ZAVD-Pressemitteilung

Bundestag und Bundespräsident benennen den Völkermord beim Namen

100 Jahre nach dem Völkermord zeigen sich endlich Fortschritte beim Kampf um die Anerkennung der Verbrechen an den Armeniern, Assyrern und Pontos-Griechen im Jahr 1915 im Osmanischen Reich.

Wenngleich die türkische Regierung sich immer noch gegen die Aufarbeitung der Ereignisse stellt, haben sich zumindest in Deutschland am 23. und 24. April politische Repräsentanten des Volkes vehement für die Anerkennung des Völkermordes ausgesprochen. Anlässlich des 100. Jahrestags der Verbrechen an christliche Minderheiten im Osmanischen Reich hat auf der Ebene des Parlaments und des Staatsoberhauptes zum Ersten Mal eine Debatte stattgefunden, die es vorher in dieser Intensität und Tiefe nicht gegeben hatte.

Bundespräsident Joachim Gauck erinnerte bei einem Gedenkgottesdienst am 23. April 2015 im Berliner Dom an die Ermordung und Vertreibung der Armenier und Assyrer/Aramäer im Osmanischen Reich vor 100 Jahren. Dabei sprach er von einem eindeutig ethnisch motivierten Verbrechen: „Diese geplante und kalkulierte verbrecherische Tat traf die Armenier aus einem einzigen Grund: weil sie Armenier waren. Ähnliches traf ihre Leidensgenossen, die Assyrer oder Aramäer und die Pontos-Griechen.“

Zudem benannte er die Massaker im Osmanischen Reich klar als „Völkermord“: „ Mit unserem heutigen Wissen und vor dem Hintergrund politischer und humanitärer Schrecknisse der vergangenen Jahrzehnte steht uns heute klar vor Augen: Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist.“

Bundespräsident Gauck verwies in seiner Ansprache auch auf die deutsche Mitverantwortung an den Massakern. Auch Deutschland müsse sich „noch einmal der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen gar um eine Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht. Es waren deutsche Militärs, die an der Planung und zum Teil auch an der Durchführung der Deportationen beteiligt waren.”

Auch der Bundestag gedachte am Freitag, 24. April 2014, an den Völkermord. Gleich zum Auftakt der Debatte erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert „Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, war ein Völkermord.“ Damit formulierte er es noch deutlicher als Bundespräsident Joachim Gauck. In dieser Bezeichnung waren sich allerdings alle Fraktionen einig. Lammert und auch alle anderen Redner betonten die Mitverantwortung des Deutschen Kaiserreiches.

Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) nannte die deutsche Komplizenschaft an den Massakern, bei denen es sich „um einen vorsätzlich geplanten und durchgeführten Völkermord“ handele, „Beihilfe zum Völkermord“. Dies würden Aussagen deutscher Offiziere und Diplomaten zur Zeit des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich belegen. Jelpke verwies zudem auf die jetzige Situation der Nachfahren der Überlebenden, die heute erneut vor den „Schlächter(n) des Islamischen Staat und der Al-Nusra-Front“ auf der Flucht seien. Die Türkei unterstütze die „dschihadistischen Mörderbanden“ durch „logistische Hilfe, Munition und sogar Feuerschutz“. Deutschland sei als NATO Bündnispartner der Türkei in der Pflicht, „mit Erdogan und seiner Regierung über 1915 und über die Gegenwart endlich Klartext zu reden.“

Cem Özdemir (Die Grünen) betonte die Wichtigkeit der Aufarbeitung für den türkischen Rechtsstaat und den Umgang mit anderen Minderheiten in der Türkei. Özdemir forderte ein eindeutigeres Bekenntnis der Bundesregierung zur Anerkennung des Völkermordes. Die jetzige Zurückhaltung „unterstütze diejenigen, die den Völkermord leugnen und diejenigen, die die Unterstützung brauchen, die Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft, die werden im Stich gelassen.“ Dies wurde auch von der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach unterstrichen.

Die „Komplizenschaft im Verschweigen und Vertuschen mit dem Deutschen Reich und Deutschland“ werde mit dieser Debatte beendet, versprach Norbert Röttgen (CDU).

Die Bundestagsdebatte ist als historischer Meilenstein für alle Opfergruppen zu betrachten. „Wir erhoffen uns, dass mit dieser Debatte mehr Menschen und zivilgesellschaftliche Gruppen in der Türkei den Mut finden, um über die Verbrechen an christliche Minderheiten im Osmanischen Reich zu sprechen und damit der Opfer zu gedenken“, so Janet Abraham, Genozid-Beauftragte des ZAVD.

Es sei erfreulich, dass neben den Armeniern auch andere Opfergemeinschaften wie Assyrer in den Reden explizit erwähnt wurden und auch der Zentralverband der Assyrischen Vereinigungen in Deutschland und Europäischer Sektion e.V. als Ehrengast zur Bundestagsdebatte geladen wurde.

Der Vorstand

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