Als die ersten syrisch-orthodoxen Christen im Jahre 1968 als Gastarbeiter aus dem Südosten der Türkei kamen und deutschen Boden betraten, waren sie sich nicht bewusst, auf welche Probleme ihre nachkommenden Generationen stoßen werden. Die Syrisch-Orthodoxen zählen zu einer der ältesten Christengemeinden, die sich nach der Kirchenspaltung des Jahres 431 n. Chr. herausgebildet hat. Die Altapostolische Kirche und die Chaldäische Kirche sowie die Syrisch- Orthodoxe Kirche haben sich einst aus einer Urkirche in drei Denominationen entwickelt. Ihre Anhänger sind uns u.a. als syrische Christen bekannt.
In der Türkei galten sie noch als Bürger dritter Klasse und litten unter zahlreichen Variationen von Repressalien. Ab den 70er und 80er Jahren begann der Massenexodus nach Europa, welcher ein völlig unbekanntes Phänomen mit sich brachte. Um sich klar von seiner muslimischtürkischen/ kurdischen/arabischen Umgebung zu differenzieren, gab es nur die Unterscheidung zwischen Muslim oder Christ. Als Christ im Orient wurde man von der muslimischen Nachbarschaft beispielsweise auf türkisch als „Ungläubiger (türk. Gavur)“ oder gar „Hund (türk. Kelb)“ verunglimpft. Über eine genauere Differenzierung aufgrund einer Ethnien- oder Nationenzugehörigkeit wurde nie debattiert – zumindest nicht mehr nach den tragischen Ereignissen der Jahre 1914-1918.
Auch nach einigen Jahren Aufenthalt in Deutschland fühlten sich die syrisch-orthodoxen Christen unter ihren deutschen Mitbürgern nicht gleichwertig behandelt, da sie pauschal als Muslime oder Türken abgestempelt wurden, was an ihrem typisch orientalischen Aussehen auszumachen war. Ausgewiesen mit der türkischen Staatsbürgerschaft und im Besitz türkischer Nach- sowie Vornamen, war das einzig zu unterscheidende Merkmal ein goldenes Halskreuz, welches von ihnen getragen wurde.
Zeitgleich ist die Suche nach der eigenen Identität in der Diaspora zu vermerken. Erstere Rechtfertigungsmaßnahmen des eigenen Selbstverständnisses wie „Ich bin Christ“ halfen nicht mehr. Die abendländische Bevölkerung war im Glauben, das Monopol des Christentums zu besitzen.
Bis zum November 1981 verwendeten die syrisch-orthodoxen Christen ihre legitime Selbstbezeichnung, die „Suroyo“ lautete. Ihre Sprache betitelten sie als „Sureyt“. Da die aus der Berggegend des Tur Abdin stammenden syrischen Christen keinerlei nationale Bezeichnung kannten, sondern sich vielmehr durch ihre Religion und insbesondere durch ihre Kirchenzugehörigkeit definierten, wurde diese ethnische Eigenbezeichnung mit „Christ“ wiedergegeben. Weder ein staatliches Gebilde noch irgendeine Emanzipation erlebten die Urchristen aus dem Orient in ihren Siedlungsgebieten. Folglich war ihnen zu dieser Zeit keine adäquate Nationalbezeichnung bekannt, da sie von ihrer muslimisch geprägten Umgebung nur als ungläubige Christen stigmatisiert wurden.
