Von Frauen für Frauen

Internationaler Frauentag 2012

Es ist nicht allzu lange her, da bestimmten selbst in der Bundesrepublik vorrangig die „Drei K´s“ – Küche, Kinder und Kirche – die Rolle der Frauen. Seither hat sich im Zuge der Emanzipationsbewegung sicherlich einiges getan im Rollen- und Selbstverständnis, und dennoch: von einer Gleichberechtigung kann Anfang des 21. Jahrhunderts noch immer nicht die Rede sein.

Im Rahmen des Internationalen Frauentags lädt die Assyrische Frauengruppe Augsburg seit Jahren ein, um über solche und ähnliche Frauenthemen zu diskutieren, die Erfolge der Emanzipation kritisch zu beleuchten und neue Aspekte aufzuwerfen. Die diesjährige Veranstaltung, die in Kooperation mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Augsburg am 10. März 2012 im Assyrischen Kulturheim stattfand, behandelte insbesondere die Situation von Frauen mit Migrationshintergrund. Unter dem Titel „Das Selbstbestimmungsrecht von Migrantinnen in der hiesigen Gesellschaft und in der Heimat“ referierte Frau Marianne Brückl, freie Journalistin aus München mit Fokus auf Menschenrechten, vor ca. 70 Teilnehmerinnen. Die rege Diskussion im Anschluss offenbarte schließlich die Brisanz der Thematik und zeigte damit ein weiteres Mal, dass die Emanzipation der Frau noch lange nicht vollendet ist und sowohl politischer als auch gesellschaftlicher Agitation bedarf.

Von Frauen für Frauen

10.03.2012 | Augsburg
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Vortrag von Marianne Brückl: Selbstbestimmungsrecht von Migrantinnen in der hiesigen Gesellschaft und in der Heimat

Meine sehr verehrten Damen,

zuerst einmal bedanke ich mich bei Ihnen für die Möglichkeit, anlässlich des 101. Internationalen Frauentages heute hier zu sprechen.

I. Entstehung des Frauentages

Unser Dank gilt insbesondere der Frauenrechtlerin Clara Zetkin, die im Jahr 1910 auf der Zweiten Internationalen Konferenz sozialistischer Frauen in Kopenhagen für die Einführung eines solchen „Internationalen Frauentages“ plädiert hat. Mehr als 100 Frauen aus 17 Ländern haben damals diesen Vorschlag einstimmig angenommen. Bereits 1911 wurde er dann auch zum ersten Mal in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und in den USA durchgeführt.

Millionen von Frauen gingen auf die Straße und demonstrierten für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, Arbeitszeitverkürzungen, bessere Wohn- und Lebensbedingungen, Frauenwahlrecht und Gleichstellung in allen Lebensbereichen.

Dass es einen solchen Tag gibt, der den Frauen aller Gesellschaften gewidmet ist, kann man zwar als große Errungenschaft bezeichnen, doch leider genügt das noch längst nicht, um in den diversen, immer noch sehr stark von Männern dominierten Gesellschaften, entsprechend auch die gleichen Rechte zu haben. Sie müssen immer wieder neu definiert und eingefordert werden. Sie müssen stetig angepasst und das Erreichte verteidigt werden. In vielen Ländern haben sich Rechte von Frauen noch überhaupt nicht durchgesetzt, wie in den Ländern mit einer stark von der Scharia geprägten Rechtsauffassung.

Der Wunsch nach Freiheit und der Wille, über sich selbst zu bestimmen, das ist der Grund, warum sich auch in den islamischen Heimatländern die Frauen zunehmend gegen die traditionell geprägte Unterdrückung und Ungleichbehandlung in den patriarchalisch geprägten Systemen wehren. Es ist ein Streben nach einer Freiheit, die einhergeht mit dem Gedanken, seinem eigenen Willen Ausdruck zu verleihen und eigenverantwortlich zu leben. Es ist die Loslösung vom Joch der Zwänge durch andere, sei es durch den Staat, die Familie oder religiöse Institutionen. Es ist das Bedürfnis, sich in einer freien Welt auch frei zu entwickeln und verantwortlich zu sein für sich selbst.

Die Selbstbestimmung der einzelnen Individuen ist ein unverzichtbares Element in einer Demokratie. Und um in Staaten mit Diktaturen Demokratie zu erreichen, so wie sie in den Ländern des sogenannten „Arabischen Frühlings“ angestrebt werden sollte, ist es eine Notwendigkeit, Selbstbestimmung für alle Menschen jeden Geschlechts und jeder Glaubenszugehörigkeit zuzulassen und zu fördern. Doch davon sind diese noch weit entfernt.

