Religionsfreiheit verteidigen - Christen schützen

Solidaritätsgruppe Tur Abdin und Nordirak

Vom 24. bis 25. Februar 2012 fand in der Evangelischen Akademie Tutzing die20. Jahrestagung der Solidaritätsgruppe Tur Abdin und Nordirak statt, die anlässlich des20-jährigen Bestehens mit einem festlichen Empfang gefeiert wurde. Die Tagung standunter dem Motto „Religionsfreiheit verteidigen – Christen schützen“.

Unter den zahlreichen prominenten Gästen aus Politik, Kirche, Vertretern von deutschen, europäischen und assyrischen NGOs begrüßte Pfarrer Horst Oberkampf in seiner Eröffnungsrede die Ehrengäste und Redner der Veranstaltung – aus dem Kloster Mor Gabriel Erzbischof Timotheus Samuel Aktas, Isa Gülten, Isa Dogdu, und den Vorsitzenden der Stiftung Mor Gabriel Kuryakos Ergün; aus Holland Erzbischof Polikarpos Augin Aydin; aus dem Irak Janet Saleem Al-Kes, Vorsitzende des Frauenvereins Etana sowie Pfarrer Schmuel Nihad Maqdis von der Apostolischen Kirche des Ostens und schließlich Prof. Bielefeldt, Sonderberichterstatter der UNO-Menschenrechtskommission und Dozent für Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg.

20. Jahrestagung

24.02.2012 | Tutzing
Solidaritätsgruppe Tur AbdinSolidaritätsgruppe Tur AbdinSolidaritätsgruppe Tur AbdinSolidaritätsgruppe Tur AbdinSolidaritätsgruppe Tur Abdin

Pfarrer Oberkampf zeichnete ein kurzes Bild der aktuellen Lage der Assyrer im Tur Abdin, die unter der Unsicherheit angesichts der weiterhin laufenden Prozesse gegen das Kloster leiden, und der Situation im Nordirak, wo nach dem Abzug der US-Truppen die Konflikte zwischen den muslimischen Konfessionen wieder aufflammen und auch die christliche Minderheit vermehrt ins Visier von Anschlägen und Gewalt gerät.

Zum Motto der Veranstaltung „Religionsfreiheit verteidigen – Christen schützen“ umriss Thomas Prieto Peral, Kirchenrat der Evangelischen Landeskirche Bayern (ELKB) und Vorstandsmitglied der Solidaritätsgruppe Tur Abdin und Nordirak (SGTA) die Bedeutung der jüngsten Ereignisse und Machtwechsel im Nahen Osten für die Demokratieentwicklung in der Region sowie ihre möglichen Auswirkungen auf die christlichen Minderheiten in den jeweiligen Ländern.

Er unterstrich die Notwendigkeit für die Christen im Orient, an den gesellschaftlichen Veränderungen Seite an Seite mit den gemäßigten und liberalen muslimischen Mehrheiten teilzunehmen und so an einer politischen und gesellschaftlichen Neugestaltung mitzuwirken. Dabei sehe sich die SGTA als Mittler und Netzwerk mit den Kirchen des Ostens weiterhin ihrer Verantwortung für die Menschen in Bedrängnis verpflichtet.

Pfarrer Schmuel Nihad Maqdis aus Bagdad von der Apostolischen Kirche des Ostens sprach Grußworte im Namen des Erzbischofs Mor Gewargis Sliva und schilderte in seinem Bericht die Widrigkeiten, welchen er als Priester in Bagdad gegenübersteht. Als ein Hauptproblem führte er das fehlen von Respekt und Verständnis für das Gegenüber zwischen den Religionen und Völkern im Irak an; als Priester müsse er eine Gemeinde führen, die sich nicht länger als gewünschter Teil der Gesellschaft sieht. Priester als exponierte Führer würden entführt und oder getötet. Vor 2003 habe die Diozöse in Bagdad noch 6000 Familien mit etwa 24.000 Personen gehabt, mittlerweile seien nur mehr 4000 Personen verblieben.

