Begrüßung von Horst Oberkampf
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen! Wir treffen uns heute zur 20. Jahrestagung unserer „Solidaritätsgruppe“. Ich hätte damals vor 20 Jahren, also im Jahr 1993 nie gedacht, dass wir uns jemals zu 20 Jahrestagungen an verschiedenen Orten versammeln werden – in Würzburg, Augsburg, Nürnberg und München – und jetzt in der Evang. Akademie in Tutzing. Genau vor einem Jahr trafen wir uns in Nürnberg zu unserer 19. Jahrestagung. Vieles ist in diesem Jahr passiert – dazu einige Stichworte: Der Prozess, in dem das Kloster Mor Gabriel im Turabdin verwickelt ist, ist leider immer noch nicht entschieden. Der Weg wird vermutlich in absehbarer Zeit zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg führen. Die Freunde im Kloster Mor Gabriel wissen nicht, wie ihre Zukunft aussehen wird; ihre Geduld und ihre Hoffnung werden aufs äußerste strapaziert. Das Kloster und der ganze Turabdin aber darf wissen, dass viele Freunde und viele Politiker in Deutschland hinter ihnen stehen. Um so mehr freuen wir uns heute, dass Seine Excellenz Erzbischof Timotheos Samuel Aktas mit dem Erzdiakon und Malfono Isa Gülten, mit Malfono Isa Dogdu und Malfono Kuryakos Ergün hier bei uns sind, um unser 20 jähriges Jubiläum mit zu feiern. Ich hoffe, dass diese Delegation aus dem Turabdin ein wenig aufatmen kann. Malfono Kuryakos ist zugleich der Vorsitzende der Stiftung Mor Gabriel, der u.a. das Kloster vor Gericht vertritt – wie ich höre, sehr klar und souverän. Euch Vieren ein herzliches Willkommen bei uns in Tutzing! Danke, dass Ihr unseretwegen Euer Kloster im Turabdin verlassen habt. Wir wissen das sehr zu schätzen.
Der Nahe Osten ist in den letzten Monaten in Aufruhr geraten. In verschiedenen Ländern wuchs die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie, nach Menschenrechten und Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Man sprach vom „Arabischen Frühling“. Viele junge Menschen setzten ihr Leben aus Spiel. Viele mussten leider ihr Leben lassen. In Syrien hat der Präsident sogar angeordnet, auf das eigene Volk zu schießen. Das soll solange geschehen, bis die Gegner des Regimes ihren Kampf für Freiheit und Menschenrechte aufgeben. Gibt es ein größeres Unrecht als dieses? Das ist doch der Inbegriff von Unmenschlichkeit, wie sie schlimmer nicht gelebt und praktiziert werden kann. Das ist ein Verbrechen am eigenen Volk. Lassen Sie uns einige Augenblicke schweigen und an die Menschen denken, die sich für den „arabischen Frühling“ nach wie vor einsetzen. Er darf nicht wieder zur Eiszeit gefrieren.
Blicken wir in den Irak: Die Bevölkerung muss den Abzug der Amerikaner vom Dezember 2011 verkraften, die Regierung reibt sich auf, die Auseinandersetzungen in der Regierung zwischen Sunniten und Schiiten bestimmen den Alltag und lähmen die eigentlichen Aufgaben der Regierung. Die Selbstmordanschläge nehmen wieder zu vor allem in Bagdad und stürzen die Menschen im Irak immer wieder in Angst und Schrecken. Auch die Christen werden immer wieder als Zielscheibe benützt. Ich denke an die Vorgänge in Zakho und Semele Anfang Dezember 2011, wie hier sich der Hass von radikalen Islamisten gegen christliche Geschäftsleute entlud und die Polizei schaute lange zu statt aktiv einzugreifen.
Im Vorwort unseres diesjährigen Programms heißt es u.a.:
„Seit 20 Jahren besteht nun unsere „Solidaritätsgruppe“, die sich für Christen im Turabdin und im Nordirak einsetzt. Zugleich ist es die 20. Jahrestagung, die die Solidaritätsgruppe zu Themen rund um den Turabdin und den Nordirak anbietet. Dadurch ist es gelungen, in Kirche und Gesellschaft immer wieder auf die Situation der beiden Länder aufmerksam zu machen. Die Solidaritätsgruppe versteht sich bis auf den heutigen Tag als Initiativgruppe, die sich durch Besuche und Hilfsprojekte, durch Öffentlichkeitsarbeit und Kontakte zu Kirchenleitungen und politischen Entscheidungsträgern für die dort lebenden Christen engagiert. Die Christen der Region gehören zur weltweiten ökumenischen Gemeinschaft der Christen und sollen die Gewissheit haben, nicht vergessen zu sein“.
Zu unserer heutigen Tagung „Religionsfreiheit verteidigen – Christen schützen“ haben wir natürlich auch Freunde aus unserer Arbeit eingeladen. Die Freunde aus dem Turabdin habe ich schon erwähnt und begrüßt. Aus dem Irak begrüße ich herzlich Frau Janet aus Telskuf nahe Mosul gelegen, in der Nineveh Ebene. Sie ist Leiterin der Frauenorganisation „Etana“. Und Kasha Smoel Nihad Maqdis, Pfarrer Samuel aus Bagdad, der zur Kirche des Ostens gehört, einer der ältesten Kirchen unserer weltweiten Ökumene. Unser dritter Gast musste leider absagen – Seine Excellenz Erzbischof Mar Gewargis Sliva. Es tut ihm leid, schreibt er in einem email, dass er nicht kommen kann, weil er in diesen Tagen so viel zu tun hat. Er erinnert sich gerne an unser Treffen vor zwei Jahren in Nürnberg. So schickt er uns herzliche Grüße und wünscht uns allen Erfolg und ein gesegnetes Zusammensein. Ich kann nur sagen: Schade, dass er nicht kommen kann! Aber wir haben ja in Frau Janet Saleem Al-Kes und Pfarrer Samuel aktive Leute von der Basis, die uns ihre Sicht und ihre Erfahrungen heute und Morgen mitteilen werden. Daraus ergeben sich natürlich Veränderungen in unserem Programm, die Sie aus dem neu aufgelegten Programm entnehmen können.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch kurz unsere Verantwortlichen aus dem gegenwärtigen Leitungsteam der Solidaritätsgruppe vorstellen: Janet Abraham aus München, sie ist gebürtig aus Midyat im Turabdin und von ihrer Identität her Assyrerin. Sie versorgt uns immer wieder mit wichtigen Informationen und hält einen engen Kontakt zum Kloster Mor Gabriel. Sie ist unsere Expertin in Sachen „Kloster Mor Gabriel“, vor allem wenn es um die Gerichtsprozesse geht. Kirchenrat Thomas Prieto Peral aus München – er kommt aus dem Ökumenereferat der Bayrischen Landeskirche und kümmert sich leidenschaftlich um die Menschenrechtliche Situation und um ökumenische Hilfen im Nordirak und im Turabdin. Über seinen Schreibtisch gehen viele Projekte. Er ermöglicht so manch’ größeres und kleineres Projekt und weiß, welche Töpfe da sind. Zugleich koordiniert er auch unsere Arbeit mit anderen Landeskirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland und auch mit Kirchen in der Schweiz. An dieser Stelle darf ich seine Mitarbeiterin Frau Karin de la Mora vorstellen – sie ist im Büro des Ökumenereferates und hat unsere Tagung wesentlich im organisatorischen Bereich vorbereitet. So wie ich sie kennen gelernt habe, wird sie alles im Griff haben.
Weiter gehören zum Leitungsteam: Prof. Dr. Shabo Talay – er war viele Jahre an der Universität Erlangen tätig und jetzt seit April 2011 hat er eine Professur in Norwegen an der Uni in Bergen; er kommt aus dem Turabdin. Unsere Kontakte und unsere Kommunikation geht gegenwärtig ganz über email, über den PC und übers Telefon. Deshalb freuen wir uns natürlich heute ganz besonders, ihn auch mal wieder persönlich unter uns zu haben. Es war und ist für uns immer wieder ein Genuß, wenn wir als Mit-teamer an der Fülle seines Wissens über die syrischen Christen partizipieren dürfen. Kirchenrat i.R. Ernst Ludwig Vatter aus Stuttgart; er war vor seinem Ruhestand verantwortlich beim Oberkirchenrat in Stuttgart für den Bereich: Mission, Ökumene, kirchlichen Entwicklungsdienst. In seinem aktiven Dienst hat er für die Finanzierung so mancher Projekte gesorgt und hat finanzielle Absprachen mit der Bayrischen Landeskirche getroffen – ich hoffe, es wird in Stuttgart so weiter gehen, nachdem die Stelle wieder besetzt ist. Die Nord – Süd Schiene, wie wir das nannten, darf nicht verkümmern, sie muss weiter genutzt werden. Und der letzte im Leitungsteam bin ich selber, Horst Oberkampf aus Bad Saulgau, ich war Gemeindepfarrer in der Württembergischen Landeskirche und bin seit 2005 jetzt auch im Ruhestand. Ich kümmere mich seit vielen Jahren um die Christen im Turabdin und im Nordirak und gehöre zur Solidaritätsgruppe von Anfang bis heute.
Noch einen Hinweis zur Übersetzungsanlage: Wir sind dieses Mal gut ausgestattet mit Übersetzern. Das Aramäische und Arabische ist mit Experten gut vertreten, so dass wir viel Zeit gewinnen. Den Verantwortlichen vielen Dank für diese Idee. Ich hoffe, wir kommen mit der Technik klar. Wie die Anlage zu handhaben ist, wird uns gleich nachher noch mitgeteilt.
Einen kleinen Büchertisch haben wir vorbereitet. Achten Sie bitte darauf: Manches kostet etwas, anderes kann kostenlos mitgenommen werden. Außerdem läuft eine Diareihe still und leise in den Pausen über den Nordirak. Jeder kann sie anschauen, der sich dafür interessiert. Ich habe dafür meinen Labtop mitgebracht. Unsere Jahrestagung wird heute bis etwa 18.00 Uhr gehen; anschließend wird um 19.00 Uhr zum „Festlichen Empfang“ eingeladen. Einige Personen werden am Abend noch dazu kommen und nur am Empfang teilnehmen. Unsere Jahrestagung wird dann am Samstagvormittag fortgesetzt.
Und nun wünsche ich uns allen eine gute Jahrestagung, interessante Begegnungen und hilfreiche Einsichten!