Nachdem ab 1972 eine Welle aus der Heimat nach sich zog, bildeten sich in Augsburg, Berlin, Gütersloh und Stuttgart erste Migrationszentren. Infolgedessen wurde die erste für sich designierte Identitätsbezeichnungen von einer kirchlichen und akademischen Elite geprägt, meist studierte Theologen, Kirchenhistoriker oder Ärzte, die aus Syrien und dem Libanon stammten, welche sich für die historisch korrekte Bezeichnung „Assyrer“ aussprachen. Denn Suroyo, Suryoyo, Suraye, Suryaye oder Sureyt sind linguistisch-etymologisch abgeleitete Versionen des im Laufe der Zeit verstummten Anfangs-“A“, welche schlichtweg auf Assyrer zurückzuführen sind. Historisch gesehen konvertierten die Assyrer als eine der ersten Ethnien im Orient zum Christentum und beanspruchten das Christentum für sich. Aus diesem Grund wurde die Jahrtausend alte Volksbezeichnung mit der Übernahme des christlichen Glaubens synonym verwendet. Somit fand ein Verschmelzungsprozess zwischen Ethnie und Religion statt. Allein durch diesen Prozess konnten sie im Rahmen des Glaubens ihre antike Kultur bewahren, die aber gleichzeitig in den Hintergrund und in unbewusster Vergessenheit geriet, da man sich auch fortan an den heiligen jüdischen Schriften orientierte.
Die Verbreitung des assyrischen Terminus ging schließlich mit den nachgezogenen Klerus aus dem Tur Abdin einher. Der damalige Bischof Cicek, welcher die Schule des berühmten assyrischen Patrioten, Bischof Dolabani, durchlaufen hat, zählte ebenso zu den Anhängern der politischpatriotischen Assyrismus-Welle. Diese Bewegung war historisch begründet, die durch das komplette 19. Jahrhundert von allen syrischen Hauptkirchen vorangetrieben wurde, um das Volk der syrischen Christen zu unieren und die Hürden ihrer konfessionellen Determination der „Jakobiten“, „Nestorianer“ und „Chaldäer“ endgültig aufzubrechen. Eingebettet in diesen Prozess war die Bestrebung vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges einen eigenen, christlich autonomen Staat auf dem Territorium des antiken Assyriens zu festigen. Die nationale Einheit konnte somit nur mithilfe der legitimen ethno-nationalen Bezeichnung „Assyrer“ vollzogen werden. Die Eliten aus der Zeit, die die Entwicklung des Nationalstaatsgedanken, der Identität sowie der Einheitsbewegung der drei Hauptkirchen als Säulen des assyrischen Bewusstseins vorantrieben, nahmen sich den Gedanken und Leitidealen u.a. der Renaissance und der französischen Revolution aus dem europäischen Westen an und postulierten diesen Anspruch ebenso für das eigene Volk und für die eigene Nation.
Den bis dahin konstruierten kirchlichen Identitäten (Jakobiten, Nestorianer, Chaldäer), die historisch mit dem Zwiespalt aus den Jahren 431 und 1552 zu verzeichnen sind, sollte endgültig der Todesstoß verpasst werden. Der damals eingeführte Terminus war „Aturaya/Othuroyo“, welcher politisch bedingt war und die Nation der Assyrer darstellen sollte. Es war ein Schritt in Richtung Säkularisierung, da die syrischen Christen ihre Kultur, Sprache und Identität ausschließlich im Rahmen der eigenen Kirchen und ihrer christlichen Religion bewahren konnten. Um sich von diesem zu lösen, wurde das kirchliche Monopol aus der Politik herausgeschält. Die Initiative für derartige Schritte wurde primär von den intellektuellen Persönlichkeiten seitens der Kirche wie Patriarchen, Bischöfe sowie Gelehrte und Ärzte voran gekurbelt. Der neue Nationen-Terminus wurde als Rückgriff auf die eigene Vergangenheit, inkludiert mit der vorchristlichen Zeit, verwendet. Es war keine Neuerfindung oder gar ein Import europäischer Großmächte, welches meist gegenwärtig behauptet wird.
Fündig wurden die geistigen und hohen geistlichen Exzellenzen aller drei Hauptkirchen – wie Naum Faik, Ashur Yusuf, Farid Naza, Freidon Aturaya, Bischof und späterer Patriarch Aphrem Barsaum, Bischof Touma Oudo, Patriarch Benjamin Simon, Agha Petrous, um nur einige zu nennen – in den Schriften ihrer Kirchenväter, in der diese spezifische synonyme Form von „Sur(y)oyo/Sur(y)aya“ fixiert ist und sich auf die legitime, ursprüngliche Bezeichnung der eigenen Identität im Bezug auf die eigene Wurzel bezieht.
