Das 20. Jahrhundert stellt den Höhepunkt der Verfolgung, des Völkermords und der Vertreibung der Assyrer dar und bedeutet den bisher schwersten Einschnitt in ihrer wechselvollen Geschichte. Die Ereignisse des Jahres 1915 sind als Jahr des Schwertes“ (Sayfo) in die Erinnerung der Assyrer eingegangen. Diese waren nicht vergleichbar mit den seit Jahrhunderten gewohnten Lebensverhältnissen der Unsicherheit mit den kurdischen Nachbarn.
Shato d Seifo heißt in unserer Sprache „Jahr des Schwerts“. Den Auftakt bildete das Schwert des Islams, nämlich die Ausrufung des Heiligen Krieges Jihad, der eine Vertreibung und Tötung der so genannten Ungläubigen legitimierte.
Drauf folgte die unterschiedslose Verfolgung aller Christen im Osmanischen Reich.
Die jungtürkische Regierung hatte den Plan der Vernichtung aller christlichen Bevölkerungsgruppen schon bald nach ihrer Machtübernahme gefasst. 1911 entwarf das Komitee für Einheit und Fortschritt“ auf dem Kongress in Saloniki das zukünftige Regierungsprogramm, in dem die Vorherrschaft der türkischen Rasse und der Aufbau des Reiches auf islamischer Grundlage die beiden ideologischen Säulen bildete.
Die Assyrer in Persien fielen den Gewalttaten des türkischen Militärs zum Opfer. In den Gebieten der heutigen Türkei wurden sie mit der Unterstützung der türkischen Machthaber von geistlichen und weltlichen Führern der Kurden erfolgt und ermordet. Viele starben auch auf der Flucht und während der Zwangsdeportationen.
Damals kamen laut Kirchenbüchern der assyrischen Christen ein Drittel, das heißt 500 000 der assyrischen Bevölkerung ums Leben. Nach armenischen Quellen starben 1,5 Millionen Armenier, dazu kam eine weitere Anzahl von Griechen, Juden und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften. Die zeitgenössischen Berichte und Dokumentationen von Pater Dr. Johannes Lepsius, Gründer der Deutschen Orientmission, belegen, dass die Armenierausrottung gleichzeitig eine Christenausrottung war, also auch die Assyrer betraf.
Dieser Genozid wird von der Türkei bis heute geleugnet. Öffentliche Äußerungen dazu werden, wie der Fall des Assyrischen Pfarrers der syrisch orthodoxen Kirche Akbulut zeigt, gerichtlich verfolgt. Jüngstes Beispiel sind auch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Beschluss der französischen Nationalversammlung vom 18. Januar 2001, den Genozid an den Armeniern offiziell anzuerkennen.
Während für die Türkei dieses Thema bis heute vollkommen tabu ist und sie sich konsequent weigert, die Massaker aufzuarbeiten, kommen immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass es sich um einen geplanten Völkermord handelte.
Wir wissen, dass die Beschäftigung mit diesem sensiblen Thema nicht einfach ist. Das damals erfahrene Unrecht und die vielfach durch Augenzeugenberichte belegte unbeschreibliche Brutalität der türkischen und kurdischen Seite haben sich tief in das Bewusstsein der Assyrer eingegraben. Die Erinnerung daran ist -verständlicherweise – mit großen Emotionen belegt. Der Völkermord von 1915 wird den heute lebenden Türken und Kurden nicht zum Vorwurf gemacht. Doch die Türkei und die Kurden müssen dafür die Verantwortung übernehmen und eine öffentliche Diskussion und die Aufklärung der damaligen Vorgänge zulassen und anerkennen. Neben dieser Forderung ist unser Ziel, die Anerkennung als Volk mit dem Recht auf freie Ausübung der Sprache, Religion und Kultur zu erreichen.
Bericht des Zeitzeugen Yusuf (Aho) Aygur aus Keferbe Tur-Abdin/Türkei aus dem Jahr 1998 und seine Erzählung hinsichtlich des Massakers an den Assyrern von 1915 (Beachten Sie bitte, dass es sich dabei um persönliche Eindrücke handelt)
Ich bin zur Zeit 96 Jahre alt. Zur Zeit des Massakers war ich 13 Jahre alt. Ich kann mich genau daran erinnern, ich war damals Schafhirte und konnte noch kein Gewehr benützen. Damals gab es ca. 70 assyrische Familien in Keferbe. Diese Familien gehörten einigen Sippen an. Ich kenne alle Familien. Der Name unserer Sippe lautet Bassoka. Außerdem gab es noch die Sippen Ribasa, Zato, Komo, Usufke, Lazar, Schabo, Schiwan usw. Vor dem Massaker, war die Lebenslage noch gut, und wir hatten keinerlei Not oder Druck zu erleiden.