Anmerkungen zum Arabischen Frühling und seinen Folgen für die Arbeit der Solidaritätsgruppe(Thomas Prieto Peral)
Vor gut einem Jahr begann der sogenannte arabische Frühling. In 12 Monaten hat sich die arabische Welt verändert, Regime wurden gestürzt, Wahlen fanden statt, Regierungen wurden eingesetzt. Es brach etwas auf im arabischen Raum, von dem wir im Westen kaum gedacht hatten, dass dies so möglich sein könnte: Die Sehnsucht einer jungen Generation nach Teilhabe am politischen Leben und vor allem nach einer wirtschaftlichen Perspektive. Erinnern wir uns kurz an den Anfang: Am 17. Dezember 2010 verbrennt sich in Tunesien der junge Gemüsehändler Mohamed Bouazizi, weil er für sich selbst keinerlei wirtschaftliche Perspektive mehr sieht. Als YouTube-Video geht diese Verbrennung um die Welt und entfacht in Tunesien selbst einen Sturm der Entrüstung gegen das diktatorische Regime des Diktators Zine el- Abidine Ben Ali. Schon vier Wochen später, am 14. Januar 2011, flieht der Diktator aus Tunesien und eine Übergangsregierung wird gebildet. Nur wenige Tage später, am 25. Januar, kommt es in Ägypten zur ersten Demonstration gegen Armut, genannt der „Tag des Zorns“. Anfang Februar greifen die Demonstrationen auf Libyen über. Das war die Zeit, in der die Welt, vor allem auch wir im Westen, von einer Euphorie ergriffen wurden. Was für ein Sturm fegte da über Nordafrika! Endlich machte sich in der bleiernen Beharrlichkeit arabischer Diktaturen die Macht der jungen Generation Luft, die Generation der 20-30-Jährigen, die zu Recht nach der Zukunft fragt. Endlich schien ein Ende gekommen zu sein für die anachronistischen Feudalregime Nordafrikas und Arabiens.
Ein Jahr später sind wir nun hier bei der Jahrestagung der Solidaritätsgruppe zusammen und fragen doch besorgt, was ist von diesem arabischen Frühling geblieben. Im Nachbarland zu Türkei und Irak, in Syrien massakriert der Alleinherrscher sein Volk, der UNO-Sicherheitsrat muss nach dem Veto Russlands und Chinas hilflos zusehen. In Ägypten bringen die Wahlen der Muslimbruderschaft die meisten Sitze im Parlament, auch die Salafisten schneiden gut ab. Kirchen in Ägypten müssen von der Polizei beschützt werden. Die moderaten Kräfte haben kaum eine Chance, an der Regierung beteiligt zu sein. In Libyen konnte Gaddafi zwar nach bitteren Kämpfen gestürzt werden, aber schon mahnt Amnesty International auch die Revolutionsregierung, ihre Gefangenen nicht zu foltern und sie neue Zeit nicht mit den Fehlern der alten Zeit, mit Menschenrechtsverletzungen zu beginnen. Im Irak selbst blieb der arabische Frühling fern, das Land versinkt 2011 ein weiteres Mal im Terror, immer wieder müssen die Menschen dort erleben, dass die Regierung des Zentralirak keine Sicherheit gewähren kann oder gewähren will. Mit dem Abzug der Amerikaner eskaliert in Bagdad der Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten, ein Teil der Regierung flieht in den kurdischen Teil des Irak. Die Türkei wiederum sieht ihre Chance als neue Großmacht des Nahen Ostens, Ministerpräsident Erdogan lässt sich in Ägypten feiern und preist die Türkei als Vorbild. Und seine AKP dienst den Muslimbrüdern als Referenz bei ihrem Weg in die Parlamente. Aber was ist mit den Christen? Sind sie die Verlierer des arabischen Frühlings? Oder trifft gar zu, was die deutsche Bundestags-Abgeordnete Ute Granold jüngst sagte: Es ist nicht nur ein arabischer Frühling, sondern auch ein christlicher Winter? Was beobachten wir von der Solidaritätsgruppe in unseren Ländern, in denen wir arbeiten? Und was bedeutet die Entwicklung für unsere Solidaritätsarbeit überhaupt? Ich möchte dazu gerne am Anfang dieser Tagung einige Gedanken formulieren, um anzuknüpfen an dieses ereignisreiche Jahr. Und ich hoffe, dass wir dann darüber ins Gespräch kommen.
Der Auslöser der tunesischen Revolution, die öffentliche Selbstverbrennung des jungen Gemüsehändlers in den Straßen von Sidi Bouzid, war das Fanal eines Hoffnungslosen, eines jungen Menschen, der für sich keine wirtschaftliche Zukunft mehr sah, der an sich das Elend des Landes sichtbar machen wollte, die breite Verarmung der Menschen. Dies war seine Botschaft, und in kürzester Zeit brach sich der wirtschaftliche Frust seine Bahn und wurde zu einer mächtigen Woge des Protestes. Die Karikaturen, die über Handy und Internet weitergereicht wurden, um die Menschen auf die Straße zu holen, zeigten den Diktator Ben Ali als Bettler in Lumpen und seine Frau als Müllsammlerin – der absurde Reichtum der Herrscherfamilie zog die Wut auf sich all derer, die sich um ihr Leben betrogen fühlten. Der Beginn des arabischen Frühlings war zuerst der Aufstand gegen Armut und gegen Herrscher, die ihren eigenen Reichtum schamlos vergrößern. Der deutsche Journalist Adrian Lobe bezeichnet in der Neuen Zürcher Zeitung vom 9.11.2011 die Proteste daher auch als „Wohlstandsrevolten“, als die Aufstände einer Schicht, die bereits ahnt, was Mittelschicht sein könnte, aber keine Chance hat, dorthin zu kommen. Ich finde diese Analyse sehr treffend und sie greift tiefer als die gängige Rede von der Facebook-Revolution. Über die Medien wissen viele junge Menschen heute, was Mittelschicht heißt, ihnen ist es plausibel, dass eine gerechtere Verteilung von Einkommen, Bildung und beruflichen Möglichkeiten zu mehr Lebensmöglichkeiten führt. Sie wollen ihre Kreativität im Beruf einbringen, unternehmerisch tätig sein, sich austauschen dürfen. Aber sie erlebten die Oligarchien ihrer Länder und trauten ihren Regimen in keiner Weise mehr zu, ihnen den Weg in diese Mittelschicht zu eröffnen. Interessant ist dabei die Tatsache, dass auch in Israel im Jahr 2011 eine Wohlstandsrevolte ausbrach, als etwa in Tel Aviv Studierende wochenlang campierten aus Protest gegen hohe Wohnungspreise. Es war dies das erste Mal, dass es innerisraelische Sozialproteste in dieser Form gab.
Es war sicher kein Zufall, dass in allen drei Ländern, die zuerst vom Protest ergriffen wurden, in Tunesien, Ägypten und Libyen, schon länger Gerüchte kursierten, es stünde ein dynastischer Herrschaftswechsel an. Denn seit dem Machtübergang von Hafi Al-Assad im Jahr 2000 auf seinen Sohn Bashar musste damit gerechnet werden, dass auch außerhalb der Königshäuser Arabiens die Macht nur noch innerfamiliär weitergeben wurde – vor allem im modernen Ägypten war dies bisher nicht denkbar gewesen. Vermutlich war die Aussicht auf eine dauerhafte Abhängigkeit der Länder von ihren selbsternannten Herrscherfamilien ein Faktor, der den inneren politischen Druck erheblich verstärkte und die Menschen auf die Straßen trieb.
Die sozialen Aufstände Nordafrikas weckten im Westen die Hoffnung, es handle sich bei den Protesten um eine Demokratiebewegung. Das war zwar nicht in dem Sinne falsch, dass es nicht auch Forderungen nach Demokratie auf dem Tahir-Platz gab. Aber es gab und gibt bis jetzt keine ausformulierte Idee von dem, was Demokratie unter nahöstlichen Verhältnissen bedeutet und wie Demokratie und Religion in einem für die Bevölkerung akzeptablen Verhältnis zueinander stehen. Es gibt bis jetzt keinen Jean-Jacques Rousseau des Orients, der geistiger Wegbereiter einer adaptierten Form von Demokratie und Gewaltenteilung sein könnte. Auch die französische Revolution war, als sie ausbrach, ein sozialer Aufstand gegen den Adel und das Königshaus. Aber die Revolution konnte zurückgreifen auf politische Modelle, die in der Aufklärung schon durchdacht waren. Das ist im arabischen Frühling anders. Sicher ist allerdings, dass die westlichen Modelle von Demokratie nicht naiv übertragen werden können auf die Gesellschaften des Nahen Ostens. Obwohl das westliche Demokratieverständnis Hand in Hand ging mit der Säkularisierung und mit der Trennung von Staat und Kirche, also ein weltliches Modell ist, so fußt es doch auf einem Menschenbild, das christlich geprägt ist, nämlich dem freien Individuum, das allein seinem Gewissen verpflichtet ist und um das herum Staat und Gesellschaft organisiert wird. Vermutlich wird Demokratie im Nahen Osten auch oder vor allem andere Werte als Grundlage benennen: Etwa den Wert der Gemeinschaft, den Wert von Loyalitätsbeziehungen in Familien und Stämmen, aber auch den Wert von Religion.
Es gibt ja Erfahrungen, die hier schon Anhaltspunkte bieten: So hat sich im kurdischen Norden des Irak eine relativ säkulare Form einer orientalischen Demokratie entwickelt, die stark auf Familien- und Stammesloyalitäten baut. Die Regierung ist vergleichsweise stabil, allerdings haben die Ausschreitungen in Zakho und Sumail im Dezember letzten Jahres gezeigt, dass es – wenn auch nicht in breitem Maße – Widerstand gegen dieses säkulare System gibt. Es böte auch Christen im Grunde eine Möglichkeit, mit ihrer Religion und ihrem Herkommen gleichberechtigt am politischen Leben teilzuhaben. Ob die Kurdische Demokratie aber wirklich stabil ist, wird sich womöglich zeigen, wenn dereinst ein Machtwechsel von Barzany auf eine andere Person oder Partei ansteht. Der Machtwechsel als Wesensmerkmal der Demokratie gibt Aufschluss darüber, ob die funktioniert, das gilt sicher kulturübergreifend.
Im Libanon gibt es ein anderes Element orientalischer Demokratie, das bemerkenswert ist. Im Personenstandsrecht, also zu Hochzeit, Scheidung, Familienangelegenheiten usw., gelten die jeweils religiösen Rechte für die betreffenden Menschen, für Muslime die Scharia und für Christen christliches Recht – ein im Westen undenkbarer Zustand, aber womöglich sinnvoll unter den Bedingungen des Nahen Osten.