Nachdem der Völkermord parallel zum Kriegsgeschehen des Ersten Weltkriegs wie ein Tornado über die Assyrer herzog und neben der gesamten Elite auch Jung und Alt, Kranke und Gebrechliche, Mädchen und Jungen, Kinder und Babys, Schwangere und Schwache, auslöschte, blieb nur noch der Rest, der sich schließlich doch noch irgendwie aus dem traumatischen „Komazustand“ befreien konnte, sich aber de facto nie wieder davon erholte. Der Bruch ist eindeutig auf die schrecklichen Jahre 1914-1918 zu markieren. So wurde das Schicksal der syrischen Christen genau in dieser pechschwarzen Epoche besiegelt. Sie wurden zu einem Volk ohne nichts, zu einem Volk von Waisen, zu einer verängstigten Herde, die sich aus dem Rachen des Wolfes retten konnte. Ohne einen Hirten waren sie verloren.
Zu all dem wurde in den Friedenskonferenzen der nachfolgenden Jahren mit ihnen buchstäblich „russisches Roulette“ gespielt, bis die letzte Kugel, in diesem Fall die komplette Nicht- Berücksichtigung dieser Ethnie, sie inmitten ihres Herzens traf. Sie wurden zum Spielball der Siegermächte-Entente. Die Vertreter dieses Volkes, angeführt vom damaligen Bischof und späteren Patriarchen der syrisch-orthodoxen Kirche, Aphrem Barsoum, der im Namen der assyrischen Nation mit einer Delegation nach Paris ging und als Sprachrohr aller syrischen Kirchen fungierte, wurden in keinster Weise berücksichtigt.
Mit dem im Jahre 1923 zustande gekommen Vertrag von Lausanne wurde das Schicksal der Assyrer endgültig besiegelt. Willkürliche Grenzziehungen, Aufteilungen in verschiedene provisorisch islamische Staatsgebiete und der Verlust des eigenen Ursprungsgebietes waren die Konsequenzen jenes dunklen Kapitels. Ihre verbliebenen und hoffnungsvollen Träume wurden zerschmettert.
Daraufhin verloren sie wieder zunehmend ihre zuvor eingeschlagene Richtung der Einheit. Angst und Schrecken lähmten sie. Für sie begann die Stunde Null, nachdem sie wieder in ihre Dörfer zurückkehrten und diese aufbauten. Gelähmt, gekennzeichnet und markiert von dieser Tragödie, verloren sie jegliches assyrisches Bewusstsein. Die Kirchen begannen wieder einen eingleisigen Kurs zu fahren, der darin mündete, dass sogar 1925 der Hauptsitz der syrisch-orthodoxen Kirche aus dem sich in der Türkei befindenden Tur Abdin in das französische Mandatsgebiet des arabischen Syriens nach Homs verlegt wurde. Die letzten Aufraffungsversuche in den 20er und 30er Jahren, einen Staat für sich politisch zu postulieren, erstickten aber mit dem Abziehen der Franzosen im Jahre 1942 aus Syrien endgültig im Keim. Die Araber wurden erneut zu Herren über die syrisch-orthodoxe Kirche der Assyrer. Parallel liefen noch Versuche des „ehrenhaften“ Völkerbundes, ein kleines Territorium für die Assyrer zu organisieren, doch scheiterte dieses kläglich, was wohl an der Feigheit und Gewissenlosigkeit Englands lag. 1933 wurde der Irak unter arabischer und kurdischer Hand in seine Unabhängigkeit entlassen. Im gleichen Jahr erlitten die in den nordirakischen Städten lebenden Assyrer ihrem Schicksal, es brachen über sie ethnische Massaker einher. Am 7. August griff ein kurdischer General die Städte Simele, Dohuk und Zakho an, indem er die komplette christliche Bevölkerung auslöschte.
