„Ich bin eine deutsche Assyrerin“, so die 20-jährige Biologiestudentin Ranya M., „Augsburg ist meine Heimat. Meine Großeltern kamen als Gastarbeiter aus dem Südosten der Türkei nach Deutschland. Aber es waren nicht nur wirtschaftliche Gründe, die sie dazu getrieben haben – es war eine Flucht vor Unterdrückung und Diskriminierungen.“
Die Geschichte dieser ethnischen und religiösen Minderheit ist nur Wenigen bekannt. Dabei haben mittlerweile rund 3.000 Assyrer in Augsburg eine Heimat gefunden. Sie alle verbindet das gleiche Schicksal: Sie sind die Nachkommen der Generation, die den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts miterlebt haben. Es war das jungtürkischen Regime im damaligen Osmanischen Reich, das am 24. April 1915 die systematische Vernichtung der Assyrer/Aramäer, Armenier und Pontos-Griechen angeordnet hat.
„Immer wieder erzählen mir meine Großeltern die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern“, so Ranya M., „sie erzählen, dass Frauen und Mädchen gewaltsam entführt und vergewaltigt, Männer enthauptet und ganze Familien in Todesmärschen durch die syrische Wüste geschickt wurden. Und das alles in ihrer eigenen Heimat! Da kommt nicht nur Wut, sondern auch tiefe Trauer in mir auf.“
Gemeinsam mit weiteren Aktivisten engagiert sich die junge Studentin für die Aufarbeitung und Anerkennung dieses Genozids. Angeregt vom Assyrischen Jugendverband Mitteleuropa e.V. (AJM) haben sie die Initiativgruppe „Save Our Souls“ ins Leben gerufen und rund um den 24. April herum bundesweit diverse Aktionen durchgeführt. Ihr Ziel ist es, die Bevölkerung sowie die Politik auf diesen Völkermord im Jahre 1915 im damaligen Osmanischen Reich, dessen Kernland die heutige Türkei ausmacht, aufmerksam zu machen.
Save Our Souls lautet das Motto zum 99. Gedenktag des Genozids 1915 an den Assyrern
Eine dieser Aktionen fand am vergangenen Samstag, 26. April 2014, in Augsburg statt. Rund 400 Augsburger versammelten sich am Rathausplatz, um den assyrischen Opfern des Genozids von 1915 zu gedenken, zu mahnen und um die Aufarbeitung voranzutreiben. Auch der Landtagsabgeordnete Dr. Linus Förster (SPD), der Stadtrat und Bürgermeister a.D., Theo Gandenheimer (CSU), Pfarrer Dirk Dempewolf von der evangelischen Kirche sowie die Kreisvorsitzende der FBU Augsburg, Fr. Mangold-Nietzschmann, unterstützten diese Aktion mit hoffnungsspendenden Ansprachen.
„Demokratie macht es möglich“, bekundete Gandenheimer, „sie fordert aber unser Engagement und unseren aktiven Einsatz. Dazu gehört auch, Geschichte zu kennen und sich zur Geschichte zu bekennen. Gerade in der Freiheitsstadt Augsburg sollten wir uns bemühen, erlittenes Unrecht klar zu benennen. Vertun wir unsere Chance nicht!“
Erinnerung, Anerkennung, Versöhnung und das Lernen aus der Geschichte waren die Themen, die sodann auch von den anderen Rednern angesprochen wurden. So untermauerte schließlich auch Landtagsabgeordneter Dr. Linus Förster die Forderungen seiner Vorgänger: „Wir müssen das Unrecht beim Namen nennen“.
Petrus Atalay, der Projektleiter des AJM, sprach rückblickend über die bundesweiten Aktionen „Save Our Souls“ und ihrer Zielsetzung. Atalay resümierte dann: „Wir sind sehr zufrieden mit dem heutigen Arrangement. Es demonstriert wie berührend und präsent die vergangenen Ereignisse für die Angehörigen auch heute noch sind.“ Umso wichtiger sei daher die Aufarbeitung und Anerkennung des Völkermords sowohl seitens der Bundesrepublik Deutschland als auch seitens der Türkei, die bisher vehement einen Kurs der Vertuschung und Leugnung eingeschlagen habe.
Zum Abschluss wurden 99 Luftballons, die mit der Aufschrift „Save Our Souls – 1915.de“ versehen waren, gen Himmel entsandt. Sie symbolisierten die 99 Jahre des Vergessens.
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