Es gibt eine breite Debatte dazu aber leider noch nicht. Wie gefährlich die Entwicklungen des arabischen Frühlings nun aber für Christen werden können, wurde durch die Übergriffe auf koptische Kirchen etwa ab dem Sommer bewusst. Zu Beginn der Demonstrationen in Ägypten und bei den ersten großen Konfrontationen mit dem Militär auf dem Tahir Platz gab es noch Bilder, die uns hoffen ließen, eine neue Kultur der Toleranz würde sich Bahn brechen. Man sah junge Frauen mit Koran und Kreuz in der Hand, es wurde berichtet, wie Muslime an Sonntagen Ringe um Kirchen bildeten und Christen am Freitag ebensolche Schutzmauern um Moscheen. Aber dann kam es zu immer schlimmeren Übergriffen auf christliche Kirchen und auf Gläubige. Jüngster Zwischenfall war am 28. Januar der Überfall von 3000 Muslimen auf ein christliches Dorf in der Nähe von Alexandria, nachdem das Gerücht gestreut worden war, ein Kopte habe mit seinem Handy ein intimes Bild einer Muslima aufgenommen. Die Feuerwehr wurde an der Löschung gehindert, das Militär brauchte fast Stunde aus der 2 km entfernten Kaserne – eine Tatsache, die sich leider immer wieder bei Angriffen auf Christen wiederholt, das extrem langsame Eingreifen der Sicherheitskräfte. Der Übergriff vom 28.1. war von Salafisten angezettelt worden, die – anders als die Muslimbrüder – tatsächlich eine Bereinigung Ägyptens wollen, die Vertreibung der Christen.
Über den Wahlerfolg der islamistischen Parteien in Ägypten sagte jüngst ein deutscher Publizist, die Mehrheit der Bevölkerung sei niemals revolutionär, sondern konservativ. Revolutionen werden stets von Eliten vorangetrieben, das Pendel schlägt zurück und es kommt zum Ringen der Kräfte um Einfluss. Vielleicht ist dies so. Viele Ägypter der jungen Generation, die auf dem Tahir-Platz angefangen hatten, sagen heute, die Muslimbrüder und die Salafisten werden scheitern, weil sie kein politisches Programm haben. Die Menschen würden bald merken, dass die Intention des Umsturzes, die soziale Gerechtigkeit, mit ihnen nicht kommen werde. Die Entzauberung der Extremisten sei das wirkungsvollste Mittel, sie politisch zu entmachten. Nur die wenigsten sehnten einen Gottesstaat herbei, die meisten wollten einfach ihr Auskommen haben. Ich halte das für durchaus plausibel und es wäre eine erst einmal eine gute Entwicklung, wenn der Islamismus im Land mit der größten christlichen Minderheit entzaubert würde oder doch zumindest zu einer pragmatischen Politik finden müsste.
In der Solidaritätsgruppe haben wir mit den Christen der umliegenden Länder nicht direkt Kontakt, aber es ist uns natürlich bewusst, dass deren Schicksal zusammenhängt mit dem der Schwestern und Brüder im Irak und in der Türkei. Verschiedene Punkte sind bei unserer Arbeit wichtig:
- Wir haben in unserer Arbeit immer wieder erlebt, wie wertvoll der persönliche ökumenische Kontakt mit den Christen vor Ort ist. Ihr seid nicht vergessen, das ist DIE Botschaft der Solidaritätsgruppe. Bei mir kommen nun z.B. viele Fragen aus unseren Gemeinden, wie wir den Christen in Ägypten oder auch in Syrien helfen können. Wir versuchen hier, global zu denken und uns zu vernetzen. Die besten ökumenischen Kontakte nach Ägypten hat unsere lutherische Schwesterkirche in Schweden. Es ist gut, deren Arbeit zu unterstützten und ihre Kanäle zu nutzen, das tun wir auch. Nach Syrien gibt es vor allem über den ÖRK Kontakte. Der ÖRK hat erst gestern einen Solidaritätsbrief an die Kirchen in Syrien veröffentlicht (Eine wichtige Rolle für die Unterstützung der Christen in Ägypten (und anderswo) spielt der christliche TV-Sender Sat7, den auch viele Muslime schauen. Mit dessen Büro in Kairo gibt es Kontakt, es wird im Moment eine Serie mit Unterstützung unserer Landeskirchen geplant – immer in Zusammenarbeit mit den lokalen Kirchen.)
- Der Ursprung der Solidaritätsarbeit war die Begegnung mit Flüchtlingen aus dem Turabdin. Auch aktuell kommen wieder viele Flüchtlinge nach Deutschland, diesmal aus dem Irak. Als christliche Kirchen in Deutschland sehen wir uns diesen Flüchtligen gegenüber in Verantwortung und respektieren ihre Entscheidung, die Heimat zu verlassen, so sehr dies auch schmerzt. Wir haben eine Botschaft in zwei Richtungen: Wer immer heute im Irak bleiben kann, den wollen wir unterstützen. Wer aber gehen muss – und niemand geht leichtfertig und verlässt seine Heimat – der darf in Deutschland auch auf ökumenische Solidarität rechnen. Und dies gilt gegenüber allen Flüchtlingen aus dem Irak – der größte Teil sind im Moment Kurden.
- Als Solidaritätsgruppe sehen wir es als unsere Aufgabe an, Politisch Verantwortliche auf ihre Pflicht anzusprechen, Minderheiten zu schützen und Religionsfreiheit sicher zu stellen. Wir sind dankbar, dass an verschiedener Stelle ein solcher – oft kritischer – Dialog stattfindet. Die Regierung der Autonomen Provinz Kurdistan empfängt uns bei allen Besuchen stets hochrangig, sie ist mit Herrn Sternberg-Spohr auch hier vertreten. Mit einigen Gouverneuren in der Südosttürkei gibt es Kontakte. Nicht zuletzt finden wir Unterstützung bei der deutschen Bundesregierung und einigen sehr engagierten Abgeordneten des deutschen Bundestages. Dafür sind wir dankbar. Wir suchen einen kritischen Dialog, der aber trotzdem nicht von Misstrauen geprägt ist. Wir setzen uns bei diesen Gesprächen explizit für Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Christen ein. Dahinter steht aber ein Verständnis von Religionsfreiheit, dass umfassend ist. Rechte und Freiheit für Christen werden dort am besten gewährleistet, wo Rechte und Freiheit für alle Religionen bestehen. Die universelle Religionsfreiheit ist der einzige Weg zu echtem Schutz der Christen. Es kann nicht um Privilegien oder gnadenhalber gewährte Sonderrechte für eine bestimmte Religionsgruppe gehen, all das ist vorübergehend. Es kann auch nicht um autonome Zonen gehen, in denen die Verhältnisse nur umgekehrt sind zu den sonstigen – eine Gruppe herrscht, die anderen werden geduldet. Wer wirklich Freiheit und Gleichheit für Christen will, muss sie konsequent auch für alle anderen Religionen wollen. Ich weiß, dass dies viel Stoff zur Diskussion gibt, auch innerhalb des Leitungskreises der Solidaritätsgruppe. Aber weil wir hier sagen, der Islam gehört zu Deutschland, können wir dort glaubwürdig sagen, das Christentum gehört in die Türkei, nach Kurdistan, es gehört zum Irak und auch zu Ägypten.
- Es ist tragisch, dass in dieser Zeit großer Bedrängung der Christen die wichtigste Organisation der Christen dort, der Middle East Council of Churches, nicht mehr funktioniert. Es fehlt die gemeinsame Stimme der Christen über Grenzen hinweg. Daher ist es gut, wenn sich immerhin auf nationaler Ebene Kirchen zusammentun und gemeinsam im Sinne des Friedens Position beziehen. In Syrien ist dies mit dem gemeinsamen Wort der drei Patriarchen vom 15.12.11 ansatzweise geschehen, der irakische Christenrat existiert, aber agiert leider nicht. In Ägypten tut sich die koptische Kirche schwer, Allianzen zu bilden. Wie kraftvoll die gemeinsame Stimme sein kann, hat sich in Kairo am aber 11.11.2011 gezeigt, als sich im Stadtteil Mokattam in der dortigen Höhlenkirche über 70.000 Menschen zu einem ökumenischen Friedensgebet versammelten. Die Kraft des gemeinsamen Gebets, die Kraft des gemeinsamen Friedenszeugnisses. Wir können nur an die Kirchen vor Ort, auch im Irak und in der Türkei appellieren, sich nicht in die Vereinzelung treiben zu lassen und sich nicht zu verfangen in Eigeninteressen, sondern das Evangelium gemeinsam zu vertreten. Diese Stimmen werden gehört und respektiert, dessen bin ich mir sicher.
Der arabische Frühling hat schon viele dunkle Wolken gesehen und er hat die Situation vieler Christen aktuell eher verschlechtert. Aber wenn die Christen der Länder dort den Ursprung der Revolution aufgreifen würden und zu einer gemeinsamen prophetischen Stimme gegen Armut und Ungerechtigkeit fänden, hätten sie in allen Ländern, auch dem Irak und der Türkei, eine wichtige Botschaft und mit Sicherheit hohes Ansehen. Diese Themen dürfen nicht den Islamisten überlassen werden. Das wäre dann wirklich das Scheitern des arabischen Frühlings.
Wir aber beten und arbeiten dafür, dass unsere gemeinsame Religion, der christliche Glaube, eine Zukunft hat in den Ländern des Nahen Ostens.
Bericht über die gegenwärtige Situation in Turabdin (Timotheos Samuel Aktas)
Sehr geehrte Bischöfe, Pfarrer, Priester, Meine Damen und Herren,
Ich möchte zuerst den Mitgliedern der Solidaritätsgruppe Turabdin und Nordirak für die Einladung meiner Mitarbeiter und mir zu dieser Versammlung danken, um Sie über die Situation unserer Diözese von Turabdin zu informieren. Wir haben im letzten Jahr einige erfreuliche Entwicklungen gehabt. Viele von Ihnen, die für den Turabdin arbeiteten, werden es kaum glauben, dass einige dieser Entwicklungen eines Tages wahr wurden. Wir müssen zugeben, dass auch wir, die die Schwierigkeiten in der Region erlebten, auch nicht dachten, dass wir eines Tages die Öffnung des Kloster Mor Augin für den Dienst, von Gott und Volk erleben würden. Heute kann ich Ihnen die guten Nachrichten gerne geben, dass ein Teil des Ziels, wofür Sie für Jahre gearbeitet haben, sich entwickelt hat und für den Dienst Gottes Früchte brachte. Wir hatten ein schwaches Vertrauen zu diesen Entwicklungen, aber Gott, der sah, dass wir an ihn mit kleinem Vertrauen herangegangen sind, hat unser Vertrauen gestärkt. Er hat uns so reich beschenkt und bewies noch einmal, dass, wo immer sich zwei in seinem Namen versammeln, er der Dritte unter ihnen ist. Wir danken ihm für seine Gnade und sein Erbarmen. Die Entwicklungen geschahen natürlich nicht ohne Schwierigkeiten. Es hat eine Menge Behinderungen gegeben, die uns stoppten dagegen vorzugehen. Wir haben die Dorfgemeinschaften ermutigt, Seelen gestärkt, Köster geöffnet und Kirchen renoviert. Das geschah aber nicht ohne Probleme. Aber wir hörten nicht auf und verwirklichten dieses mit Ihrer moralischen Unterstützung und im Vertrauen auf Gott der unsere Hoffnung ist. Auf der einen Seite werden neue Gesetze eingeführt und wir sind als gewöhnliche Bürger behandelt worden. Nun werden wir aufgefordert unsere Ideen in eine neue Verfassung einzubringen und die Anliegen zur Rückgabe von Eigentum der Minderheiten. Auch dass ein Syrer Mitglied des türkischen Parlaments werden würde, ist uns nicht einmal in den Gedanken gekommen. Jedoch sehen wir auf der anderen Seite Schwierigkeiten, denen wir ausgesetzt sind. In einem Geschichtslehrbuch für die 10. Klasse in staatlichen Schulen, werden die Syrer als Verräter beschrieben oder die Beschlagnahmung von christlichen Eigentums, oder die Unkenntnis darüber, Christen und ihre Kirchen und Klöster zu schützen. Dies lässt Zweifel aufkommen, ob die Entwicklungen auf einem guten Weg sind.