Janet Saleem Al-Kes, Vorsitzende des Frauenvereins Etana aus Mossul, berichtete in ihrem Vortrag über die Situation der Frauen im Irak, welche sich seit Beginn der amerikanischen Invasion dramatisch verschlechtert habe. Bildung, Arbeit und elementare Rechte seien nicht mehr gewährleistet, hingegen bestimme sie Scharia das Leben aller Frauen im Irak. Auch im demokratischeren Nordirak unter der kurdischen Autonomieregierung sei die Situation trotz eindeutiger Gesetzeslage nicht wesentlich besser. Weiterhin schilderte Frau Saleem die Arbeit ihrer Organisation, die ökonomische, politische, berufliche und medizinische Weiterbildung für Frauen im Irak organisiere.

In der folgenden Diskussion gaben die Redner Informationen zur Anzahl assyrischer Flüchtlinge aus dem Irak innerhalb des Irak sowie in Syrien, Jordanien und Europa und wiesen auf den eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Eingreifen der Westmächte im Orient hin, welches die Auslöschung des Christentums im Orient zur Folge gehabt habe.

Erzbischof Timotheus Samuel Aktas aus dem Kloster Mor Gabriel schilderte in seiner Rede die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit; hier standen die laufenden Prozesse gegen das Kloster im Vordergrund. Der Erzbischof wies auf zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Verfahren hin und schilderte die politischen Hintergründe der Vorwürfe gegen das Kloster. So sei er in einem persönlichen Treffen mit den türkischen Staatsoberhäuptern Erdogan und Gül daraufhin gewiesen worden, dass das Engagement der Assyrer in der Diaspora zur Anerkennung des Völkermordes mit ursächlich für die juristischen Anschuldigungen gegen das Kloster seien.

Weiter berichtete er über die zahlreichen Unterstützungen, welche das Kloster von Seiten europäischer Politiker, Diplomaten, Kirchen und NGOs in dieser Angelegenheit erfahren habe.

Im Weiteren berichtete der Erzbischof auch über positive Ereignisse im Tur Abdin, so die Wiedereröffnung des Klosters Mor Augin, die Wahl des assyrischen Abgeordneten Erol Dora in das türkische Parlament, die Renovierungsarbeiten an zahlreichen Kirchen, welche für Gottesdienste wieder zur Verfügung stünden sowie mehrere Symposien in der Region zur Lage der Assyrer bzw. anderer ethnischer und religiöser Minderheiten in der Türkei, wo auch offen über den Völkermord diskutiert wurde.

Die Kontroverse um das Geschichtsbuch für die türkischen Schulen, welches Assyrer als Aufständische und Volksverräter bezeichnet, die weiterhin nicht existente Rechtssicherheit von Assyrern, die Opfer von Übergriffen werden und die Prozesse gegen das Kloster ließen ihn skeptisch bleiben ob der positiven Veränderungen für Christen in der Region und stelle für ihn die Aufrichtigkeit der politischen Reformen in Frage. Der Erzbischof schloss mit einem herzlichen Dank und Gratulation an die SGTA für 20 Jahre moralische und materielle Unterstützung und Hilfe und bezeichnete die positiven Entwicklungen im Tur Abdin auch als die Früchte der Arbeit der SGTA.

Der erste Tag schloss mit einem festlichen Empfang, der von kurzen Ansprachen und musikalischer Begleitung durch die Sängerin Linda Hadiko und den Oud-Spieler Aziz Behnan umrahmt war. Pfarrer Oberkampf schilderte kurz die Entstehung der SGTA durch den Kontakt zu Dr. Hans Hollerweger und dessen Arbeitskreis „Freunde des Tur Abdin“ 1991. Bei einem ersten Treffen in Augsburg Anfang 1992, das von Issa Hanna und Abdulmesih BarAbraham organisiert worden war und zu welchem auch Isa Gülten vom Kloster Mor Gabriel und Pfarrer Bitris Shushe aus Augsburg eingeladen waren, wurde über die Gründung der neuen Initiative diskutiert. Schließlich gab Pfarrer Oberkampf einen Rückblick auf zwei Jahrzehnte von Reisen, Begegnungen und Projekte, der von einer Diapräsentation begleitet war.