Beim ersten Massaker, hatten die Armenier einen Aufstand angefangen. Der Staat ließ die Kurden gegen die Armenier kämpfen. Der Krieg hatte 2-3 Jahre gedauert und die Armenier hatten verloren. Daraufhin begannen andere christliche Staaten gegen die Osmanen Krieg zu führen. Folglich nahmen die Osmanen wieder die Kurden auf ihre Seite und begannen die christliche Bevölkerung zu ermorden. Mehrheitlich haben die Kurden uns ermordet. Die Türken hatten vielmehr die Grenzen gehalten. Die russischen Truppen waren bis nach Hasankale, Bischeriye, Siirt und Deliktasch gekommen. Die Osmanen waren im ersten Weltkrieg besiegt worden. Die Deutschen waren aber Verbündete der Osmanen. Das Massaker in unserem Dorf wurde nicht von den Kurden aus diesem Dorf verwirklicht, sondern von den Kurden aus den Nachbardörfern. Zur Zeit der Mobilmachung (im Jahre 1914), hatte unsere Familie das Dorf verlassen. Zwischen April und Mai, wurden wir wieder beim Dorf sesshaft. Es gab Kämpfe zwischen den kurdischen Sippen. Diese Kämpfe hatten zur Zeit der Mobilmachung begonnen. Die Sippe Saliha kämpfte mit der Unterstützung des Staates gegen die Sippen Saruhan und Haco. Wir begegneten Soldaten in Bahnimne, Kivah, Derik und auf der Kreuzung von Keferbe. Sie kehrten gerade vom gemeinsamen Kampf mit der Sippe Saliha gegen die anderen. Sowohl die Christen als auch die Kurden aus unserem Dorf, hatten sich in Kivah niedergelassen. Wir blieben 15 Tage in Küqük Mehrav. Danach verließen wir Kivah und kehrten mit den anderen Dörflern nach Keferbe zurück.
An jenem Tag, als wir im Dorf ankamen, war bereits eine Gruppe aus Pirkanli Migare, über Kartmin gekommen. Diese Leute aus Pirkanli, hatten die Herde von Mor Gabriel gestohlen. Da sagte Halafe Schemdin zu seinem Neffen Rabiho: „Verfolge die Leute aus Pirkanli und bring die Tiere zurück.“
Halafe Schemdin war ein Kurde aus Keferbe und Rabihos Onkel. Als der Hilferuf das Dorf erreichte, begaben sich alle Männer des Dorfes auf den Weg, verfolgten die Diebe und brachten die Herde nach Zinavle. Von dort gingen sie nach Bihilfe (bei Aynverd/Iwardo).
Das was ich gerade erzähle geschah vor dem Massaker, aber im gleichen Jahr. Die Leute aus Pirkanli, hatten sich auf der Burg von Bihilfe versteckt. Unsere Assyrer griffen die Burg an. Bei diesem Gefecht, wurden Galuäke und Usufke durch Kopfschüsse getötet und ihr Bruder am Rücken verletzt. Auch Savme Safo war am Bein getroffen. Sobald die Leute aus Saliha darüber erfuhren, gingen sie ihnen zur Hilfe. Der bereits erwähnte Rabiho aus Pirkanli, erschoss indessen seinen Neffen, der sich unter den Räubern befand.
Der Agha des Dorfes Saliha, Muhammad Amar, schickte ebenso seine 40-50 Männer, den Leuten aus Pirkanli zur Hilfe. Diese wollten durch das Dorf Hirbih gehen. Hirbih befindet sich um Norden unseres Dorfes und liegt zwischen Aynverd/Iwardo und unserem Dorf. Aber die Dörfler aus Hirbih, erlaubten ihnen nicht, daß sie durch Dorf gehen. Die Männer aus Saliha gingen dann hinter einem Berg von Keferbe, namens Sine Marganiye, in Stellung. Die Männer aus Hirbih sagten den Einwohner von Keferbe, daß sie den Saliha und Pirkanli Leuten zur Hilfe gekommen sind. Und unsere Dörfler sagten ihnen: „Wenn ihr die Blockade gegen die Pirkanli nicht aufhebt, dann wird keiner von euch aus Saliha überleben.“ Daraufhin stellten die Leute aus Keferbe den Angriff. Dann nahmen wir unsere Toten, gingen durch Zinavle und kehrten sie ins Dorf zurück. Die Männer aus Saliha, erschossen dann einen Assyrer namens Hanun Komo, der erst zum Kampf ziehen wollten. Am nächsten Tag, bevor die Sonne aufging und ehe wir noch unsere Toten begraben konnten, hörten wir, dass das Massaker woanders begonnen hätte.