Gerichtprozesse um das Kloster Mor Gabriel
Lassen Sie uns einen Blick auf eines der Probleme werfen, die unsere Diözese in diesem Jahr, wie in den vergangenen Jahren beschäftigt haben. Es geht um die Gerichtsverfahren des Klosters Mor Gabriel, die noch immer zu keiner Lösung gekommen sind. Dies hat uns unter besonderen Druck gesetzt, moralisch verletzt und finanziell belastet. Es gibt vier Hauptgerichtsprozesse, die weitergehen. Drei von ihnen wurden zum obersten Gericht in Ankara weitergeleitet. während das Strafverfahren gegen den Vorsitzenden der Stiftung immer noch vor dem lokalen Gericht in Midyat weitergeht. Das oberste Gericht hat die endgültige Entscheidung getroffen, die den Forstwirtschaftsfall betrifft. Dank der Organisation „Zeichen der Hoffnung“, wurde uns ermöglicht, es zum Europäischen-Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Das oberste Gericht entschied auch bezüglich des Finanzfalls, aber der Richter in Midyat lehnte die ungerechte Entscheidung ab, und die Akte wurde dem obersten Gericht zurückgeschickt. Der andere Fall ist der Grenzverlauf. Das lokale Gericht hatte zugunsten des Klosters entschieden, aber das oberste Gericht hat es zum Verwaltungsgericht in Mardin zurück verwiesen. Auf diese Art wurde während der letzten Zeit zwischen den Nachbardörfern und dem Kloster und auf der anderen Seite zwischen dem Finanzministerium wegen der Forstwirtschaftsfälle mit dem Staat prozessiert. Wir sind der evangelischen Kirche in Württemberg und den Kirchen in der Schweiz für ihre finanzielle Unterstützung bei diesen Gerichtsprozessen dankbar. Was geschieht, wenn wir diese Gerichtsprozesse verlieren? Wir verlieren das Land als Eigentümer des Klosters seit seiner Gründung, seit dem es der Klosterbesitz ist. Warum sollte es deshalb beschlagnahmt werden? Wir haben die Beweise, die zeigen, dass die Frage des Eigentums 1935 geklärt wurde, und die Nachweise, dass von 1937 an dafür Steuern bezahlt wurden. Wir sind darüber besorgt, falls das Land an das Staatsfinanzministerium geht, dass es mit schlechten Absichten verkauft werden kann. Um zur Belästigung eine Moschee zu bauen. Für uns als Christen dort zu wohnen, wird äußerst schwierig sein. Dies ist einer der Gründe, warum wir die Wand höher um den Garten um das Kloster gebaut haben. Das Staatsfinanzministerium stellt einen Anspruch auf 12 Parzellen, die sich auf 244.265 qm summieren sowie auf 275.469 qm Land auf das das Forstamt Anspruch erhebt.
Wir haben mit allen Mitteln versucht, um eine friedliche Lösung zu erreichen. Wir gingen zu allen zuständigen Verwaltungen, begonnen bei den Kommunalbehörden bis zu den höchsten, aber bisher ohne Ergebnis. Wir haben im März 2011 unseren Patriarchen, seine Heiligkeit Zakka Iwas begleitet, mit einer Delegation von drei anderen Bischöfen zu einem Besuch beim Präsidenten und dem Premierminister in Ankara und haben beiden die Angelegenheit beschrieben.
Aus dem gleichen Grund machten wir mit Erzdiakon Malfono Isa Gülten und dem Vorsitzenden der Klosterstiftung Kuryakos Ergun und unserem Rechtsanwalts Rudi Summierer in 2011 bei MdB Volker Kauder, Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, auch einen Besuch um ihm Information über die Situation des Klosters zu liefern. Herr Kauder zeigte große Bereitschaft das Kloster von Mor Gabriel zu unterstützen und sagte, dass sie ihr Bestes tun wollen, um sich zu stellen, dass alles auf faire Weise zugeht.
In der gleichen Zeit kamen wir auch mit Bischof Dr. h. c. Frank Otfried July von der Evangelische Lutherischem Kirche in Württemberg und mit Pfarrer Dr. Gottfried Locher, dem Präsidenten des Rates der Föderation der Schweizer protestantischen Kirchen, in Zürich zusammen. Beide hießen uns herzlich willkommen und zeigten uns ihre große Solidarität und Unterstützung. Wir haben auch Besprechungen mit vielen anderen Diplomaten bezüglich dieser Angelegenheit gehabt. Auch kamen 19 Botschafter verschiedener Länder zusammen mit 3 anderen Vertretern der EU zusammen ins Kloster, um uns ihre Solidarität zu zeigen. In unserer Besprechung mit ihnen haben sie erfahren, dass das Problem nicht zwischen den Nachbardörfern und dem Kloster liegt, sondern zwischen dem Staat und dem Kloster. Sie erfuhren auch, dass dasselbe Problem in einigen anderen christlichen Dörfern in Turabdin, in Dayro daSlibo, Bsorino, Bokusyone, Derkube und Midun auftritt.
Mor Augin Kloster
Diese Probleme des Klosters haben uns eine schwierige Zeit beschert. Durch die Eröffnung des Klosters von Mor Augin wurden wir aber sehr erfreut. Das Kloster von Mor Augin, wurde 363 n.Chr. gegründet. Das Kloster, das in den letzten 40 Jahren unbewohnt geblieben war, wurde mit einer Feier der heiligen Eucharistie am Himmelfahrtstag im Juni 2011 geöffnet. Nachdem die notwendigen Gebäudeteile für die Unterkunft gereinigt und renoviert waren, wurde das Kloster der Pflege von Vater Yoken Unval anvertraut. Das Kloster trägt den Titel eines der ältesten aktiven Klöster heute in der Welt. Aber noch wichtiger ist, dass es eine große Unterstützung für die Christen in der Nachbarschaft und ein großer Trost für die Christen in Turabdin und eine Ermutigung für die ist die im Ausland leben. Fr. Yoken (37) stammt aus Urdnus in Turabdin, und er kam ins Kloster aus freiem Willen, mit der Erlaubnis seiner Heiligkeit des Patriarchen. Wir glauben, dass er ein Geschenk von Gott für Turabdin ist.
Kloster von Mor Yakup D ‚ Karno
Die Eröffnung dieses Klosters ist eine Ermutigung geworden, damit ein anderes Kloster in Turizlo eröffnet werden kann: das Kloster von Mor Yakup, das auch als Kloster von Karno (Gipfel) bekannt ist. Das Kloster wurde im Jahr 1172 von einem Kuryakos genannten Mönch gegründet, der ein berühmter Schriftgelehrter von der Heiligen Schrift war. Das Kloster blieb bis vor 35 Jahren offen, als es wegen der Schwierigkeiten in dieser Gegend evakuiert wurde. Heute erledigen die Dorfbewohner von Badebe die notwendigen Reparaturen des Klosters, unter der Schirmherrschaft von unserer Erzdiözese Turabdin. Bruder Hanna Aho (36) kam mit der Erlaubnis vom Patriarchen und mit unserer Zustimmung zu uns. Er wird im Kloster einziehen, wenn die notwendigen Reparaturen fertig sind, und wenn er nicht von bürokratischen Verfahren davon abgehalten wird.
Renovierung von Kirchen
In diesem Jahr ließen wir einige Kirchen im Turabdin renovieren und wieder eröffnen. Die Kirche von Mort Shmuni wurde hauptsächlich von innen renoviert. Die Kosten trugen die Christen von Midyat. Im Mai 2011 wurde sie unter Gebet wieder eröffnet. Eine andere Kirche, die dieses Jahr renoviert wurde, war Mor Afrem und Mor Theodoros im Arkah. Die Kirche wurde im August 2011 im Beisein von vielen Menschen aus der Heimat und aus dem Ausland wieder eröffnet. Die Kosten wurden vom Dorfverband von Arkah aus einer Anzahl von Quellen gesammelt. Die evangelische Kirche von Württemberg unterstützte die Reparaturen mit einem großzügigen Zuschuss.
Seminar für die Lehrer von Turabdin
Wie im Vorjahr versammelten wir im September die Lehrer der Kirchenschulen des Turabdins im Kloster von Mor Gabriel. Das Seminar soll ihnen helfen, ihre Lehre und ihre Fertigkeiten zu verbessern. Dr. Josef Önder und die Lehrer von Mor Gabriel haben vor eine Serie von neuen Büchern für den Bedarf der Kirchenschulen zu erarbeiten. Im Jahr 2011 erarbeiteten sie auch nach dem deutschen Schulsystem ein Lehrprogramm für die Schulen vor. Nach dem Seminar erhielten fünf der Lehrer Overhead-Projektoren für ihre Schulen. Die Schulen erhielten auch Bücher und die Kirchen in Turabdin Stolen für die Priester, die von der Evangelischen Kirche in Württemberg finanziert wurden. Wir sind auch der Organisation „Zeichen der Hoffnung“ dankbar, für die Teilfinanzierung der Gehälter für die Lehrer im Turabdin.
Verstorbener Klerus und neue Ordinationen
Im August 2011 starb Vater Malke Tok (78), der im Dorf von Midun etwa 50 Jahre dort seinen Dienst als Priester tat. Als Nachfolger ordinierten wir am 29 vom Januar 2012 Diakon Shemun Ucar (34) als Priester. Im November 2010 hatten wir Malfono Lahdo Barinc (42) als Diakon für dasselbe Dorf ordiniert. Im September 2010) starb der frühere Abt vom Kloster Deyrulzafaran Vater Abrohom Turker (74. Im November desselben Jahres starb Sr. Feride Citgez (81). Sie wurden im Kloster Mor Hobel und Mor Abrohom in Midyat bestattet, wo sie jeweils ihre letzten fünf Jahre verbrachten. In unserer Erzdiözese von Turabdin dienen gegenwärtig 10 Mönchspriester, 6 Pfarrer, 22 Nonnen, 1 Erzdiakon und 4 Diakone.