Der Sinneswandel der drei syrischen Hauptkirchen nahm fortan seinen Lauf als sich 1967 herausstellte, dass sich die Apostolische Kirche den assyrischen Terminus einverleibt hatte und zur eigenen Kirchenidentität erhob. Von da an hieß die Kirche “Assyrische Kirche des Ostens“. Die syrisch-orthodoxe Kirche, die in Syrien eine ganz klare Vorgabe hatte, sich von dem assyrischen Bewusstsein und dieser Identität zu lösen, war harten Repressalien des arabischen Staates ausgeliefert. Die Geheimdienste dieses Staates verbaten jegliche Bücher oder Schriften, die etwas mit ihrer historisch-legitimen Kultur zu tun hatten. Syrisch-Orthodox wurde mit allen Mitteln zum Bestandteil des arabisch-syrischen Staates und seiner arabischen Identität gemacht. Alles Assyrische wurde zensiert und auf Syrisch umbenannt. Identischem war die chaldäische Kirche ausgeliefert, die im System des arabischen Staates Irak untertauchte. Sie mussten sich ebenso den arabischen und später kurdischen Strömungen beugen.
Insbesondere in der syrisch-orthodoxen Kirche zeichnete sich in den folgenden Jahren eine stark autonome anti-assyrische und pro-syrische Entwicklung ab. Erste Reaktionen auf die Diaspora- Anhänger in den USA nahmen in den Jahren ab 1942 klare Formen an. Es wurde ihnen verboten, sich als Assyrer und ihre Kirche als assyrische Kirche zu deklarieren. Obwohl dieses in zahlreichen Dokumenten belegt ist, dass sich die syrisch-orthodoxe Kirche auf Englisch oder Türkisch als „assyrische Kirche“ deklarierte (siehe Dokumente und Bilder im Anhang), begann der vehemente Einschnitt mit der bewussten Leugnungspolitik.
Als infolge von stark zunehmenden Islamisierungstendenzen ab den 70er Jahren viele syrischorthodoxe Anhänger nach Zentraleuropa auswanderten, begann die Emanzipation in Europa aufzukommen. Das neue Lebensgefühl des assyrischen Bewusstseins nahm wieder sehr starke Konturen an. Die Anhängerschaft in der Anfangsphase war enorm. Die aufgenommene politische Bewegung der Assyrisch Demokratischen Organisation, die im Untergrund des Jahres 1957 im Nordosten Syriens initiiert wurde, trug ihre Früchte in späteren Jahren. Kulturvereine wurden gegründet. Beispielsweise strömten die Leute in Massen in die Vereinshäuser zu Vorträgen über die eigene antike Historie oder zu Gedenkveranstaltung assyrischer Pioniere. Festveranstaltungen wurden mit Tausenden von Besuchern aus ganz Europa gefeiert. Das alles gab den Leuten ein neues Selbstbewusstsein mit, dass sie veranlasste, eine Renaissance der Sprache durchzuführen, i.e. sie bedienten sich der liturgischen Kirchensprache, die keiner sprach und säuberten dadurch ihre Muttersprache von den Einflüssen des Kurdischen, Arabischen und Türkischen. Sie legten neue Werte und Normen fest, die sich insbesondere an der Kultur orientierten: So wurde zu Nationaltänzen getanzt, Lieder wurden in ihrer Muttersprache komponiert und gesungen, man feierte das Akitufest, das alljährlich am 1. April stattfindet, man regte Gründungen von Kulturvereinen an, die ihre Sprache, Kultur, Sitten und Traditionen aufleben ließen. Die antike Historie geriet ebenso in den Fokus. Ein Stolz wurde vermittelt, da die antiken Vorfahren einen unschätzbaren kulturellen Einfluss dem ganzen Orient vererbt hatten und durch dessen Akkulturationen anderer Völkerschaften dieser ebenso nach Europa geriet und dieses nachhaltig prägte. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Identität schuf ein neues Selbstverständnis sowie eine neue Selbstwahrnehmung der syrisch-orthodoxen Assyrer.
