ZAVD-Pressemitteilung

Auf gemeinsames Erinnern folgt Versöhnung und Handeln gegen weitere Völkermorde

Die Türkei kann von der deutschen Kultur der Erinnerung lernen. Das Land muss den Völkermord an christliche Minderheiten vor 100 Jahren endlich anerkennen. Deutschland muss verhindern, dass sich weitere Völkermorde durch den IS ereignen. Die muslimischen Verbände müssen mehr Verantwortung übernehmen und verhindern, dass sich weitere junge Menschen dem IS anschließen.

70 Jahre sind seit der Ausschwitzbefreiung vergangen. Mit einer Gedenkstunde hat der Bundestag am 27. Januar 2015 an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus erinnert. An der internationalen Gedenkfeier im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nahmen Staats- und Regierungschefs sowie Regierungsmitglieder aus rund 40 Ländern teil. Gemeinsames Erinnern bedeutet hier Versöhnung. Opfer und Täter gedenken gemeinsam und sind hierdurch im Geiste verbunden. Bundespräsident Joachim Gauck formuliert es bei seiner Rede im Bundestag folgendermaßen: „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“ und „Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes“.

Der Völkermord an den Armenier, Assyrern/Aramäern und Pontos-Griechen gehört definitiv auch zur Geschichte der Türkei in ihrer Gründungszeit. Die Aufarbeitung und Erinnerung leider nicht. Dennoch sprechen immer mehr türkische Mitbürger in Deutschland über die Schuld der Türkei. Hierfür ist Fatih Akins Film „The Cut“ eines der mutigsten Beispiele: „Ich bin mir sicher, dass die türkische Gesellschaft, deren Teil ich bin, reif ist für diesen Film“, sagte Akin. Aus Sorge um Unruhen strahlten allerdings nur wenige Kinos vereinzelt den Film aus. Damals war das Deutsche Reich als militärischer Hauptverbündeter und die Beteiligung deutscher Militärs an den tragischen Säuberungsaktionen im Osmanischen Reich involviert. Im Jahr 2005 ließ sich die Bundesrepublik zu einer Resolution bewegen, die es vorsieht, diese tragischen Ereignisse aufzuarbeiten. In der Resolution wird auch „die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Gräuel zu stoppen“ bedauert.

In der Zwischenzeit jährt sich der 100. Jahrestag dieses Völkermordes, im assyrischen „Seyfo“ genannt. Genauso wie die Türkei ihre Geschichte nicht aufgearbeitet hat, haben die Assyrer ihre Trauer nicht verarbeitet. Genau 100 Jahre nach Beginn des Völkermordes wird immer noch um dessen Anerkennung gekämpft. Während die türkischen Geschichtsbücher schweigen, erzählen die Menschen die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern weiter. Sie erzählen von Vertreibung und ausgelöschten Generationen – ein „Cut“ in der Biographie eines jeden Assyrers. Und so setzt sich die Biographie der Nachfahren einer großen Zivilisation, von Ärzten und Philosophen, im 20. Jahrhundert fort: der kurdisch-türkische Krieg aber vor allem die bewusste Unterentwicklung einer ganzen Region, die Unterdrückung von Kultur, Religion und Bildung sowie Islamismus führten zum endgültigen Exodus der Assyrer aus der Türkei.

Lange Zeit lag die Hoffnung auf die Heimatverbliebenen, die in Syrien und im Irak mehr Rechte genossen. Heute ist der Exodus aus der Heimat allerdings an seinen finalen Punkt angelangt. Und wieder ist Deutschland indirekt beteiligt. Denn die Mehrheit der IS Kämpfer sind aus unserer Gesellschaft in Europa rekrutiert worden. Sie wurden hier fanatisiert, nicht erst in Syrien und im Irak. Zu lange kümmerte sich die Politik in Deutschland nur um die Frage der Rückkehr der IS Kämpfer. Dabei sind viele dieser jungen Menschen hierzulande aufgewachsen und haben hier die Schule besucht. Sie wurden in Deutschland sozialisiert und sie beten in den Moscheen unserer Nachbarschaft. Laut Verfassungsschutz seien die Hälfte der ausgewanderten Islamisten deutsche Staatsbürger. Salafismus und Islamismus sind keine Probleme, die heute erst entstanden sind. Die Problematik ist schon seit einigen Jahren bekannt; die Entwicklung war vorhersehbar. Es sind deutsche Probleme, die zu weiteren Massakern im Nahen Osten beitragen.

Heute, 100 Jahre nach dem Seyfo und 10 Jahre nach der dazugehörigen Bundestagsresolution, ist es an der Zeit, entsprechend zu handeln. Nicht nur die Worte unserer Eltern und Großeltern, auch die Akten des Politischen Archivs des deutschen Auswärtigen Amtes, die die planmäßige Durchführung der Massaker und Vertreibungen dokumentieren, erinnern uns, die Türkei und zukünftige Generationen. Bundespräsident Joachim Gauck sagte: „Aus diesem Erinnern ergibt sich ein Auftrag. Er sagt uns: Schützt und bewahrt die Mitmenschlichkeit. Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen.“

Der Auftrag ist die Anerkennung dieses Völkermordes und ein strikteres Vorgehen gegen radikale Formen des Islams in unserem Land, sodass der nächste Völkermord, der sich durch den IS im Nahen Osten ereignet, nicht aus Deutschland weiter vorangetrieben werden kann. Dazu müssen vor allem die muslimischen Verbände mehr Verantwortung zeigen und verhindern, dass sich weitere junge Muslime dem IS anschließen. Deutschland und die Internationale Gemeinschaft müssen deutlich aktiver gegen die Verbrechen im Nahen Osten vorgehen. Sie müssen vor allem die betroffenen Minderheiten schützen und nach dem Subsidiaritätsprinzip stärken, sodass sie zukünftig nicht weiterhin auf den Schutz von willkürlich handelnden Mächten angewiesen sind.

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