Symposien in Turabdin
Es hat mehrere internationale Symposien in Turabdin in den letzten Jahren gegeben, die anders als die vorherigen Symposien waren. Eines war das internationale Symposium von Idil (Hazak). Von der „Vergangenheit zur Gegenwart„ das im März 2011 stattfand. Das Symposium wurde von der Universität Sirnak organisiert. Sirnac wird nur noch von wenigen Christen bewohnt. Syrnac war vor einigen Jahrzehnten fast ausschließlich christlich. Die Stadt hat heute etwa noch 10 christliche Familien unter einer Bevölkerung von über 30.000 Moslems. Ein anderes internationales Symposium, durch die Pro Oriente Stiftung gefördert, wurde im Mai 2011 an der Universität Mardin durchgeführt. Das Symposium hatte den Titel: „Kultur, Sprache und Religion“: Syrische Studien als Brücke eingelöster Bemühungen, um die Wichtigkeit der syrischen Studien und der syrischen Christen für den Bereich zu zeigen. Dies war ein Thema, worüber man bis vor einem Jahrzehnt nicht leicht reden konnte. Das letzte internationale Symposium, das von der Mardin Artuklu Universität organisiert wurde, fand in Midyat unter dem Titel ‚“Kesf i Kadim“ statt: Von Matiate zu Midyat ‚ im Oktober 2011. Die Reden am Symposium waren über die Vergangenheit und Gegenwart von Midyat, aus einer soziologischen, kulturellen, religiösen, politischen und ökonomischen Perspektive. Einer der Sprecher, der holländischen Prof. Dr. Martin V. Bruinessen sagte, dass er die Region über 40 Jahre studiert hat und während dieser Zeit viele Änderungen in Vergleich mit den 1970ern miterlebte. In seiner Eröffnungsrede sagte er, dass Syrische Menschen auch dem Massaker an den Armeniern an der Wende des 20. Jahrhunderts ausgesetzt waren. Er sagte auch, dass er sehr erfreut ist, ein Land zu sehen, das die Rechte und kulturelle Rechte den ethnischen Gruppen zurückgibt. Ein anderer Sprecher, Altan Tan, der Abgeordneter der BDP ist (Friedens- und Demokratiepartei) sagte in seiner Rede, dass es dies in Seifo im Jahr 1915 gegeben hat. Er sagte auch, dass man zugeben muss, dass die Leute gelitten haben in jenen Tagen, als die Bevölkerung des Landes aus 13 Millionen bestand eine Million und 200tausend waren Armenier. Heute hat die Türkei 75 Millionen Einwohner, während die armenische Bevölkerung nur noch aus 40.000 besteht.
Positive Entwicklungen im Land
Es gibt Entwicklungen, die in Richtung Verbesserung der religiösen und kulturellen Freiheit und Rechte der nicht-muslimischen Minderheiten zeigen, aber wir sind ihrer Aufrichtigkeit nicht ganz sicher. Im Jahr 2011 fanden einige Kurse der syrischen Sprache in der Mardin Artuklu Universität statt. Studenten, Moslem und Christen freuten sich alle, sie zu besuchen. Wir verstehen allerdings nicht, wenn Kurse an der Universität gegeben werden können, warum die Religions- und Sprachklassen in unseren Kirchenschulen verboten sind.
Eine andere Entwicklung ist, dass ein Christ Mitglied im türkischen Parlament wurde. Erol Dora, ein Syrer, christlicher Rechtsanwalt von Hassana in Turabdin. Er kandidierte bei der BDP, (Friedens- und Demokratiepartei) und wurde im Jahr 2011, Dank der kurdischen Wähler gewählt. Es ist eine große Freude, dass wir Herrn Dora im Parlament haben.
Im August 2011 unterschrieb die türkische Regierung ein historisches Gesetz, um Liegenschaften an nicht-muslimischen Minderheitsstiftungen zurückzugeben. Entsprechend dem neuen Gesetz, können Minderheitsbesitze, auf die Anspruch in der 1936 Erklärung erhoben wurde, aber aus welchem Grund auch immer sie auf dem Namen ihrer rechtmäßigen Eigentümer nicht amtlich eingetragen waren, werden sie an den Eigentümer solche Liegenschaft, vielleicht Schulen, Kirchen, Geschäfte, Häuser, Gebäude, Friedhöfe, Fabriken usw., die als öffentlich angemeldet worden waren, oder Stiftungsbesitz. Die Stiftungen haben 12 Monate Zeit um die Rückgabe zu beantragen. Die Stiftungs-Versammlung überprüft dann den Fall, um zu sehen, ob der Bewerber Recht über das Eigentum der Liegenschaft hat. Im Fall des rechtmäßigen Anspruchs bezahlt das Finanzministerium oder das allgemeine Direktorat für Stiftungen einen Betrag, der vom Finanzministerium bestimmt wird. Dieses Gesetz wurde eingeführt, um die Türkei von einem großen Betrag an Ausgleichzahlungen an Minderheiten zu bewahren, die möglicher Weise für ihre Stiftungen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen würden. Das neue Gesetz wurde von den Minderheiten begrüßt, obwohl es als unzulänglich betrachtet wird. Es schließt nicht die Liegenschaften ein, die von Dritten verkauft werden, und die Liegenschaften wie Friedhöfe, die in der Erklärung 1936 nicht enthalten sind. Auch wenn die Liegenschaften im Jahr 1936 deklariert wurden, aber der Anspruchsteller es nicht mit Dokumente beweisen kann, ist es schwierig, es zurückzubekommen. Viele Dokumente für solche Liegenschaften gingen leider verloren. Obwohl das neue Gesetz einige wichtige Änderungen gebracht hat, ist es eine mangelhafte Lösung. Für einige Stiftungen sind es ernste Schwierigkeiten. Auch der Zeitrahmen von 12 Monaten ist nicht ausreichend, weil es einen Bedarf für Nachforschung nach Dokumenten dieser Liegenschaften geben kann.
Geschichtslehrbuch
Neben diesen Verbesserungen hat es auch einige Umkehrentwicklungen gegeben. Eine von diesen ist das Geschichtslehrbuch für die 10. Klasse in den staatlichen Schulen. Das Lehrbuch, das vom türkischen Bildungsministerium vorbereitet wurde, enthält seit 2009 einige schmerzende Information über die Syrer und armenische Christen. Man fragt sich was dazu führte, die syrische Christen, die als die friedlichsten und loyalsten Bürger des Landes bekannt sind, im Geschichtslehrbuch als Verräter erwähnt werden, die das Land „in den Rücken stechen“ weil sie mit westlichen Nationen und Russland zusammen arbeiten? Der Text streift auch die Angelegenheit des Syrischen Völkermords im Jahr 1915 und gibt an, dass es gegen Syrer im Jahr 1915 keinen ausgeführten Völkermord gab. Es scheint, da nun syrische Christen begonnen haben ihre Rechten einzufordern, sie als Verräter betrachtet werden. Wenn sie gute Bürger sein wollen, müssen sie still sein, auch wenn sie sehen, dass die Liegenschaften ihres Klosters und ihre Dörfer beschlagnahmt werden. Sie dürfen nicht ihre Rechte einfordern, ihre Sprache, Kultur und Religion zu Hause zu lehren und sagen, dass sie frei im Vaterland sind. Wenn wir dieses tun, haben wir keine Rechte. Die Erklärungen im Geschichtslehrbuch setzen die syrischen Christen einer schlechten Behandlung und besonders die Schüler möglichen Schikanen ihrer muslimischen Klassenkameraden aus. Während wir auf einer Seite sehen, dass sie bitten die Syrer zu ihrem Vaterland zurückzukehren, schafft sie auf der anderen Seite Schwierigkeiten für sie. Syrer haben Zweifel, ob sie diese Aufrufe zum Vaterland ernst nehmen sollen. Vierzehn syrische zivile und religiöse Organisationen in der Türkei schrieben an das Bildungsministerium. Sie machten ihren Schock über die Behauptungen deutlich, die im Buch über syrischen Christen erhoben wurden, obwohl sie immer loyal und aufrichtig zum Land standen. Die syrischen Christen haben die Türkei positiv unterstützt, Vollmitglied in der Europäischen Union zu werden. Sie sind enttäuscht von dieser Einstellung, die immer noch Minderheiten als eine potentielle Gefahr darstellt. Wir forderten, dass das Lehrbuch für eine Revision im nächsten Schuljahr zurückgezogen wird. Die Angelegenheit ist auch im türkischen Parlament vom CHP Parteimitglied des Parlaments (Abgeordneten) vorgebracht worden, das den Bildungsminister Omer Dincer fragte „finden Sie es richtig Syrer als Verräter zu bezeichnen?“ Er bat um das unmittelbare Entfernen dieser Erklärungen. Erol Dora, der syrische Abgeordnete brachte die Angelegenheit im Parlament vor und hielt eine Pressekonferenz darüber ab.
Unangenehme Vorfälle
Dieses Jahr hatten wir wenig mehr unangenehme Vorfälle in Turabdin, welche die Unaufrichtigkeit der Verbindungen der Regierung mit den nicht-muslimischen Minderheiten beschreibt. Einer war die Entführung des 14 Jahre alten christlichen Jungen durch einen bewaffneten muslimischen Mann im November. Dank Gott, dem Jungen gelang es zu entkommen. Der muslimische Mann wurde bei der Polizei angezeigt aber nichts geschah, so dass er sich frei bewegen kann.
Ein anderer Vorfall fand nahe Kafro statt, als ein 45-Jahre alter Christ aus Kafro mit einem Gewehr von einem muslimischen Nomadenschäfer nahe seinem Dorf im Mai 2011 angeschossen wurde. Der christliche Mann wurde angeschossen, weil er die Übertretung seines Grundstücks durch den Nomadenschäfer ablehnte. Der christliche Mann ist wieder gesund. Aber was die Dorfbewohner betrübt hat war, dass trotz Beschwerde niemand festgenommen wurde, obwohl der Bewaffnete leicht festgenommen werden konnte. Durch die Reaktion der Dorfbewohner von Kafro versprachen die Verwaltungen zu tun, was notwendig ist. Trotz dieser Schwierigkeiten geht das Leben in Kafro weiter und gedeiht.
Hoffnung durch Rückkehrer
Im August 2011 kam eine weitere Familie mit zwei Kindern an das Dorf zurück. Auch konnten wir in Kafro im letzten Jahr drei Jungen taufen.