Auch der inzwischen verstorbene Bischof Cicek, Strippenzieher der syrisch-orthodoxen Kirche in Europa sowie sein Nachfolger, der damalige Mönch und aktuelle Bischof Aydin, waren begeisterte Sympathisanten des neuen florierenden assyrischen Bewusstseins.
Als sich dann gegen Ende der 70er Jahre dieses neue aufgeklärte, politische und historische Bewusstsein ihrer Identität ausbreitete, begann eine Reaktion seitens des Klerus. Grund dafür war, dass der Fokus der Leute nämlich nicht mehr allein dem Glauben gewidmet wurde, sondern mehr auf der Historie und der Idee der Nation beruhte.
Man strebte kirchliche Reformen an, vor allem, um sich an die neue europäische Umgebung anzupassen. So wurde auch eine Säkularisierung befürwortet, die die Kirche und den Klerus von der Politik separieren sollte. Die Institution der Kirche sollte nicht mehr allein zu Trägern der Belange des Volkes sein, da sie sich ausschließlich auf den Glauben konzentrieren sollte. Jedoch standen Politik und Kirche immer schon nahe beieinander. So geriet letztendlich die Maschinerie ins Rollen.
Die nachgezogenen Pfarrer, die aus den archaischen Strukturen des Tur Abdin herausgerissen wurden und in Europa den Gemeinden zugeordnet wurden, waren nicht bereit, ihre gottähnliche Machtposition zu verlieren. Die Pfarrer, die im Übrigen keinerlei Bildung in ihrer Heimat genossen, waren es gewohnt, dass sich alle Gläubigen in der Heimat ausschließlich ihrem Glauben und ihrer Religion widmeten. Ein Pfarrer übernahm nämlich die Rolle „Gottes auf Erden“, dem die Gemeindemitglieder in allen Belangen ergeben waren. Zudem sollte das alte Lebensmuster, das durch Sippen- und Clanstrukturen gekennzeichnet war, in dieser Form aufrecht erhalten werden, da man in der Anarchie liberaler agieren konnte. Es mündete vielmals im gegenseitigen Familien- oder Sippenkonkurrieren der Dörfer, das aus der Heimat ebenso nach Europa importiert wurde. All dieses stand dem assyrischen Bewusstsein zur Disposition, da es eine zusätzliche Hürde aufbaute, die Einheit des gesamten Volkes durchzusetzen, gerade aufgrund der dazu auftretenden Kirchen- und Sprachbarrieren sowie jeglicher Dörfer- und Sippenformen, die ein starkes, kollektives „Wir“- Gefühl ausdrückten.
Die assyrisch bekennenden Personen aus den Reihen der Gemeinden, intendierten dieses rückständige Gedankengut zu beseitigen und im Gegensatz dazu Aufklärung, Emanzipation zu preisen und die Unabhängigkeit von der Kirche zu fordern. Sie verwendeten fortan den politisch geprägten Begriff „Othuroyo“, der für die tiefgläubigen Menschen, die sich nur durch ihren Glauben und ihre Kirche definierten, als Angriff auf ihre syrisch-orthodoxen ihre Kirche, ihren Glauben und ihre Identität galt.
Es begann die Reaktion ab 1979, die zuerst in Schweden formiert wurde und sich in raschen Zügen in ganz Europa verbreitete. Die Geburtsstunde der Gegenreaktion nahm ihre Form an, als diese ein Symbol auf einer Tontafel für sich neuentdeckte, das in Guzana (im heutigen Syrien) vom deutschen von Oppenheim ausgegraben wurde, und zum Wahrzeichen der syrisch-orthodoxen Kirche kreiert wurde. Weitere Schritte folgten prompt. Bischof Cicek berief Sitzungen ein, zu der alle Sippen- und Clanführer sowie Kleriker eingeladen waren. Dort wurden Maßnahmen gegen die politische Bewegung besprochen. Man holte zum Gegenschlag aus, die zur Wahrung der eigenen Kirchenidentität führte und den Terminus „Othuroyo“ liquidieren sollte. Die „Assyro-Phobie“ wurde systematisch in diesen Jahren geschürt. Diejenigen, die sich nach ihrem Nationsverständnis als „Othuroye“ verstanden, wurden zu einer Randgruppe in der eigenen Gesellschaft degradiert.
