Offener Brief an Frau Angelika Graf

Perspektiven der Assyrer in Syrien

Am 17. November 2012 veröffentlichte die Assyrische Demokratische Organisation (ADO) einen offenen Brief für Frau Angelika Graf, Ausschuss für Menschenrechte der Bundesrepublik Deutschland. In diesem geht es um die Perspektiven der Assyrer in Syrien. Die ADO appelliert an Frau Graf und hofft für Unterstützung.

Sehr geehrte Frau Graf,

tagtäglich sterben in Syrien viele Menschen in den Gefechten zwischen dem Assad- Regime und den syrischen Rebellen. Extremistische Gruppen kontrollieren mittlerweile einige Teile des Landes. Die Kämpfe weiten sich zunehmend auf ganz Syrien aus. In den letzten Tagen haben die Kämpfe auch auf den Nordosten Syriens bis die Provinz Hassake übergegriffen. Dort wurden zahlreiche Ortschaften nach Übernahme durch die Rebellen von der syrischen Armee bombardiert, tausende von Einwohnern sind innerhalb von Stunden geflüchtet, teilweise über die Grenze in die Türkei während andere versuchten, die Provinzhauptstadt Hassake zu erreichen, um bei ihren Verwandten bzw. Volkangehörigen Unterschlupf zu suchen.

Als ethnische und religiöse Minderheit, sind die christlichen Assyrer, die verschiedenen Konfessionen angehören und deren Muttersprache das Aramäische ist, besonders schwer von den Kämpfen betroffen, da sie immer häufiger den Angriffen fanatisch-islamistischer Gruppierungen innerhalb der Rebellen ausgesetzt sind (siehe aktuelle Bilder nach den Luftangriff auf die assyrische Ortschaft Tall-Nasri in der Khabour Region, Provinz Hassake am 14. November 2012). Ihre Häuser und Kirchen werden landesweit zerstört und geplündert, Waisenhäuser zerbombt, und inzwischen auch assyrische Ortschaften zerstört. Entführungen, Vergewaltigungen und Ermordungen sind an der Tagesordnung. Zuletzt wurde Pfarrer Fadi Haddad in einer Ortschaft nahe Damaskus entführt und ermordet. Den Christen bleibt nur die Flucht in die Nachbarstaaten Libanon, Jordanien, Türkei oder nach Europa.

Die Assyrisch-Demokratische Organisation (ADO) als nationale, politische und demokratische Bewegung wurde bereits 1957 im syrischen Qamishli zum Schutz der Rechte der Assyrer gegründet und ist seit 2005 in der syrischen Opposition aktiv. Sie möchte die verfassungsmäßig garantierte Anerkennung der christlichen Assyrer als einer indigenen nationalen Volksgruppe in einem pluralistischen Syrien erreichen. Bereits 2005 war die Assyrische Demokratische Organisation Teil der sogenannten Gruppe der „Damaskus-Erklärung“, die Reformen und Demokratie forderte. Sie ist Gründungsmitglied des Syrischen Nationalrats (SNC) und auch in der neu gegründeten Syrischen Nationalen Koalition der syrischen oppositionellen Kräfte vertreten. Ihr Ziel ist es, die nationale Existenz Syriens als Einheit zu bewahren und sich für die Einhaltung von Menschenrechten, Minderheitenrechten, Gleichberechtigung aller Staatsbürger/innen, politische, wirtschaftliche und kulturelle Freiheit im Land einzusetzen.

Wir als ADO wollen verhindern, dass die Assyrer in Syrien das gleiche Schicksal erleiden wie im Irak. Die Christen sind in Syrien mit ca. 12-15% der Gesamtbevölkerung (ca. 3 Mio.) vertreten. Es muss verhindert werden, dass die Ereignisse zum einem Exodus nach Europa führen und es damit zu einer Auslöschung der indigenen Christenbevölkerung kommt. Dies wäre ein schwerwiegender und unwiederbringlicher Verlust für das Christentum des gesamten Nahen Ostens. Noch vor vierzig Jahren war es auch unvorstellbar, dass in der Türkei einmal fast keine christliche Bevölkerung mehr existieren würde. Die Assyrer wurden hier bis auf eine geringe Restbevölkerung innerhalb nur einer Generation aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Dieses Schicksal sollte sich in Syrien nicht wiederholen und mit allen Kräften unbedingt verhindert werden. D.h. aber, dass man sofortige humanitäre Unterstützung bereitstellen muss, um das Leiden zu lindern.

Syrien gehörte zu den ersten Gebieten, wo sich das Christentum verbreitete. Seitdem lebten aramäischsprachige Assyrer hier und pflegten ihre alte christliche Kultur. Syrien war die Wiege des Urchristentums und dieses sollte als Kulturerbe der Menschheit unter besonderem Schutz stehen. Deshalb muss es dort weiter existieren und darf nicht endgültig zerstört werden.

Wir sind sehr in Sorge über das Schicksal unserer assyrischen Bevölkerung in der Heimat. Täglich erreichen uns ihre Hilferufe, da sie langsam zwischen den Fronten zerrieben werden. Es fehlt ihnen am Notwendigsten. Die Flüchtlinge haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren, Nahrungsmittel sind beinahe unerschwinglich geworden. Sie benötigen dringend Hilfe, um überleben zu können. Tausende von Christen sind bereits aus Homs (siehe Bilder im Anhang), Aleppo, Deir ez-Zor und anderen Städten geflüchtet und jeden Tag werden es mehr, die sich zur Flucht rüsten.

Wir wollen, dass die Menschen ihre Heimat nicht verlassen müssen und sind dankbar für jede Unterstützung vor Ort, die dazu beiträgt, dass die christlichen Assyrer nicht entwurzelt werden. Eine Ausrottung der Urchristen des Nahen Ostens wäre ein schwerwiegender und unwiederbringlicher Verlust für das gesamte Christentum.

Wir sind auf Ihre Hilfe angewiesen, da die Assyrer vollkommen allein auf sich gestellt sind und keinen Staat haben, der sich um sie sorgt. Die Sunniten erhalten die Unterstützung ihrer arabischen Verbündeten aus Katar, Saudi-Arabien, der Türkei und anderer islamischer Länder. Die Alewiten und Schiiten können auf Hilfe des Irans zählen, den Turkmenen in Syrien steht die Türkei zur Seite.

Wir appellieren daher an Sie als Vertreter der Politik, sich verstärkt für die Christen in Syrien einzusetzen und den syrischen Flüchtlingen hier in Deutschland vorübergehend Aufenthalt und Anerkennung zu gewähren.

Sehr gerne sind wir bereit, Ihnen weiterführende Informationen zu übermitteln oder auch in einem persönlichen Treffen ausführlicher über die Lage der Assyrer zu berichten und Ihre Fragen detailliert zu beantworten.

Wir würden uns sehr über zeitnahe Terminsvorschläge zu einem Gespräch freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Issa Hanna
Assyrische Demokratische Organisation Sektion Europa

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