Aktuelle Berichte aus dem Irak
Frau Janet Saleem Al-Kes, Telskuf/Niniveh (Etana Women’s Association)
Die Frauenorganisation ITANA ist eine Organisation, die sich nicht nur auf die sozialen und gesellschaftlichen Probleme der Frauen in Ninive-Plain kümmert, sondern versucht allgemeine Probleme der Frauen im Irak zu beseitigen und zu thematisieren. ITANA ist eine gemeinnützige Organisation und Mitglied des irakischen Frauennetzwerks. ITANA wurde im Jahr 2006 in der Provinzhauptstadt Mosul gegründet. Durch die andauernde Unruhe in dieser Region wurde der Sitz der Organisation in die Ninive-Ebene verlegt. Ein ausschlaggebender Grund für die Verlegung des Sitzes der Organisation ist die miserable Situation der Frauen dort. Bekanntermaßen litten die Menschen im Irak jahrzehntelang unter einem brutalen Embargo, Kriege und Bürgerkriege. Diese Umstände haben sich besonders negativ auf die Situation der Frauen im Irak ausgewirkt. Diese waren die am meisten leidenden unter diesen Umständen. Bildung fehlte so gut wie jeder Frau, Armut war weit verbreitet. Zusätzlich leiden Frauen unter folgenden Arten der Gewalt:
- Familiäre Gewalt: In der Familie ist das Leid der Frau am schlimmsten wegen des Geschlechterunterschieds.
- Gesellschaftliche und soziale Gewalt: Diese äußert sich durch die übernommenen Formen der alten patriarchalischen Gesellschaftsformen, wo der Frau keine Rechte zugestanden werden, nicht einmal bei der Wahl ihres Lebensgefährten. Geschiedene und verwitwete Frauen haben besonders zu leiden.
- Politische Gewalt: Hier wird die Rolle der Frau in der Gesellschaft völlig ignoriert. Frauen haben nicht das Recht, ein politisches Amt auszuüben oder an staatlichen Institutionen tätig zu sein.
Um für diese Probleme Lösungen zu finden, sollte der Staat bzw. die Politik sowie Organisationen, die sich mit dieser Thematik befassen, sich dafür einsetzen bzw. aktiv weren, dass Gesetze beschlossen werden, welche dann in der Verfassung des Landes verankert werden sollen. Häufig sehen und lesen wir Gesetze, die wunderbar beschrieben sind, in Wahrheit aber von niemandem wahrgenommen werden. Zu den gesetzlichen Missständen ein Beispiel:
§ 14 der irakischen Verfassung garantiert, dass Frauen und Männer vor dem Gesetz gleichgestellt sind und gleichberechtigt behandelt werden sollen. Trotz dieser Tatsache gab die einzige irakische Ministerin Ibtihal Al-Zaidi (Frauenministerin) bekannt, dass sie für die Bevormundung durch die Männer und gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist. Ihrer Ansicht nach würde die Frau durch diese Gleichberechtigung Vieles verlieren. Sie sagte weiter: „ auf mich persönlich bezogen: wenn ich das Haus verlassen, dann teile ich dies meinem Mann mit, damit er weiß wo ich bin und wohin ich gehe. Das ist doch gar keine Beleidigung für mich als Ministerin, sondern eher eine Bestätigung, dass die Frau sehr wichtig für die Familie und für die Gesellschaft, als Erzieherin und als Mutter ist“.
Sie hat auch Folgendes beschlossen:
- Die Frauen dürfen keine kurze Röcke (Mini-Mode) tragen
- Sie dürfen keine engen Hosen oder durchsichtige Kleider tragen
- Sie dürfen keine leichten Schuhe (Sandalen) tragen
- Sie dürfen keine bunten oder glänzenden Hemde tragen
Diese Beschlüsse überraschen uns nicht. Denn sie müssen mit der islamischen Scharia (Rechtsprechung) vereinbart sein. Das Scharia-Recht stellt ohnehin keine gerechte Behandlung der Frau dar. Hier sind einige Beispiele aus dem islamischen Recht:
- Die Aussage eines Mannes hat den Stellenwert der Aussagen von zwei Frauen.
- Der Frau steht nur die Hälfte, was einem Mann an Erbteil zusteht, zu.
- Schlagt die Frauen in ihren Lagern (Häusern…Sure).
- Dem Mann wird erlaubt, mit vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Sie dürfen bis zu vier Ehefrauen haben
Die Situation in der Region Kurdistan:
§ 19 Absatz 8 hat den folgenden Inhalt: Jede Person hat das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen. Niemand darf zu einer Ehe gezwungen werden. Die Eheschließung muss mit der Willenserklärung der beiden Seiten erfolgen. Bei dem § 20 handelt es sich um Gleichberechtigung von Mann und Frau. Der erste Satz: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Der zweite Satz: Niemand darf aufgrund seiner Rasse, Hautfarbe, Volkszugehörigkeit (Herkunft), Sprache, oder aufgrund seines Glaubens oder sozialen Ranges benachteiligt werden. Das gilt auch für Altersunterschiede, wirtschaftliche, soziale Verhältnisse und politische Überzeugung. Der dritte Satz: Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Alle sind vor dem Gesetz gleich. Beide Geschlechter haben die gleichen Rechte in allen Bereichen des Lebens. Die Regionalregierung muss alles daran setzen, dieses Ziel zu verwirklichen. Die Statistiken des Gesundheitsministeriums und der Nachrichten der Tigres-Agentur belegen aber das Gegenteil: In der Zeit von 1991 bis 2007 gab es 4195 Selbstmorde bzw. Selbstmordversuche. 2680 Personen (Frauen) nahmen sich das Leben. Viele von ihnen fanden den Tod durch Selbstverbrennung. Es handelte sich um junge Frauen zwischen 15 bis 25 Jahren. Die Ursachen für diese Selbstmorde sind Armut, Zwangsverehelichung und die archaischen Strukturen der Gesellschaft in dieser Kurden-Region. Bei einigen der Fälle handelte es sich um Ehrenmorde. Einige junge Frauen, die zeitlang in Europa gelebt und sich den dortigen Lebensverhältnissen angepasst haben, kehrten in den Irak zurück. Sie wurden regelrecht ermordet. Als Todesursache gaben sie Selbstmord an.
Fortlaufende Aktivitäten und Programme seit der Gründung der Organisation:
- Die Organisation organisiert 20 Veranstaltungen (Vorträge) über gesellschaftliche, soziale und kulturelle Themen, wie zum Beispiel die Verachtung der Gewalt gegen die Frauen, Geschlecht, die richtige Erziehung der Kinder und über den Umgang mit den Heranwachsenden. Weitere Themen der Vorträge sind über die Gesundheit der Menschen (Feststellung des Brustkrebses, Krankheiten, die durch Katzen übertragen werden können), die Behandlung von spröden Knochen. Weitere Themen sind die Gesundheitsschäden, die durch den Missbrauch von Drogen entstehen können und die nützliche Seite dieser Drogen (ihre Einsetzung in der Medizin). An jedem Seminar nehmen etwa 60 bis 100 Personen teil.
- Die Organisation hat in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt von Telkeyf damit begonnen, Olivenbäume in den Dörfern Karanjouk, Ayn Baqari, Karmawa Batanayiya und Teksaqaf anzupflanzen.
- Die Organisation bittet jährlich durchschnittlich 12 Lern- und Trainingskurse in den Berufen Schneiderei, Schusterei, Friseurtätigkeit und im Gesundheitswesen zur Deckung des eigenen Bedarf an. Weitere Kurse dienen dazu, Arbeitsvermittlung für arbeitslose Frauen zu ermöglichen. An jedem Kurs nehmen 20 bis 25 Frauen teil.
- Mit Unterstützung der Organisation UNIDO wurde eine Sporthalle für Frauen eröffnet.
- Die Menschen wurden während der Ära des früheren Regimes von der Nutzung der Technologie ausgeschlossen. Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten die Frauen an den Computern ausgebildet.
Es fanden 10 Lehrgänge (Seminare) für die Ausbildung an Rechnern Am Ende eines jeden Lehrgangs erhält jeder Teilnehmer ein Abschlusszeugnis von der amerikanischen Firma Mikrosoft.
- Die Organisation hat zehn Lehrgänge angeboten, die im Zusammenhang mit der Realisierung von kleinen Projekten und SWOT.
- Jährlich bringt die Organisation drei Kinderkunstausstellungen in verschiedenen Gegenden in der Region Nineve zustande. Das Ziel dieser Ausstellung ist es, die künstlerischen Fähigkeiten der Kinder zu fördern.
- Da sich die Organisation in einer Region befindet, die keine Erholungsstätten (Freizeitpark oder Kultur) für die Frauen anbietet, sind wir jetzt dabei, den Garten der Organisation neu zu gestalten und zu restaurieren.
- Die Organisation verteilte am Weltkindertag150 Geschenke an die Kinder.
- Unsere Organisation war die erste Institution, die Kulturveranstaltungen organisiert hat, in deren Rahmen den Frauen die Möglichkeit gegeben wurde, wie sie sich aktiv und passiv (wählen und gewählt werden) an den Wahlen beteiligen und ihre Stimmen abgeben können.
- Die Organisation hat weit mehr als 3000 Poster (Plakate) über die Verachtung der Gewalt gegen die Frauen, Weltfrauentag und die Kommunal- und Parlamentwahlen herausgegeben.
- Wir haben in diesem Jahr damit angefangen, sechs Arbeitswerkstätten zu bauen. Die Arbeitsstätten sollen das friedliche Zusammenleben aller Volksgruppen fördern.
- Die Organisation hat 10 tragbare Computergeräte (Laptop) gekauft, damit die Menschen auch in den abgelegenen Gegenden in den Genuss der neuen Technologien kommen können.
- Mit Unterstützung von PRT hat die Organisation eine Kunststoffbehausung für die Bäuerinnen erhalten.
- Die Organisation UNIDO regt an, unsere Organisation zu einer Wirkungsstätte (Zentrale) zur Weiterbildung von Frauen in der Region Nineve zu entwickeln.
- Unsere Organisation war bereits an zahlreichen Kongressen, Lehrgängen und Werkstätten über verschiedene Themen innerhalb und außerhalb des Iraks beteiligt.
- Unsere Organisation ist Mitglied des Netzes für Wirtschaftsaufschwung und Zukunftspläne im Irak geworden, die unmittelbar vor der Eintragung ins Vereinsregister des Gerichts steht.
- Unsere Organisation unterhält freundschaftliche Beziehungen zu den anderen Organisationen und Vereinen, die in unserer Region und in anderen Regionen des Iraks tätig sind.