Anschließend sprach Prof. Heiner Bielefeldt über die rechtliche Situation von religiösen Minderheiten in der Türkei. Dabei gliederte er die vorherrschenden Probleme in solche struktureller Art, wie fehlende Infrastruktur zur Ausübung einer Religion als Minderheit sowie die bürokratischen bzw. juristischen Behinderungen zum Aufbau solcher Strukturen. Dem gegenüber stünden Probleme gesellschaftlicher Art, wie etwa ein Klima von Ausgrenzung, Misstrauen und Hysterie gegenüber Andersgläubigen. Die internationale Kritik an Menschenrechtsverletzungen bezeichnete er als notwendig, da die aus völkerrechtlicher Sicht für alle Nationen bindend seien, unterstrich aber, dass gesellschaftliche Veränderungen zu einer liberaleren Gesellschaft aus dem Inneren dieser selbst kommen müssten.

Schließlich schilderte er als einen Konfliktpunkt die verschiedenen Betrachtungsweisen von Minderheiten in der Türkei. Er stellte dabei das alte hierarchisch-pluralistische Millet- System des Osmanischen Reiches dem kemalistischen Konzept eines egalitären Pluralismus gegenüber, welches keinen Platz für Minderheiten biete. Dass Minderheiten überhaupt existieren, sei nach dieser Auffassung eine Auflage des Lausanner Vertrages, was den Umgang mit den Minderheiten erschwere. Diesen Konzepten stehe schließlich das internationale Verständnis von Menschenrechten gegenüber.

Anschließend übermittelte Oberkirchenrat Michael Martin von der ELKB Grußworte und gab einen Rückblick auf die Zusammenarbeit der SGTA mit der Evangelischen Kirche.

Der Abend endete mit einem Schlusswort von Erzbischof Timotheus, welcher der SGTA für die lange Freundschaft und Solidarität dankte. Er schilderte kurz die extrem schwierige Situation für die Assyrer im Tur Abdin in den 80er und 90er Jahren und die unschätzbaren Hilfe der SGTA, die in dieser dunklen Zeit den Menschen der Region eine Perspektive für die Zukunft gegeben habe.

Der zweite Tag begann mit einer gemeinsamen ökumenischen Morgenandacht

Im anschließenden Podium mit Janet Saleem Al-Tes, Isa Gülten und Prof. Bielefeldt unter der Moderation von Pfarrer Johannes Minkus von der ELKB wurde über Zukunftsperspektiven für die Christen im Nahen Osten diskutiert. Dabei stellten die Podiumsteilnehmer die Situation trotz der aktuellen Revolutionen und Machtwechsel als eher düster dar – der Arabische Frühling sei ein Islamischer Frühling und der zunehmende Tribalismus im Nahen Osten sei eine Konsequenz aus der Destabilisierung bzw. dem verlorenen Vertrauen in öffentlichen Institutionen.

Die einzige Chance für Christen in der Region sei die Zusammenarbeit mit den gemäßigten und liberalen muslimischen Kräften sowie den anderen Minderheiten, um an der demokratischen Neugestaltung der Gesellschaften mitzuwirken. Die Bedeutung von Solidarität zwischen den einzelnen Ostkirchen wurde dabei als essentiell unterstrichen, ebenso die Unterstützung durch Institutionen und Kirchen aus Europa.

Die Tagung wurde von Pfarrer Horst Oberkampf mit einem Dank für die Zusammenarbeit und Unterstützung beschlossen.

Von Dr. Thomas Abraham

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