Wir sagten den Kurden in unserem Dorf: „Wenn ihr uns helfen würdet, dann werden wir unsere Tiere und unser Zeug nehmen und im Kloster Mor Gabriel Schutz suchen.“
Diese halfen uns und wir verschanzten uns im Kloster Mor Gabriel. Wir blieben ca. 3 Monate lang da, ohne angegriffen worden zu sein. 3 Monate lang blieben die Rabiho und Halef (Kurden) mit den Assyrern im Kloster Mor Gabriel zusammen. Bis eines Tages Rabiho an seinen Schwiegervater Mohammed Amar eine Botschaft verschickte: „Kommt zum Kloster, wir werden euch das Tor öffnen und dann könnt ihr alle Assyrer töten!“
Unsere Älteren, die auf das Komplott Rabihos aufmerksam wurden, gingen auf einander los. Die Frauen und Mönche mischten sich ein und beruhigten sie. Viele von ihnen waren dafür, daß Rabiho getötet werden sollte. Sie töteten ihn aber nicht, sondern teilten ihm mit, daß er das Kloster verlassen soll.
Rabiho musste gehen und mein Vater gab ihm noch 50 Tiere (Schafe und Ziegen) mit und sagte: „Nimm diese Tiere und behalte sie. Sollten wir aber diesem Schicksal entkommen, dann gibst du sie uns wieder zurück. Wenn wir aber nicht überleben, dann gehören sie so oder so dir.“
Daraufhin sagt Rabiho zu meinem Vater: „Gib mir noch diesen hier, deinen Sohn, damit wenigstens er gerettet ist.“ Aber ich wollte nicht gehen und auch meine Mutter war nicht einverstanden.
Wir hatten besonders gute Beziehungen zu Rabiho. Nachdem er 3 Monate im Kloster geblieben war, begann das Massaker und er ging in unser Dorf. Hasan Haco machte sich zur Aufgabe Männer für seine Bande zu beschaffen und nahm auch Rabiho dazu. Die Sippe Azam und ihre Männer, vereinigten sich ebenfalls mit Hasan Haco. Die ahnungslosen Leute aus Keferbe, baten die Kurden aus den umliegenden Dörfern um Erlaubnis, damit sie ungehindert in ihre Weingärten gehen dürfen. Diese versprachen, dass ihrerseits nicht geschehen würde. Ein Teil der sich im Kloster befindlichen Assyrer, gingen gruppenweise in die Weinberge, die nahe dem Dorf lagen.
Hasan Haco und die Sippe Azam, sahen dies als eine günstige Gelegenheit und stellten sich zwischen den Dörflern und dem Kloster. Somit begann das erste Gefecht. Bei diesem Kampf wurde Goluäk Bihno getötet. Daraufhin gingen die Dörfler in Stellung. Ich war im Kloster geblieben, aber meine älteren Brüder Schemun und Malke waren nach draußen gegangen. Beide waren hinter einem hohen Hügel nahe dem Kloster in Stellung gegangen. Hanuk, der Sohn meiner Tante, befand sich gleich unterhalb von den beiden. Er wurde von einem Mann, namens Muhammad Amok, getötet. Mein älterer Bruder, der das beobachtete, wollte auf Muhammad Amok schießen, aber sein Gewehr hatte Ladehemmung.
Rabiho bekam die Ladehemmung mit, nützte dies aus und erschoss meinen Bruder Schemun vom Hinterhalt. Malke, mein anderer Bruder, hielt den Mörder in Schach und rief dem herannahenden Cousin Steyfo zu. Dieser sah den getöteten Schemun und erschoss folglich den Mörder Rabiho.
Der Kampf ging sehr heftig weiter und es wurden dabei mehr als 10 Männer getötet. Als mein Onkel Hanne ins Kloster kommen wollte, wurde er von Ose Hazam aufgehalten. Und obwohl er unbewaffnet war, konnte er den Mann packen und zu Boden werfen. Daraufhin kamen die Freunde von Ose Hazam zu Hilfe und erdolchten meinen Onkel. Daraufhin kamen vier Personen an das Dorf heran, es waren Afrem Zeytin, Nisan Kavme, Garibe die Tochter von Malke Schabo und Hazme, die Tochter von Safar Komo.
