Es soll hier nicht ausführlich auf die Geschichte der Entstehung und Entwicklung der ADO sowie alle Formen ihres Widerstandes und ihres Kampfes für die Erhaltung der Existenz, der Identität des assyrischen Volkes und seiner legitimen nationalen Rechte eingegangen werden, doch sei an einige Fakten erinnert, um die assyrische Nationalbewegung in ihren geschichtlichen und geopolitischen Zusammenhang zu stellen.
Zuallererst sei daran erinnert, dass es die assyrische Nationalbewegung lange vor dem Golfkrieg von 1991 gegeben hat – im Gegensatz zu einer Idee, die in geopolitischen Kreisen, die sich mit dem Nahen Osten befassen, weit verbreitet ist. Diese Bewegung entstand zur selben Zeit wie oder sogar noch früher als die nationalen Befreiungsbewegungen anderer Völker der Region (d. h. der Araber, Armenier, Kurden usw.). Richtig ist indes, dass dieser Krieg den Mantel des Schweigens zerrissen hat, der die assyrische Frage seit 1949 bedeckte (seit dem Jahr des letzten Protests der Assyrer bei und ihrer Petition an die UNO) und dass er der assyrischen Nationalbewegung zu neuer Dynamik verhalf und so eine zaghafte Rückkehr der assyrischen Frage auf die regionale und internationale Szene angebahnt hat. In der Tat „gibt es Kriege, die zerstören, aber den Lauf der Geschichte beschleunigen“ (Joseph Yacoub).
Nach dem Ende ihrer Staatsgebilde Ninive (August 612 v. Chr.) und- Babylon (Oktober 539 v. Chr.) verschwanden die Assyrer nicht als Nation, als Volk in Bewegung, sondern zerstreuten sich in den Regionen des Nahen Ostens: Die bedeutendste Gruppierung des assyrischen Volkes flüchtete in das mesopotamische Hochland, auf die entlegenen Höhen des Hakkari- und des Turabdin-Gebirges, während der andere Teil in die politisch-staatlichen Formierungen Persiens, Roms und Byzanz‘ eingegliedert wurde als unterdrückte ethnische Gemeinschaft, die nicht nur Diskriminierungen ausgesetzt, sondern auch von Vernichtung bedroht war.
Hieraus erklärt sich wahrscheinlich, dass die Assyrer schon im ersten Jahrhundert das Christentum angenommen haben. Mit anderen Worten, da sie ohne Staat waren und unterdrückt wurden, haben sich die Assyrer um ihre Kirche gesammelt, um sich vor der Vernichtung zu schützen. Daher ist die Kirche zum Kitt geworden, der die Nation zusammenhält – die wichtigste Besonderheit, welche die Entwicklung des assyrischen Volkes als ethnisch-religiöse Minderheit prägte. Seine weltliche Geschichte verschmilzt daher mit seiner religiösen Geschichte; deshalb nahm das assyrische Nationalbewusstsein oft eine religiöse Färbung an.
Die neuen Ideen von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten, setzten sich allmählich auch in der Intelligenzschicht der Völker dieser Region durch. Die ersten Pioniere der assyrischen Nationalbewegung spielten bei der Einigung und dem Wiederaufleben des assyrischen Nationalbewusstseins eine entscheidende Rolle: mit Hilfe ihrer Zeitungen und Zeitschriften, assyrischen soziokulturellen Vereinigungen und Schulen, die in diesen Regionen gegründet wurden.
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wechselten sich in der Geschichte des assyrischen Volkes Massaker, Verschleppungen, Verfolgungen und „Umsiedlungen“ innerhalb der Landesgrenzen statt.
Dann begannen die ersten Revolten und bewaffneten Aufstände dieses kleinen Volkes, das inmitten feindlicher Nationen isoliert, verlassen, verwundet und zerstreut war. Doch die Massaker und Völkermorde zu Beginn des Jahrhunderts (1914-1918) führten zu einer neuen Massenflucht, diesmal in Richtung Lateinamerika und Vereinigte Staaten, wo die Assyrian National Association (1915 in Jersey City) und die Assyrian American Association of Chicago (1917) gegründet wurden. Dies war der Beginn der Wanderungen des assyrischen Volkes in andere Länder.
In Mesopotamien dagegen organisierte sich die assyrische Nationalbewegung um den Patriarchen Mar Shimun XXIII. und General Agha Petros und beteiligte sich aufseiten der Alliierten aktiv am Krieg gegen das Osmanische Reich. Die aktive Mitwirkung der Assyrer an den Siegen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges fand bei der Regelung der politischen Fragen, an denen die Alliierten interessiert waren, keine Berücksichtigung und deren Versprechen einer nationalen Heimat für die Assyrer im Gebiet ihrer Vorfahren sollten nicht gehalten werden. Bei den Friedensverhandlungen von 1919 in Paris legte die assyrische Delegation ein Memorandum vor, das auf die Gründung eines assyrischen Staates abzielte, doch blieb ihr der Erfolg versagt. Der Vertrag von Sevres (1920) räumte den Assyrern Garantien und einen Schutz im Rahmen eines autonomen Kurdistan ein, aber der Vertrag von Lausanne (1923) bestätigte die republikanische Türkei als neue Macht – zum Nachteil der in der Diaspora zerstreuten Minderheiten.