Fortan wurde der vorchristliche Shamash-Adler als Inbegriff der Syrisch-Orthodoxen verwendet. Weiterhin war man in der Pflicht, eine Historie zu konstruieren, die in Verbindung mit der Kirchenidentität in Einklang stand. Man schuf sich eine neue künstliche Identität. Dieses wurde mit dem Terminus „Aramäer“ konnotiert, welcher bis dahin rein linguistisch für die Sprache der syrischen Christen verwendet wurde. Obgleich doch dieses mithilfe von Philologen und Kirchenhistoriker aus verschiedensten Universitäten Europas gelang, welche die Durchsetzung dieses Terminus auf wissenschaftlicher Ebene durch Bücher oder Artikel manifestierten. Dieses wurde nicht nur im Namen der Wissenschaft betrieben, sondern war als Resultat dessen bekannt, dass unter der Hand einige finanzielle Spritzen seitens der neu formierten anti-assyrischen Bewegung geflossen sind. Das Interesse der Wissenschaftler lag wiederum daran, Projekte für ihre Forschungszwecke zu akquirieren. Der Profit lag auf der Hand, da die Bewilligung der Fördergelder nur für neuartige Projekte freigegeben wurden. So entwickelte man im Namen der Wissenschaft ein großes Interesse für ein “neu in Erscheinung tretendes Volk“, besonders zur Geltung kam es den Studiengängen dieser Fakultäten samt ihren Lehrstühlen.
Derartige ausländische Kirchenhistoriker und Philologen mischten sich deshalb nur aus Eigeninteresse in die Belange dieses Volkes ein. Sie besaßen zu alle dem einen eingeschränkten Horizont, der sich an der Tora sowie der Bibel orientierte, in der man bekanntlich die Assyrer mit dem Stigma „barbarisches, grauenvolles, blutvergießendes Volk“ versah und sogar davon ausging, dass diese ab dem Jahr 612 v. Chr. ein ausgestorbenes Volk seien. Der Feldzug gegen die assyrisch bekennenden Gemeindemitglieder wurde dadurch noch mehr geschürt und lief auf Hochtouren.
Zum richtigen Zeitpunkt wurde dem ausbrechenden Identitätskonflikt ein weiterer Schlag verpasst, der aus dem Staat Syrien kam. Der im November rechtskräftige Synodalbeschluss des Jahres 1981 erlaubte fortan für die Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche nur noch die liturgische Bezeichnung „Suryoyo“ als Volks- sowie Sprachdenomination.
Durch diese konträre Haltung der Kirche, fing man schließlich an, den alternativen Gegenbegriff „Aramäer“ zu benutzen, um sich von der eigenen ethnischen Identität „Assyrer“ abzugrenzen. Ein Mechanismus wurde eingeleitet, der darin mündete, dass sich die „Suryoye“ mit den „Aramäern“ gleichzusetzen begannen und sich aufgrund dessen eine neue Geschichte suchten. Im von Bischof Cicek gegründeten Bar Hebräus Verlag begann man mit der bewussten Fälschung von Büchern eigener Kirchenväter. Man ließ dabei ganze Textpassagen oder Zitationen aus, die sich dem Patriotismus widmeten. Man manipulierte zudem Textstellen. An Stellen, an denen vorher „Othuroye“ oder „Suryoye“ stand, setzte man den Terminus „Oromoye“ ein, um sich mit diesen Hilfsmittel zu bedienen und zu rechtfertigen. Derartige Bücher befinden sich immer noch in Umlauf. Die soziale Manipulation des ganzen syrisch-orthodoxen Kollektivs wurde dadurch beschleunigt.