Trotz aller Bemühungen gibt es aber auch in den modernen europäischen Ländern (wie z.B. Deutschland oder Frankreich) heute noch Bereiche, wo Frauen ungleich behandelt und benachteiligt werden, beispielsweise in „männerspezifischen“ Berufen. Aber auch als Vorgesetzte haben Frauen einen härteren Kampf durchzufechten. Sie müssen prinzipiell mehr Leistung erbringen, über mehr Wissen verfügen und mehr Geschick und Diplomatie beweisen als ihre männlichen Gegenspieler. Zwar ist heute Frauenarbeit in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit geworden, aber nicht nur geringere Löhne für gleiche Arbeit sind immer noch ein Thema geblieben, sondern u.a. auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder Mobbing, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Frauen mit Migrationshintergrund sind davon noch stärker betroffen als Einheimische, da sie durch ihre ausländische Herkunft bereits vielfach schlechter positioniert sind und noch zu wenig über ihre Rechte als Frauen in der hiesigen Gesellschaft wissen, so z.B. ihr Selbstbestimmungsrecht. Für Frauen aus traditionell patriarchalischen Familien etwas beinahe Unvorstellbares.

Bereits in der Epoche der Aufklärung als auch des Idealismus griffen bedeutende Philosophen wie Immanuel Kant (Aufklärung 1724-1804) und Georg Friedrich Wilhelm Hegel (Idealismus 1770-1831) den Begriff „Selbstbestimmung auf, der damals schon als „individualistisch“ oder „autonomistisch“ galt. Was versteht man unter Autonomie? Der Begriff umfasst Selbstständigkeit, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit. Dass die Durchsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung hinsichtlich der Frauen denjenigen ein Dorn im Auge ist, die ihre Macht über sie erhalten wollen, versteht sich daher von selbst.

Denn, wo Selbstbestimmung gar nicht erst in die Köpfe Eingang findet, wird sich ein Mensch auch nicht gedanklich auseinandersetzen mit dem ihm Vorgegebenen. Er wird nicht hinterfragen, ob das, was man ihm auferlegt auch für ihn selbst sinnvoll ist. Er wird dem folgen, was man ihm als einzige Handlungsmöglichkeit aufzeigt. Selbsterfahrung und Selbstbild sind beschränkt, wenn es keine Alternativen gibt, etwas solches zu entwickeln.

II. Bedeutung des Begriffs „Selbstbestimmungsrecht“ anhand verschiedener Definitionen

Was bedeutet der Begriff „Selbstbestimmungsrecht“ eigentlich?

Der Philosophie-Prof. Volker Gerhardt von der Humboldt Universität zu Berlin hat die Bedeutung dieses Begriffs sehr klar und einfach definiert: „Selbstbestimmung heißt, dass der Mensch selbst über die Ziele seines Handelns befindet und sie aus eigenem Antrieb anstreben kann. Sie heißt vor allem, dass jeder Einzelne aus dem Anspruch auf seine Selbstbestimmung lebt. Sie gehört ihm aus der bloßen Tatsache seines Daseins und kann ihm von niemand anderem streitig gemacht werden.“ (fiph-Journal Nr.8, Sept. 2006)

Sie umfasst also u.a. das Recht, für sich selbst Entscheidungen zu treffen, über seine Person und seinen Körper selbst zu bestimmen, ohne dadurch von anderen Menschen beeinflusst oder gehindert zu werden. Sei es, dass man sich weiterbilden oder einen Job annehmen will, sich seinen Partner selbst bestimmt, sich operieren zu lassen, oder aber eine Entscheidung darüber zu treffen, ob man sich als Organspender zur Verfügung stellt, um nur ein paar kleine Beispiele zu nennen.

Weiter sagt er: „Selbstbestimmung wehrt vor allem die Zumutung ab, dass ein Mensch über einen anderen verfügt, ohne dessen Zustimmung einzuholen.“

Es existieren dazu auch noch einige weitere sehr schön formulierte Definitionen von Selbstbestimmung, so z.B. eine in Artikel Online (A-ON), veröffentlicht vom Autor Stefan Kaiser.