Die Hoffnung auf eine nationale Heimat war enttäuscht, die diplomatischen Ballette der Jahre 1924 bis 1932, die das Schicksal der Assyrer im Irak betrafen, waren vergeblich: Alle Bemühungen zu dem Zweck, die Niederlassung der Assyrer als homogene Gruppe zu erreichen, scheiterten, da sie den Interessen der Großmächte zuwiderliefen. Damals ging es bei den Forderungen der assyrischen Nationalbewegung um drei Hauptideen: homogene Niederlassung, Verwaltungsautonomie und das Recht, Steuern zu erheben.
Von der Türkei und dem Irak verlagerte sich die assyrische Nationalbewegung nach dem Genozid vom August 1933 nach Syrien, in die Region von Ober – Djezireh, und breitete sich in den 40er Jahren in den Iran, nach Urmia, aus.
Nach all diesen Ereignissen erlebte die assyrische Nationalbewegung schließlich ein Jahrzehnt des Schweigens und der Abwesenheit auf der regionalen und internationalen Szene.
Beim politischen Wiederaufleben der assyrischen Nationalbewegung sind zwei Tendenzen zu unterscheiden: die in den Herkunftsländern und die in den Ländern der Diaspora gegründeten politischen Formationen.
Die Assyrische Demokratische Organisation (ADO), am 15. Juli 1957 in Ober – Djezireh gegründet, war die erste politische Formation. Ihr Programm enthielt folgende Ziele: das In – Erscheinung – Treten des Nationalbewusstseins im Rahmen einer organisierten politischen Aktion, den Appell an die Einheit aller Gemeinschaften, aus denen sich die assyrische Nation zusammensetzt, die Anerkennung der nationalen Existenz des assyrischen Volkes und seiner legitimen nationalen Rechte, die Demokratie als Prinzip der Koexistenz und des Zusammenlebens aller Völker dieser Region des Nahen Ostens. Die Gründung der ADO entsprach daher einem bestehenden Bedürfnis, indem sie ein nationales Vorhaben entwickelte, das die patriotischen Ambitionen und Bestrebungen des assyrischen Volkes widerspiegelte.
Diese Geburt war kein Zufallsergebnis, sondern die Folge der Verbreitung der nationalen Ideen, die von den ersten Pionieren wie Mar Shimun Benyamin (+1918), Fridoun Atouraya (+1918), Naom Faik (+1930), Farid Nezha (+1970) und anderen immer wieder vorgetragen und von einer Gruppe junger Intellektueller aufgenommen wurden, welche den verschiedenen Konfessionen des assyrischen Volkes entstammten. Tiefbewegt von den schweren Prüfungen, die ihr Volk erlitt, angetrieben von dem nationalen Erwachen, das die Völker der Region veranlasste, „organisierte“ patriotische Gruppen zu bilden, versammelten sie sich sofort zu einem Gründungskongress und nahmen ein „Fortschrittliches Programm“ und die Geschäftsordnung der ADO an.
So nahm der Parcours der nationalen Aktion eine neue Wendung, die durch ein Wiederaufleben des Nationalbewusstseins gekennzeichnet war, das eine Folge der intensiven Aktivitäten führender Persönlichkeiten der ADO in den verschiedenen politischen, kulturellen, sozialen und künstlerischen Bereichen war.
Daher nahm ihre Mitgliederschaft immer weiter zu und die Zahl ihrer aktiven Mitglieder vervielfachte sich und zwar auch in den Ländern der Immigration, die zu einer vollendeten Tatsache und einer Realität wurde, vor der man die Augen nicht verschließen konnte.
Die Diasporabewegung verstärkte sich in den 60er Jahren und den Assyrern wurde klar, dass ihr Exil andauern würde und die Diaspora künftig nicht rückgängig zu machen war. Deshalb organisierten sich die assyrischen Gemeinschaften der Diaspora, und zwar in der Assyrian Universal Alliance (AUA), am 10. April 1968 in Pau (Frankreich) gegründet, und der Beth Nahrin Democratic Party (BNDP), am 1. November 1976 in Chicago gegründet.
Auf Drängen der ADO schuf das assyrische Volk des Irak, das auf die Unterdrückung durch das irakische Regime reagierte, am 12. April 1979 die Assyrische Demokratische Bewegung (ADM). Ihre Forderungen lauten: Demokratie, vollständige Autonomie der Region Nordirak, friedliches Zusammenleben mit dem kurdischen Volk, Anerkennung der assyrischen nationalen Minderheit in der irakischen Verfassung und voller Genuss ihrer legitimen nationalen Rechte.
Es entstanden noch weitere politische Formationen, die indes schnell wieder verschwanden oder deren Wirkungsbereich geographisch begrenzt war.
