibt es keine Türken in Hakkari. Der Anteil der nestorianischen Assyrer in Hakkari betrug im Jahre 1915 30-40 Prozent. Gegenwärtig leben dort etwa 45 Assyrer. Nun, ohne diese Wahrheiten auszusprechen, sollen wir uns in einem Chor einreihen und sagen, dass wir alle die Kinder eines Landes sind, dass wir die gleichen Speisen essen und so weiter. Das führt zu nichts.
Ein Vorredner zuvor hat das ebenso gesagt; die Griechen, die Armenier und die Süryanis, da dieser Begriff im türkischen häufig benutzt wird und ich damit natürlich die Assyrer und die Chaldäer meine, stehen den nicht-muslimischen Aleviten und Yeziden am nächsten. Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten. Sie wurden zumindest im gleichen Maße wie wir unterdrückt. Zum Beispiel waren die Aleviten im 16. Jahrhundert einem Völkermord ausgesetzt. Basierend auf einer Fatwa [8] wurden während des Völkermordes sowohl ihr Besitz als auch ihre Frauen zur freien Beute. Es gibt offizielle staatliche Fatwas. Deshalb konnten zweihundert Jahre lang keine Aleviten in der Stadt leben. Aus diesem Grunde sind sie unsere engsten Verbündeten.
Was die Türken und Kurden angeht, möchte ich betonen, dass wir selbstverständlich mit ihnen im Dialog sein werden solange sie als Demokraten agieren und uns respektieren. Aber wir wissen, dass dies keine sehr einfache Aufgabe ist. Sie sind nicht ehrlich zu uns; in unserer Gegenwart sagen sie etwas, während sie in unserer Abwesenheit ganz was anderes behaupten.
Ein Beispiel dazu: Zuvor möchte ich erwähnen, dass ich es bedauere, dass Selahattin Demirtaş [der Vorsitzender der HDP] gegenwärtig im Gefängnis sitzt. Seine Inhaftierung ist zu verurteilen.
Wie unser Freund Sait Çetinoglu erwähnt hat, äußerte sich Abdullah Öcalan einst zum Thema Islam und sagte, dass der „Islam tausend Jahre Frieden in die Region gebracht hat.“ Wir kritisierten diese Aussage. Die Armenier kritisierten dies auch. Nach der Kritik äußerte sich Selahattin Demirtaş. Seine Antwort darauf war, dass die Kurden „den Türken nicht in Cihangir begegnet“ sind. Cihangir ist ein Stadtteil in Istanbul. „Wir trafen uns im Jahre 1071 und haben diese Länder zu unserer Heimat gemacht,“ sagte er. Sie kommen und besetzten unser Land und Rühmen sich noch dessen! Er sagt, dass sie sich nicht in Cihangir begegneten. Selbst wenn er zu einer anderen Gelegenheit etwas anderes sagt, ist diese seine Aussage für uns von großer Bedeutung. Es gibt viele solche Äußerungen.
Selahattin Demirtaş hat einen Bruder, der Nurettin Demirtaş heisst. Dieser ist im Hauptquartier der PKK im Irak. Er ist der Vorsitzender der Menschenrechtsvereinigung IHD (Insan Hakları Derneği). In einer Rede sagte er vor kurzem, dass die „Armenier im vergangenen Jahr nach Hakkari gingen, sich dort als türkische Soldaten verkleideten und die Kurden töteten. Danach kleideten sie sich als kurdische Guerilla und töteten türkische Soldaten“. Nicht dass die Armenier nicht einmal mit Verkleidung nach Hakkari kommen, es ist unmöglich nach Hakkari überhaupt hineinzugelangen. Bisher hat er zu den Aussagen nichts gesagt. Wie erwähnt, er war wohl auch Vorsitzender der Menschenrechtsvereinigung.
Ohne diese Fakten im Auge zu behalten, ist es für uns unmöglich gemeinsam von einer türkisch-kurdischen Brüderschaft zu sprechen. Ich komme von einer kommunistischen Bewegung, welche die Brüderlichkeit der Völker propagiert hat. Auch die Sowjetunion hat von der Brüderlichkeit der Völker gesprochen. Kaum Zerfiel die Sowjetunion, da haben wir gesehen wieweit es mit der aserbaidschanisch-armenischen Brüderlichkeit stand. Brüderschaft kann nicht auf Prahlerei basieren. Wir müssen gerecht sein. Gegenwärtig sind die Türken und Kurden stark. Akzeptiert. Aber wenn wir Recht und Gerechtigkeit fordern, müssen wir zu den Fakten zurückzukehren.
Anmerkungen
Die Rede ist von Toros Sarian aufgenommen und auf AssyriaTV zu sehen. Die Transkription ins türkische wurde von Yilmaz Demir durchgeführt und hier veröffentlicht.
[1] Die Bezeichnung Assyrer steht hier als Synonym für Chaldäer, Syrer und Aramäer (A.d.Ü.)
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Fatih-Moscheen
[3] Sait Çetinoğlu leitete das Penal der Konferenz
[4] Geb. 63 v. Chr: starb 23 n. Chr.
[5] Die Ruinen sind mittlerweile durch den Atatürk-Stausee überflutet
[6] Der Begriff leitet sich ab von Dhimmi (aus dem Arabischen für Schutzbefohlener) und Sklaventum. Das Konzept des Dhimmitums ist eine Wortschöpfung für die Unterwerfung von Nicht-Muslimen durch Muslime.
[7] Die Rede von Sait Çetinoğlu ist verfügbar auf AssyriaTV.
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