Diese distanzierte Haltung zum assyrischen Bewusstsein wurde oftmals damit vermischt, sich nämlich von der eigenen Altapostolischen Bruderkirche zu differenzieren, da diese in den Augen der Syrisch-Orthodoxen als Häretiker und damit zum Inbegriff des Nestorianismus erklärt wurden. Die Nationalbewegung verstand sich nämlich als überkonfessionell.
Dieser angesprochene Feldzug der syrisch-orthodoxen Kleriker und Kirchengemeinden gegen die im eigenen Verständnis „zum Nestorianismus konvertierten Suryoye“ wurde auf unmenschliche Art ausgeführt. Die syrisch-orthodoxe Kirche, insbesondere angeführt durch den Klerus, machte sich diesen Identitätskampf zur Maxime ihrer Ideologie.
Das Assyrer-Dasein sollte wie ein Geist vertrieben werden und dabei wurden ihre assyrischorientierten Anhänger systematisch von den Kirchengemeinden ausgestoßen, da sie als „Stieranbeter“ oder „Götzenanbeter“ stigmatisiert wurden. Man behauptete sie seien zu „Ashuris“ geworden, was so viel bedeutete, dass sie an den antiken Gott „Ashur“ glaubten, gepaart mit jenem, dass sie zu der anderen Religion übergetreten seien, was in diesem Sinne, die Konversion zum „Nestorianismus“ erklären sollte. Den Frauen wurden in den Messen öffentlich die heiligen Sakramente verweigert. Kindern, denen man assyrisch-altmesopotamische Namen gab, wurden von den Priestern nicht getauft. Mit allen Mitteln wurde eine Stellung von der Kirche eingenommen, die anti-assyrisch fokussiert war und die sogar bis heute andauert. Aus diesem Grund hat sich auch der Terminus „Aramäer“ für die Assyrer im deutschen Sprachraum durchgesetzt.
Wie sich dieses Identitätsproblem der Assyrer weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. Momentane Tendenzen stellen keine Lösung im Sinne aller in Aussicht. Die aufgebauten mafiösen Strukturen der Kirchenpolitik sind dermaßen festgefroren, so dass sie ihr Monopol – keinesfalls freiwillig – abgeben wollen. Mit Kirchengeldern wird nach wie vor eine schmutzige Politik betrieben, die sich rechtfertigt im Namen der Religion und der eigenen Kirchenidentität zu agieren. Jedenfalls ist der Kampf bis heute nicht ausgefochten. Es bleibt abzuwarten, wie diese Gesellschaft das Problem unter sich lösen wird. Jedoch sollte den Menschen klar sein, dass sie trotz dieser vehementen Abgrenzung und Identitätspolitik, den einen gemeinsamen ethnischen Ursprung miteinander teilen.
Eine spannende Entwicklung, die von außenstehenden Personen mit allen wissenschaftlichen Disziplinen beackert werden kann. Psychologie, Anthropologie oder Soziologie werden Forschungsansätze liefern, Ob dieses etwas bringt, ist allein diesem Volk überlassen, da sie ihr Schicksal in der eigenen Hand haben. Dieser Artikel ist nicht im Sinne der Wissenschaft verfasst worden, vielmehr soll er gesellschaftskritisch auf die assyrischen Aramäer, aramäischen Assyrer, Suryoye, Suroye, Assyrer/Aramäer gerichtet sein. Vielleicht übt ein derartiger Appell eine Besänftigung aus. Weitere Artikel werden folgen…
Anhang
1. Anhand dieser drei Bilder kann man die Identitätsleugnung, die sich in den letzten Jahren abgespielt hat, erkennen. Das erste Bild ist im Jahre 1950 gemacht worden. Auf dem Schild hieß das syrisch-orthodoxe Sankt Markus-Kloster in Jerusalem noch „assyrisches Kloster“. Im Laufe der Jahre hat sich dieses schlagartig verändert. Beim zweiten Foto wurde Vandalismus betrieben. Das Endergebnis der Identitätsleugnung stellt das dritte Foto dar.