„Selbstbestimmung bedeutet, unabhängige Entscheidungen für sein eigenes Leben zu treffen, seinen Werdegang selbständig zu beeinflussen und Verantwortung zu übernehmen.“

Eine sehr kurze und prägnante Beschreibung dessen, was sie bedeutet: Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Verantwortung und Freiheit.

Er erklärt im Gegenzug aber auch die Bedeutung dazu, wenn andere die Selbstbestimmung versagen.

„Untersagte Selbstbestimmung bedeutet Fremdbestimmung durch andere, die für sich selbst zu beanspruchen wissen, dass die fremdbestimmte Person aufgrund unterschiedlicher Faktoren nicht in der Lage ist, verantwortungsvolle Entscheidungen ihr eigenes Leben betreffend zu fällen.“

Gerade in den stark von der Scharia geprägten Heimatländern macht es sich sehr stark bemerkbar, dass starre Traditionen ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen unterbinden und ihnen die Fähigkeit zu selbstverantwortlichem Denken und Handeln abgesprochen wird. Der Mann bestimmt über die Frau.

Um es deutlicher zu sagen: Wo ein Staat, eine Kirche oder in patriarchalischen Kulturen ein Vater oder die Brüder den Frauen ihren Willen aufzwingen und sie daran hindern, eigene Entscheidungen zu treffen, ist die Frau fremdbestimmt.

Aber, meine Damen, diese Freiheit steht jedem Menschen zu, ob Mann oder Frau. Und, wie Sie nachher auch sehen werden, darf und kann sie auch nicht ohne triftigen Grund beschränkt werden. Das wäre z.B. hier in Deutschland nur der Fall, wenn sich eine 14-jährige, weil sie sich von der Natur benachteiligt fühlt, einer Brustvergrößerungsoperation unterziehen will. Hier gibt es diese Beschränkungen durchaus, da diese zum Schutz des Mädchens gedacht sind und ihm selbst die notwendige Einsicht fehlt, eine solche Entscheidung selbstbestimmt zu treffen.

Auch dann, wenn es um die Schulbildung von Kindern geht, gilt in unserem Bildungssystem die Selbstbestimmung nicht uneingeschränkt. Hier findet eine sorgsame Abwägung statt: die Fürsorgepflicht der Eltern und ggf. des Staates gegen eine freie Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen. (vgl. fiph-Journal Nr. 8, Sept. 2006, Gerhard Kruip, Jan Kaplow)

„Selbstbestimmung nimmt somit einen hohen, wenn nicht den höchsten Stellenwert im menschlichen Leben ein. Sie ist notwendige Voraussetzung für die Entwicklung der eigenen Identität und deren Integration. Sie ist die Basis für Unabhängigkeit und Freiheit und somit jedem Menschen uneingeschränkt zuzusprechen.“ schreibt Stefan Kaiser.

Das gilt für alle Menschen. Und nicht nur hier in Europa. Es war zwar ein langer Weg dorthin, der für die europäischen Frauen sehr steinig war, aber sie haben es weitgehend geschafft, sich von den patriarchalischen Denkmustern zu lösen und sich das Recht auf Selbstbestimmung zu erkämpfen.

In den 60/70er Jahren galt das „Patriarchat“ als fundamentalistische Macht, als ein Zusammenspiel von Anmaßung, Ignoranz, und Zerstörung durch die Männerwelt (damit war das Militär gemeint) (Assoziation Männer-Militär-Krieg-Gewalt). Das Patriarchat stand gleichbedeutend für „Gewalt“ in all ihren Ausdrucksformen.

Autonomie war das, was die Frauen wollten. Die Idee der Selbstbestimmung setzte sich durch. Die Frauen haben den Beweis erbracht, dass man sich aus den alten Strukturen befreien muss, um etwas Neues zu schaffen. Das ist ihnen in großen Teilen gelungen.

„Die somit als wesenhaft zum Menschen gehörende Selbstbestimmung bildet die Grundlage für menschliches Wohlbefinden, welches in engem Zusammenhang mit der Befriedigung von Bedürfnissen, dem subjektiv sinnvollen Erlebten des eigenen Wirkens und der Möglichkeit zur Integration steht. Eine grundlegende Gefährdung des Wohlbefindens besteht zu jeder Zeit, wenn Autonomie untersagt wird.“ führt Kaiser aus und benennt die Folgen:

  • Eigene Bedürfnisbefriedigung ist nicht mehr gewährleistet, da die notwendigen Bedürfnisse durch andere festgelegt werden.
  • Das eigene Wirken wird ersetzt durch fremdbestimmte Vorgaben, die aus eigener Sicht nicht unbedingt als sinnvoll betrachtet werden können.
  • Integration an sich ist „ohne der Verantwortlichkeit angemessene Selbstbestimmung im eigentlichen Sinne nicht möglich.“

Sicherlich ist Ihnen aufgefallen, wie eng die Begrifflichkeiten Selbstbestimmung, Identität und Integration miteinander verknüpft sind.