Es wurde auf sie geschossen, so dass Hazme gleich starb und die anderen drei verwundet wurden. Aber später erlag auch Garibe ihrer Schusswunde. Es starben an einem Tag mehr als 40 Personen, darunter Avde Shivan und Malke Schemun. Der Angriff war bis am Abend abgeschlossen. Als am Abend die Namen der ermordeten bekannt wurden, konnte der heldenhafte Gevriye Haqe die Situation nicht mehr länger ertragen. Dieser nahm dann einige Männer mit und griff die Männer aus Saliha an, die sich noch in Stellung befanden. Die Zahlenmäßig überlegenen Männer aus Saliha, haben dann auch ihn während des Kampfes getötet.
Die offiziell zu den Massakern gekommene Gruppe zog sich nach einem Tag zurück, aber die Angriffe der Kurden aus den Nachbardörfern, gingen noch jahrelang weiter. Die Angriffe, die vor 3 Monaten gegen Aynverd/Iwardo begangen wurden, gingen unvermindert weiter.
Im Dorf Sare, hatte Malke Hanne Haydo gesagt: „Wir müssen ihnen zu Hilfe gehen. Vielleicht können wir die Soldaten von dort vertreiben.“
Daraufhin versammelten sich 100 Mann und gingen in das Kloster Mor Gabriel. Guloye Gavro führte sie an. Er war aus Basibrin. Sie kamen, versammelten sich in Mor Gabriel, schickten nach Rayite eine Botschaft und verlangten Beistand, aber die Männer aus Rayite kamen nicht. Zwei Tage später hörten sie, dass die Angriffe der Soldaten auf Aynverd/Iwardo beendet wurden. Anderenfalls wären unsere Leute mit den Männern von Malke Hanne Haydo zusammen gegangen und an der Front gegen die Soldaten gekämpft.
Bald nach dem Massaker, mussten wir wegen der Hungersnot alle auseinander gehen. Damals hatte sich auch die kurdische Sippe Azam im Kloster Mor Gabriel niedergelassen. Aber es gab immer noch 3 Assyrische Familien dort. Die Sippe Azam wandte sich indessen an den Staatsmann, der sich in Kartmxn befand, um die Assyrer in Keferbe ermorden zu dürfen. Der Staatsmann in Kartmin antwortete darauf: „Holt mir die Anführer von Keferbe, damit ich sie sprechen kann, und während sie unterwegs sind, stellt ihnen eine Falle und tötet sie.“
Sie kamen dann und sagten Gevriye Tuma und Gevriye Äamlan, dass der Staatsmann sie sprechen will. Beide Gevriye ahnten, dass sie ermordet werden, aber sie sahen keinen anderen Ausweg, als doch zu gehen. Am Tag machten sie sich auf den Weg und nahmen noch den Sohn von Safar Komo mit. Und ich war an jenem Tag Holz fällen. Malke Hanne und seine 30-40 Mann waren zum Ort der Begegnung gekommen. Die Assyrer hatten erkannt, dass diese Begegnung eine Falle sei. Schließlich wurden sie in eine Kampfhandlung verwickelt.
Auch bei dieser Falle hatten die Männer aus Saliha und andere Banden der Sippe Azam Beistand geleistet. Die drei Männer aus Keferbe konnten dem Attentat entkommen. Daraufhin sagte Malke Hanne zu den zwei Gevriye: „Ihr braucht nicht ins Dorf zurückzukehren, ich werde 100 Mann zur Hilfe schicken und die Leute aus Keferbe hierher bringen. Aber alle zwei Gevriye wollten die Leute aus Keferbe nicht alleine lassen. Jedoch Malke Hanne entwaffnete sie und schickte sie weg. Als sie zurückkehrten, wurden sie bei Didele gefangen genommen.
Muhammad Amar, der Agha von Saliha, hatte dem Gevriye Tuma gesagt: „Du hattest doch gesagt, deine Augen werden meine Augen nie sehen.“
Daraufhin hatte Gevriye Tuma geantwortet: „Der Staatsmann hat mir deinetwegen die Hände aufeinander gelegt (gefesselt).“ Dann wurde er vom Agha Muhammad Amar getötet.
Daraufhin hatte Gevriye Shamlan zum Agha Muhammad Amar gesagt: „Töte mich nicht, wir sind doch von der selben Seite.“ Folglich erschoss nun Ramazan Ismail den Gevriye Schamlan, um Gevriye Tuma zu rächen.
Aber schon davor hatte Gevriye Tuma zu den Aghas von Saliha gesagt, dass sie bezüglich Tahlo aus Sohrane die Augen offen halten sollen. Tahlo der Anführer der Banden, war an jenem Tag krank, während die beiden Gevriyes ermordet wurden, deshalb konnten die sie das Dorf Keferbe nicht angreifen.