Pfr. Schmuel Nihad Maqdis, Bagdad (Apostolische Kirche des Ostens)
Alltagsprobleme eines aktiven Gemeindepfarrers in Bagdad
- Persönliche Herausforderungen und Probleme, die von außerhalb entstehen
Durch die enormen Fortschritte in der Technologie ist es dem Menschen möglich, auf verschiedenen Wegen mit anderen zu kommunizieren. Eine Internetverbindung ist in nahezu jedem Haushalt vorhanden. So wird aber auch der Glaube auf eine Probe gestellt: Jahrtausend alte Religion trifft auf modernste Technik. Hier hat der Gemeindepfarrer die Aufgabe, sich der Moderne zu öffnen und seiner Gemeinde Rede und Antwort zu stehen. - Allgemeine Probleme, mit denen der Gläubige konfrontiert ist, die von außerhalb der Religionsgemeinde auf ihn einwirken
Diese Herausforderungen entstehen durch den direkten Kontakt zwischen der Person des Priesters und den Gläubigen seiner Gemeinde. Das ist das Hauptziel im Dasein des Priesters, denn die Gemeinde ist für die Existenz einer Kirche essentiell. Der Priester hat dafür zu sorgen, dass die Ziele der Kirche bei den Gemeindemitgliedern auch richtig ankommen. Nur so kann man eine starke Kirchengemeinde gründen. Das ist für uns die wichtigste Aufgabe eines Priesters. Er muss Seelsorger für seine Gemeinde bleiben, um sie zum Wohle der Allgemeinheit auf den richtigen Weg zu bringen. Sicherlich würde alles nicht reibungsfrei verlaufen und es könnte zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Parteien kommen. Wichtig ist, dass alles auf Vertrauen basiert. Denn jede Sache die auf der Grundlage des gegenseitigen Vertrauens beruht, wird mit Erfolg gekrönt. Das ist die Grundlage unseres Glaubens und unseres Vertrauens zu unseren Erlöser Jesus Christus. Wir vertrauen auf Jesus, der unsere Seelen zur ewigen Erlösung führen kann. Das muss die Grundlage eines Priesters sein. Er muss den Gläubigen vermitteln, was Erlösung in diesem Leben bedeutet. - Herausforderungen und Probleme, mit denen der Gläubige außerhalb seiner Gemeinde konfrontiert ist
Durch die Entwicklung neuer Massenmedien und Technologien, erweitert sich der Horizont des Menschen entsprechend. Die größten und gefährlichsten Herausforderungen sind die unterschiedlichen religiösen Ideologien. Dass die Religionen unterschiedlich sind, ist grundsätzlich nicht problematisch. Vorausgesetzt, dass dieser Dialog zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen auf dem gegenseitigen Respekt und der gegenseitigen Anerkennung und ohne bestimmte Interessenverfolgung basiert. Die Gefahr besteht darin, wenn eine kranke Seele versucht, andere Religionen zu unterdrücken und sie mit illegalen Mitteln zu vertreiben. In unserer Zeit ist die Zeit des Dialogs und des Respekts und der gegenseitigen Verständigung. Zu unserem Bedauern spüren wir es im Irak überhaupt nicht. Bestimmte Teile der Gesellschaft werden ausgegrenzt und an dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass hauptsächlich die Christen davon betroffen sind. Anstatt diese Christen als die Ureinwohner mit hoch entwickelter Kultur zu betrachten, werden sie verachtet, ausgegrenzt und sogar als ungläubig betrachtet. Für den Pfarrer ist diese Aufgabe schwer zu bewältigen, denn er wird Menschen führen, die sich vom größten Teil der Gesellschaft vernachlässigt fühlen und sich als Menschen zweiter Klasse behandelt fühlen. Die Auswanderung der Christen ins Ausland stellte die Pastoren vor völlig neuen Herausforderungen. Sie sind ratlos und werfen sich innerlich vor, versagt zu haben. Genau das führte dazu, dass viele Pastoren ihre Gemeinden aufgeben mussten um sich in sichere Gebiete zu begeben. Einige blieben aber trotz bestehender Gefahr für Leib und Seele. In den meisten Fällen riskierten sie sogar ihr Leben. Jesus Christus hat einmal gesagt: „Fürchtet nichts. Oh du kleine Gemeinde. Ich bin bis zum Schluss bei euch. Der Rückgang der Gemeindemitglieder und der Pfarrer hatten zur Folge, dass die Qualität der religiösen Erziehung schlechter wurde, obwohl es viele Priester sind, die in der Tat kompetent sind und machen das Unmögliche möglich. Aber wie der Erlöser einst sagte: „ Die Ernte ist groß. Nur fehlt uns die nötige Arbeitskraft, um eine gute Ernte zu erzielen“. Die Anstrengung müsste viel größer ausfallen, um die Verschlechterung der religiösen Qualität zu stoppen. Aber wir geben nicht auf und verlassen uns auf unseren Erlöser Jesus Christus. Und die große Freude ist sehr nah. Und hier sind einige Statistiken über Gemeindemitglieder der orientalischen Kirche in Bagdad und einige ihrer Aktivitäten, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Vor 2003, d.h. vor dem Kriegsausbruch gab es weit über 6000 christliche Familien. An den kirchlichen Lehrgängen haben mehr als 250 Studentinnen und Studenten teilgenommen. Nun leben nicht mehr als 1000 Familien hier. Und die kirchlichen Lehrgänge schrumpften. 25-35 Studentinnen und Studenten nehmen an diesen Lehrgängen teil. An den Gemeinschaftsaktivitäten nahmen früher bis zu 750 Personen teil und heute sind es weniger als 150. Wir danken Gott, dass diese Arbeit, trotz zahlreicher enormer Schwierigkeiten fortgesetzt wird. Das ist auf den starken Glauben zurückzuführen. Bevor wir über die wichtigsten Teile dieser Aktivitäten sprechen, wollen wir das Komitee, das die Arbeit leistet, vorstellen. Es wurde von der assyrischen Ostkirche in Bagdad im März 2011 gegründet. Herr Mar Georges Zalioa, der stellvertretende Patriarch der assyrischen Ostkirche im Irak und in Russland hat zur Gründung dieses Komitees sein Segen ausgesprochen (gegeben). Er wurde durch die Pfarrer der fünf assyrischen Ostkirchen in Bagdad unterstützt. Das Komitee besteht aus zwei Pfarrern und fünft weiteren Mitgliedern. Ein Mitglied ist als Kassenwart tätig. Dieses Komitee hat die Aufgabe, die Aktivitäten der Kirche zu organisieren, um diese zum Erfolg zu führen. Wir meinen damit auch die Aktivitäten der einzelnen Kirchen. Dieses Komitee unterstützt das Programm der einzelnen Kirchen in dieser Region finanziell und politisch. Das sind z.B. Lehrgänge im Sommer. Diese Unterstützung ist im Rahmen des Programms „Stärkung des orientalischen Christentums“, das von ihnen geleitet wird. Hier sind einige Aktivitäten des Komitees: Lehrgänge im Sommer für die Unterrichtung der assyrischen Sprache und der christlichen Theologie. Sie finden über den gesamten Sommer statt. Es finden monatliche Treffen statt. Während dieser Treffen finden Vorträge zu verschiedenen Themen statt. Daran nehmen auch viele verbündete Kirchen teil. Diese Vorlesungen und Referate sind für alle Gläubigen zugänglich. Die Termine der einzelnen Vorträge werden durch Aushänge in den Kirchen oder durch das Internet veröffentlicht. Lehrerinnen und Lehrer für die christliche Theologie der ostassyrischen Kirche in Bagdad werden trainiert. Es finden Veranstaltungen statt. Es handelt sich dabei Kennenlernenveranstaltungen oder es werden welche zu Ehren der Fachholschulabsolventen in Bagdad organisiert. Auch Veranstaltungen für die Absolventen der kirchlichen Lehrgänge werden organisiert. Es werden auch Ferienfahrten veranstaltet. Hier möchte ich betonen, dass alle dieser Aktivitäten nicht zustande gekommen , wenn Sie uns nicht unterstützt hätten ,dafür danke ich Ihnen auch im Namen meine Gemeinde in Bagdad .Für Ihre Arbeit wünsche Ich viel Erfolg viel Freude und Gottes Segen.
Zusammenfassung der Diskussion (Thomas Abraham)
In der folgenden Diskussion gaben die Redner Informationen zur Anzahl assyrischer Flüchtlinge aus dem Irak innerhalb des Irak sowie in Syrien, Jordanien und Europa und wiesen auf den eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Eingreifen der Westmächte im Orient hin, welches die Auslöschung des Christentums im Orient zur Folge gehabt habe.
In der Podiumsdiskussion am Samstag, mit Janet Saleem Al-Tes, Isa Gülten und Prof. Bielefeldt unter der Moderation von Pfarrer Johannes Minkus von der ELKB wurde über Zukunftsperspektiven für die Christen im Nahen Osten diskutiert. Dabei stellten die Podiumsteilnehmer die Situation trotz der aktuellen Revolutionen und Machtwechsel als eher düster dar – der Arabische Frühling sei ein Islamischer Frühling und der zunehmende Tribalismus im Nahen Osten sei eine Konsequenz aus der Destabilisierung bzw. dem verlorenen Vertrauen in öffentlichen Institutionen. Die einzige Chance für Christen in der Region sei die Zusammenarbeit mit den gemäßigten und liberalen muslimischen Kräften, sowie den anderen Minderheiten, um an der demokratischen Neugestaltung der Gesellschaften mitzuwirken. Die Bedeutung von Solidarität zwischen den einzelnen Ostkirchen wurde dabei als essentiell unterstrichen, ebenso die Unterstützung durch Institutionen und Kirchen aus Europa.
Gedanken zum Jubiläum (Horst Oberkampf)
Verehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen! Gedanken zum Jubiläum – so heißt es in der Einladung zum „Empfang“. Fünf sollen es sein, eben eine Hand voll, vorausgesetzt, es wird nicht zu lang! Mein erster Gedanke: Unsere „Solidaritätsgruppe Turabdin und Nordirak“ wird 20 Jahre alt. Ist das ein Grund zu feiern? Eigentlich nicht und doch auch wieder. 20 Jahre – was ist das schon im Vergleich mit unserer Kirchengeschichte, im Vergleich z.B. mit dem syrischen Kloster Mor Gabriel, das 397 n.Chr. gegründet wurde oder im Vergleich mit dem syrischen Kloster Mar Mattai im Nordirak, das 344 n.Chr. gegründet wurde. Wir müssten fast ein wenig rot werden, schon nach 20 Jahren Geburtstag zu feiern.