2. Auf diesen drei Bildern wird ein identisches Phänomen aufgezeigt. Das erste Bild ist im Jahre 1984 gemacht worden. Hier stand auf der Plakette vor dem Eingang des Kulturvereins noch „Assyrian Club“ (Assyrischer Verein). Zweites Bild zeigt noch ein antikes Assur-Symbol auf, in der aber „Assyrian“ zu „Syrian“ wurde, bis letztendlich im dritten Bild ein völlig neues Schild aufgestellt wurde, das der anti-assyrischen „Aramäer“- Bewegung.
3. „Sons of Assyria“, zu deutsch „Söhne Assyriens“, steht auf dem gut erkennbaren Schild geschrieben. Die ersten in die Diaspora gegangenen Assyrer stammten aus Kharput (Südost-Türkei), die sich als die Kinder Assyriens ansahen. Es handelt sich dabei um syrisch-orthodoxe Assyrer, die vor dem Völkermord in die USA emigrierten. In der Stadt, Kharput, wurde die ganze assyrische Bevölkerung während des Völkermords ausgerottet. Dieses Foto ist 1922 in Worcester gemacht worden.
4. Dieses Bild zeigt Waisenkinder, die den Völkermord von 1914-18 überlebt haben. Sie wurden in die von der syrisch-orthodoxen Kirche gegründeten Schule aufgenommen, die im Jahre 1922 von der türkischen Regierung geschlossen wurde und nach Libanon verlegt wurde. Ihr original Name lautet: „Beth Yatme d- Othuroye d- Qiliqiya“ (Waisenhaus der Assyrer in Kilikien). Die Schule wurde später in „Taw Mim Semkath“ umbenannt. Im Französischen wurde der Name mit „ecole assyrienne d ´Adana“ widergegeben.
Bishof Dolabani hatte seinerzeit die Position des Paten für die Schule übernommen.
5. Die assyrische Delegation, welche das Volk der Chaldo-Assyrer auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 repräsentierte und im Namen der assyrischen Nation sprach. Unter diesen befand sich Bischof Aphrem Barsaum, der spätere Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche.
Diese Vertreter gingen zu dieser Konferenz, um auf den Völkermord der Assyrer hinzuweisen und forderten ihr Recht ein, ein assyrisches Territorium für die Christen einzurichten.
6. In diesem Dokument steht geschrieben, dass sich die Anhänger der syrisch-Orthodoxen Kirche in ihrer eigenen syrischen Sprache als „Othuroye“ bezeichnen. Dieses entspricht in ihrem Selbstverständnis dem Terminus „Asouri“. So wurden die Assyrer von den ihnen umgebenen Völker der Armenier, Araber und Türken auch genannt.
7. Die heilige Maria-Kirche hat ihren original englischen Namen „Assyrian Orthodox Church“ behalten. Sie ist gegenwärtig die einzig syrisch-orthodoxe Kirche, die diesem Leugnungsprozess der eigenen Identität trotzen konnte. Ihre Anhängerschaft hat erbittert gegen die Strömungen gekämpft, diese auf „Syrian/Syriac Orthodox Church“ umzubenennen. Sie befindet sich in Paramus, New Jersey.
8. Diese Inschrift auf der Mauer der Sankt Barsaumo Kirche im Tur Abdin, Midyat, gibt folgende Worte wieder: „In den Tagen von Patriarch Afrem der Assyrer I („Othuroyo“) und Efeskuf Afrem von Turabdin [ein Bischof] aus dem Dorf Bote durch den Beitrag der Suryoye-Gläubigen im Jahre 1954.“ (diese Kirche wurde nach dem Jahr 1933 restauriert)
9. Auf diesem Hochzeitsdokument steht auf türkischer Sprache geschrieben: „Süryani Kadim Kilisesi““, was auf Englisch mit „Old Assyrian Church“ übersetzt wurde. Dieses stammt aus der Türkei (Istanbul) und wurde im Jahr 1979 vom syrisch-orthodoxen Priester, Davut Sögüt, unterschrieben.
Verfasst von Saliba Suryoyo. Soziologe, Kirchenhistoriker und Theologe
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