Angesiedelt zwischen dem Pragmatismus der Forderungen der assyrischen Nationalbewegung in den Ländern des Nahen Ostens einerseits und den Zielen, welche die politischen und soziokulturellen Formationen der Diaspora großzügig verfolgen, andererseits, basieren die Forderungen der assyrischen Nationalbewegung auf folgenden drei GRUNDPRINZIPIEN der ADO:
Durch die Verfassung garantierte Anerkennung des assyrischen Volkes als eines unabtrennbaren Bestandteils des türkischen, des iranischen, des irakischen und des syrischen Staates.
Das assyrische Volk hat das Recht, in seiner Heimat zu leben und seine legitimen nationalen Rechte (u. a. religiöse, sprachliche, bürgerliche und politische Rechte) zu genießen, und zwar gleichberechtigt mit allen Völkern, die auf diesem Territorium koexistieren, in einem demokratischen, durch Gerechtigkeit und Gleichberechtigung gekennzeichneten Rahmen.
Die Forderung an die internationale Gemeinschaft (UNO, Europarat, Europäisches Parlament usw.) und die regionalen Regierungen (Türkei, Irak … ) nach Anerkennung ihrer Verantwortlichkeiten, was den Völkermord (Sayfo 1915) und die Massaker von 1933 betrifft.
Die Ausbreitung der ADO förderte -auch das Auftreten anderer assyrischer Parteien in den Einwanderungsländern sowie die Bildung von assyrischen Verbänden und Vereinigungen, die nach und nach zu bedeutenden Einrichtungen wurden. Tatsächlich sind heute in der Diaspora mehr als 10 Parteien, mehrere Verbände, ca. hundert Vereinigungen und Ausschüsse tätig, die eine Fülle von Zeitschriften veröffentlichen und nachstehende Ziele verfolgen:
Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung der mesopotamischen Kultur
Bewusstseinsschärfung des assyrischen Volkes für den kulturellen Reichtum seines tausendjährigen Erbes
Solidarität mit den assyrischen Gemeinschaften in den Herkunftsländern
Bekanntmachung des assyrischen Volkes durch seine Kultur, seine Zivilisation, seine Sprache und seinen Beitrag zum Erbe der Menschheit
aktive Mitwirkung an der Integration der assyrischen Gemeinschaften in ihre jeweilige neue Gesellschaft.
Heute, anlässlich der Feier dieses 45. Jahrestages, ist daran zu erinnern, dass das assyrische Volk immer noch unter absoluter Verunglimpfung seiner nationalen, kulturellen und sozialen Existenz leidet und ihm die Ausübung seiner elementarsten nationalen Rechte und Menschenrechte verweigert wird. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die schlechten Lebensbedingungen, die sich durch den Kontext der Instabilität und Unsicherheit in bestimmten Regionen des Nahen Ostens (vor allem im Irak) noch weiter verschlechterten, trieben außerdem eine große Zahl von Assyrern auf der Suche nach Freiheit und Sicherheit ins Exil.
Ein militärisches Abenteuer im Irak, zu dem die imperialistische amerikanische Ideologie verleiten könnte, birgt die Gefahr, die Kluft zwischen der arabischmuslimischen Welt und dem christlichen Okzident zu vertiefen. Niemand weiß, welche Folgen ein solches Unternehmen haben kann für diese Region, die bereits durch die Besetzung der palästinensischen Territorien durch die israelische Armee erschüttert ist. Eines ist jedoch sicher, dieser Krieg wird zu einer weiteren Etappe auf dem langen Leidensweg der orientalischen Christen werden.
Wenn es der ADO auch manchmal nicht möglich gewesen ist, bestimmte Ziele, die sie sich gesetzt hat, zu erreichen, und wenn sie im Verlauf ihres langen Kampfes Krisen durchlebt hat und auf Schwierigkeiten gestoßen ist, so hat sie ihren führenden Mitgliedern und den assyrischen Massen doch niemals ihre schwachen Punkte verheimlicht. Dies hat das in sie und ihre Aktion gesetzte Vertrauen gestärkt, denn ihre Grundziele waren es, die Interessen des assyrischen Volkes zu wahren und seine nationale und kulturelle Existenz zu erhalten.
Die ADO wendet sich heute feierlich an alle assyrischen Kräfte im Vaterland und in den Ländern der Immigration und fordert sie auf, ihre Reihen zu schließen und ihre Anstrengungen zu koordinieren, um die Existenz des assyrischen Volkes zu sichern und ihm legitime nationale Rechte zu verschaffen:
Mehr nationaler Zusammenhalt, mehr Brüderlichkeit und mehr Einvernehmen zwischen den, Völkern der Region, um Fortschritt und Wohlstand zu erreichen
eine stärkere Sammlung der assyrischen Kräfte zu einer nationalen Front, um die Hoffnungen und Bestrebungen des assyrischen Volkes zu verwirklichen, die auf sein Fortbestehen in Freiheit gerichtet sind.
Mit freundlichen Grüssen
Assyrisch Demokratische Organisation
Postfach 310 203
86063 Augsburg
Mail: ado@assyrien.de
Fax : 0821 / 42 63 52
www.ado-world.org
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