Und doch – warum eigentlich nicht! Wenn Menschen sich 20 Jahre lang für andere Menschen, für ihre Glaubensgeschwister, für ihre Freunde im Turabdin und im Nordirak einsetzen, dann darf das nach so einer relativ langen Zeit auch erwähnt und ein wenig gefeiert werden. Wir haben Höhen und Tiefen, Hoffnung und Verzweiflung, Flucht und Bleiben und sogar auch Wiederkommen erlebt. Wir haben unsere Freunde in diesen Situationen aufgesucht, haben sie begleitet, haben mit ihnen gesprochen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir ihnen geholfen, und haben dadurch Zeichen der Hoffnung geben können. Und vor allem: Wir haben ihnen das Gefühl vermitteln können, dass sie nicht vergessen sind. Zuhause haben wir auf sie aufmerksam gemacht, haben von ihnen erzählt, haben über sie geschrieben, haben unsere Kirchen und unsere Politiker für diese Menschen im Turabdin und im Nordirak sensibilisiert. So gesehen sind 20 Jahre wenig und viel, wie Lothar Zenetti einmal in einem Gedicht sagte.
Mein zweiter Gedanke: Wie ist die Solidaritätsgruppe eigentlich entstanden? Prof. Dr. Hans Hollerweger aus Linz schrieb mir am 9.12.1991 einen Brief, in dem u.a. stand:
„Ich war vor 14 Tagen bei den syrischen Christen in Augsburg und erhielt von ihnen Ihren Bericht über den Besuch des Turabdin im vergangenen Juli 1991. Da ich in Linz einen kleinen Kreis gebildet habe, der sich „Freunde des Turabdin“ nennt, wäre es sicher gut, wenn man voneinander wüsste, Aktivitäten koordinieren und sich auch gegenseitig helfen würde, wenn es notwendig ist“. Ich antwortete ihm: „Ich würde es auch begrüßen, wenn wir uns einmal mit unseren Freunden in Augsburg zu einem Erfahrungsaustausch und auch zu einer Absprache von Projekten in Augsburg treffen könnten“. Oft dachte ich damals an ein Lied, das mich über die Jahre begleitete: „Einsam bist du klein, aber gemeinsam können wir Anwalt des Lebendigen sein, einsam bist du klein, aber gemeinsam…“
Sie sehen, die Solidaritätsgruppe lag in der Luft, sie musste nur gegründet werden. Wir trafen uns in Augsburg mit einigen Freunden. Wenn ich das noch recht weiß, war auch Malfono Isa Gülten vom Kloster Mor Gabriel mit dabei. Klar war uns: Wir wollen eine Gruppe, wir wollen uns um die Belange der syrischen Christen kümmern, wir wollen eine Lobby für den Turabdin bei uns aufbauen, wir wollen die Situation im Turabdin bekannt machen und noch vieles mehr. Klar war auch, dass wir jährlich eine Tagung zu Fragen des Turabdin und später auch zum Nordirak anbieten wollen. Die erste Jahrestagung fand in der Paulus Akademie in Augsburg am 19./ 20. Februar 1993 statt.
Hans Hollerweger und ich, wir waren viele Jahre lang die Sprecher der gegründeten „Solidaritätsgruppe“. Wir haben mit unseren Freunden hier vieles miteinander gemacht: Besuche im Turabdin organisiert, Briefe an Politiker geschrieben, Projekte durchgeführt, Jahrestagungen geplant und gestaltet. Die gemeinsame Arbeit hat uns beide miteinander verbunden. Hans Hollerweger ist für mich ein ökumenischer Freund geworden. Danke, Hans für vieles! Unsere Wege gingen im Jahr 2004 auseinander, aber nicht im Streit – Nein! Du wolltest Dich in Österreich ganz auf Euer eindrucksvolles Werk ICO (Initiative Christen im Orient) konzentrieren. Wir wollen Dir nachträglich noch zu Deinem hohen Geburtstag am 13. Februar herzlich gratulieren, wünschen Dir Gesundheit und Gottes Segen auf all’ Deinen Wegen, die Du für die Christen im Orient unterwegs bist. Musik von Wolfgang Amadeus Mozart möge Dich begleiten! Wir haben sie gewählt, weil Karl Barth, der große protestantische Theologe als Musikliebhaber einmal sagte: Er sei sich sicher, wenn die Engel zum Lobe Gottes spielen, dann spielen sie Musik von Johann Sebastian Bach. Wenn die aber unter sich sind, dann spielen sie Mozart und der liebe Gott wird ihnen besonders gerne zuhören.
Mein dritter Gedanke: Noch ein Gesichtspunkt gehört dazu, der uns nach 20 Jahren ein wenig innehalten lässt und dies wiederum mit Fug und Recht: Wir haben eigentlich nie aufgegeben, auch wenn wir einmal ganz nahe dran waren. Mancher wird sich daran erinnern! In den Jahren 2004 und 2005 wurde intensiv über die Frage diskutiert: Ist die „Solidaritätsgruppe“ noch notwendig? Soll sie weiter bestehen? Das Ergebnis damals war, dass die Gruppe weiter bestehen soll, weil sie notwendig ist, so hieß es. Das wurde uns auch ganz deutlich von unseren Partnern, von unseren Freunden und von den Betroffenen gesagt. Freunde benötigt man in guten und weniger guten Zeiten, sagten sie. Freunde dürfen doch nicht einfach gehen, hieß es. Das machte uns nachdenklich Ein weiteres Ergebnis damals war, dass der „Nordirak“ mit in unseren Namen aufgenommen werden soll. Seitdem heißen wir „Solidaritätsgruppe Turabdin und Nordirak“. Der Blick soll und darf nicht nur auf den Turabdin gelenkt werden, hieß es – das könnte mit der Zeit auch eine Engführung darstellen. Mit Nachdruck wurde gesagt, dass unsere Arbeit auf die Christen im Nordirak ausgeweitet werden soll. Die Herausforderungen im Nordirak waren und sind nach dem Krieg 2003 so gross und so bedrängend. Wir konnten uns dieser Aufgabe nicht entziehen.Ich sagte vorhin: Wir haben nie aufgegeben. Dann möchte ich jetzt noch hinzufügen: „Wir haben auch einen langen Atem“. Solidaritätsarbeit, also das Einstehen für andere, die einem am Herzen liegen, braucht einen langen Atem und immer wieder auch einen „neuen Mut“.
Mein vierter Gedanke: Wann haben wir als Solidaritätsgruppe schon mal die Gelegenheit, danke zu sagen. Ich denke: Hier und jetzt! Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen herzlich danken, die damals mitgeholfen haben, unseren Weg im Turabdin und im Nordirak zu unterstützen. Meiner Landeskirche in Stuttgart gilt dieser Dank – immer wieder wurden Projekte ermöglicht – und dann danke ich der Bayrischen Landeskirche. Sie hat durch gemeinsame Besuche und Projekte wesentlich zur Ausweitung und Stabilisierung dieser Arbeit vor allem im Nordirak beigetragen. Auf beide Landeskirchen war und ist Verlass; man durfte immer wieder mit beiden rechnen. Ich hoffe, es wird so bleiben. Ich bitte herzlich darum! Auch auf unsere Partner in beiden Ländern war Verlass – auf beide Erzbischöfe im Turabdin: Erzbischof Timotheos Samuel Aktas und Erzbischof Filoxinus Saliba Özmen und ihre Mitarbeiter. Sie nahmen uns an, wie wir sind. Sie freuten sich, wenn wir ihnen gegenüber saßen und sie nicht vergessen haben. Sie akzeptierten unsere Hilfe. Viele Freunde haben wir dort! Auch im Nordirak ist das so. Hier denke ich vor allem an die beiden Hilfsorganisationen, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten: „Christian Aid“ CAPNI und „Assyrian Aid“ AAS. Beiden Organisationen gilt unser herzlicher Dank für die gute Zusammenarbeit und allen, die dort mitarbeiten. Eine Person möchte ich heute besonders erwähnen und danken: Erzdiakon Emanuel Youkhana, bei uns heißt er kurz abuna Emanuel. Abuna, Du warst für uns der wohl wichtigste Kontakt im Nordirak. Du hast Schlüssel besessen, mit denen du uns Türen aufgeschlossen hast. Wenn Du nicht gewesen wärst, wäre unsere Solidaritätsarbeit nicht so geworden, wie sie heute ist. Vielleicht hätten wir gar keinen Fuss auf den Boden gebracht. Dir gilt heute mein besonderer Dank. Gott segne Dich weiterhin, Abuna und Deine Familie und gebe Dir gute Gesundheit.
Mein fünfter Gedanke: Ich habe mich gefragt, über was hast du dich im Rückblick besonders gefreut und was hat dich traurig gemacht, was hat dich enttäuscht. Dazu einige Stichworte: Gefreut hat mich ganz stark, dass Familien, die vor Jahren ihre Heimat, den Turabdin als Flüchtlinge verlassen mussten, in den letzten Jahren als Rückkehrer in ihre Heimat wieder zurückkamen. Ich war zutiefst enttäuscht und hätte heulen können, als am 3. November 1993 das wunderschöne und reiche Dorf Hassana trotz vieler internationaler Proteste geräumt werden musste. Es ist heute vermint und Sperrgebiet. Tief traurig war ich, als um Mitternacht am 4. Advent 1994 der Arzt Dr. Eduard Tanriverdi vor seiner Haustür erschossen wurde und dass es nicht möglich war, für seine Frau und seine Kinder eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Ich hatte damals mit unserem Bundesaußenminister in Bonn, Herrn Dr. Klaus Kinkel einen persönlichen und intensiven Briefwechsel. Aber es gelang nicht, dass er als Politiker über seinen Schatten gesprungen wäre. Es ging doch um Menschen in Todesangst. Ich war einfach traurig, dass ich das einem Politiker nicht vermitteln konnte. Im Nordirak freue ich mich, dass so manches Projekt Früchte trägt – ich denke an das Flüchtlingsdorf Hawresk, an die Ausbildung manch armer Jugendlicher, die während ihres Studiums mit unterstützt wurden. Und ich freue mich über die vielen aktiven Frauen, die Verantwortung übernehmen und am Aufbau des „neuen Irak“ mitwirken wollen. Ich bin traurig darüber, dass die Akzeptanz der Christen und anderer religiöser und ethnischer Minderheiten in der irakischen Gesellschaft oft auf sehr wackeligen Füßen steht. Erschrocken bin ich zutiefst, als ich in Kirkuk einen Anschlag ganz in meiner Nähe mit erlebte. Leben zwischen Angst und Hoffnung, das ist leider immer noch die Realität im Irak. Zum Schluss – das hat mich sehr gefreut. Es ist ein Brief von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse aus Berlin. Er schrieb uns am 26. September 2011:
„Ich nehme dieses Schreiben gerne zum Anlass, Ihnen und allen Mitstreitern meinen Respekt für ihre so wichtige ökumenische und soziale Arbeit im Turabdin und im Nordirak auszudrücken! Angesichts schleichender wie offener Diskriminierung und Verfolgung sind die in diesen Regionen lebenden Christen auf vielfältige politische und gesellschaftliche Unterstützung angewiesen. Die Solidaritätsgruppe Turabdin und Nordirak engagiert sich hier vorbildlich und dafür danke ich allen Beteiligten ganz ausdrücklich“.
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