Sie waren allein, weil ihr Anführer krank war. Tahlo hatte dann Ato aus Keferbe zu sich gerufen und zu ihm gesagt: „Gevriye Tuma hat zu mir gesagt, daß ich euch beschützen soll. Wenn ich gestern in der Nacht nicht in diesem Zustand wäre, so wären sie gekommen und hätten Keferbe massakriert. Jetzt gehe und sage ihnen, daß sie entweder das Dorf verlassen oder sich in ihre Kirche begeben und sich von dort aus verteidigen sollen.“
Ato kehrte ins Dorf zurück, kam am Abend an, ging zu Safar Komo und teilte ihnen die Botschaft mit. Schließlich gingen wir in unsere Kirche und nahmen noch einige Sachen mit. Manche sagten dann: „Es sind nicht ein, zwei oder drei Tage. Es ist besser, wenn wir von hier weggehen.“ Es gab noch 10 Soldaten im Dorf, die in einem Haus stationiert waren. Die Beziehung zwischen Yahko und dem Qavuä (Unteroffizier) war gut. Dieser (Yahko) sagte: „Ich gehe und rede mit ihm, vielleicht beschützt er uns.“ Man sagte dem Yahko: „Geh nicht, es ist sinnlos. Egal wie lange wir bleiben, sie werden uns letztlich doch tötet.“ Schließlich einigten wir uns das Dorf zu verlassen.
Aber sobald wir aus der Kirche herausgingen, öffneten sie das Feuer und es begann Blei auf uns zu Regnen. Und die Soldaten beschützten uns nicht. Nachdem wir das Dorf verließen, gingen die Familien Usefke, Safo und Zato zu Sühdüko nach Rayite. Und wir gingen dann nach Basibrin. Hanun und einige andere kamen dann am nächsten Tag nach. Wir hatten so gut wie nichts mit, außer einen kleinen Topf, einen kleinen Teppich, einer Decke auf den Rücken meiner Schwester und ich hatte das Gewehr von Galo Gerib mit. Malke hatte auch einige Kleinigkeiten mit dabei. Alles andere hatten wir zu Hause belassen. Allein in einem Lager hatten wir 20 Säcke Weizen gehabt. Die Leute aus Keferbe haben alles genommen. Wir hatten nur noch 6-7 Mecidi (osmanische Währung). Malke kaufte dann einige Säcke Weizen von den Nomaden. Damit konnten wir 10 Tage auskommen und zogen dann nach Aynverd/Iwardo. Von dort zogen wir einige Tage später nach Rayite weiter. Unsere Verwandten, die Safos, waren auch dort.
Wir blieben 2-3 Monate dort und dann gingen wir in die Steppe hinunter. Wir nahmen einige Säcke Lebensmittel mit und kehrten nach Bsheyire zurück. Die Leute aus Kartmin sagten den Dörflern von Rayite: „Die Leute aus Keferbe, die sich bei euch befinden, beschädigen unsere Felder. Deshalb sollt ihr sie von hier vertreiben.“ Daraufhin warfen sie uns hinaus und wir mussten erneut nach Aynverd/Iwardo gehen. Wir blieben dort 1-2 Monate, dann nahm uns der Sohn von Cemo Heshterakli wegen der Weberei auf. Wir arbeiteten also 1-2 Monate bei ihm. Mein Cousin Steyfo aber trennte sich von uns und ging nach Derkfan. Die Leute aus Saliha, die das hörten, wollten Steyfo töten. Steyfo hatte doch zuvor Rabiho getötet, deshalb wollten sie ihn rechen. Als Steyfo wusste, dass die Leute aus Derkfan ihn nicht beschützen würden, flüchtete er und ging nach Rayite und von dort nach Nusaybin. Seine Tochter war vorher gestorben und sein Sohn war schwer krank. Sie hielten sich in einer Mühle auf. Als die Mühle überflutet wurde, ertranken beide darin.
Damals war es so, wenn jemand erkrankte musste er auch sterben. Weil niemand sich um den anderen kümmern konnte. Während dieser Zeit waren auch deutsche da und bauten die Eisenbahnlinie von Nusaybin nach Mosul. Einige Suryoye, die das Massaker überlebt hatten, arbeiteten bei ihnen. Auch wir arbeiteten eine Zeitlang dort. 6 Jahre später kehrten wir mit Hilfe von Tschelebi wieder ins Dorf zurück. Wir vertrieben dann die Sippe Azam aus dem Kloster Mor Gabriel und sorgten dafür, daß die übrigen Mönche wieder zurückkehrten.
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