Damit komme ich zum eigentlichen Thema, dem „Selbstbestimmungsrecht der Migrantinnen in der hiesigen Gesellschaft und in der Heimat“.

III. Das Selbstbestimmungsrecht der Migrantinnen in der hiesigen Gesellschaft und in der Heimat

Gerade in den patriarchalischen Systemen und Familienstrukturen, die den strengen Traditionen folgen, wird noch häufig versucht, dieses Recht der Frau auf Selbstbestimmung zu unterbinden. Das ist nicht nur in den islamischen Heimatländern der Fall, sondern wird häufig auch in unserer hiesigen Gesellschaft praktiziert. Das Recht auf Selbstbestimmung wird ihr entzogen, häufig auch die Möglichkeit, die Sprache des Aufnahmelandes zu lernen. Die Folgen sind Isolation der Frauen, die dadurch nur in ihrem eigenen Kulturkreis Kontakte aufzubauen in der Lage sind, mangelndes Selbstbewusstsein, Rückfall in die alten oder Erhalt der traditionellen Strukturen, Scheu vor der Wahrnehmung ihrer natürlichen Rechte.

Aufgrund der starken Wandlung der Geschlechterrolle in den letzten Jahrzehnten muss die Frau aber in der modernen Gesellschaft ihre eigene Identität frei entwickeln können, dies durch Selbst- und nicht durch Fremdbestimmung, weder durch den Zwang von Staat, Religion oder dauerhaft durch Einfluss des sog. „Familienclans“.

Doch wie es leider noch zu oft in vielen Familien mit Migrationshintergrund vorkommt, sind auch hier in Deutschland noch nicht alle Traditionen der zugewanderten Familien über Bord geworfen worden und verlangen grundlegende Reformen.

Angefangen von der traditionell geprägten Geschlechtertrennung bis hin zur eingeschränkten Partnerwahl erfahren gerade die Migrantinnen aus den orientalischen Ländern zwangsläufig eine Konfliktsituation zwischen der oft sehr religiös geprägten patriarchalischen Familienstruktur und der freiheitlich orientierten westlichen Gesellschaft. Ein Konflikt, der zu Spannungen führt, sowohl mit der eigenen Psyche als auch mit dem familiären Umfeld, dem die Frauen oftmals nicht standhalten. Sie fügen sich zwangsläufig den Riten und Sitten, die in den Heimatländern praktiziert werden.

Sie werden gegen ihren Willen verheiratet, auch wenn das offiziell mittlerweile als eigener Straftatbestand geahndet wird, aber sie trauen sich oft nicht, aus Angst vor Repressalien vor der eigenen Familie, sich dagegen zu wehren und auf ihr Recht in einem freien und demokratischen Land zu pochen.

Bedingt durch die unterschiedlichen Situationen verschiedener Frauen, zwischen der alten und der jungen Generation, zwischen Einheimischen und Zugewanderten, gibt es daher auch Unstimmigkeiten auf verschiedenen Ebenen, gerade, wenn auch in der neuen Heimat keine Adaptierung des männlichen Geschlechts an die Werte der hiesigen Gesellschaft wie Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Frauen erfolgt.

Im Rahmen eines Interviews Ende Dezember mit unserem Bayerischen Innenminister Joachim Herrmann zum Thema Integration habe ich ihm die Frage gestellt:

„Unser Grundgesetz basiert auf christlichen Werten und sieht eine Gleichbehandlung von Mann und Frau, wie auch die gegenseitige Akzeptanz und Toleranz aller Menschen vor. Trotzdem werden auch hierzulande die Frauen aus Kulturen mit patriarchalischem Denken unterdrückt und es gibt immer wieder Ehrenmorde. Wie kann man das Ihrer Meinung nach verhindern?“

Er hat sich hierzu sehr treffend geäußert:

„Unsere Rechtsordnung in Deutschland ist das Ergebnis einer jahrtausende langen Entwicklung, die in Elementen der griechischen und römischen Antike, des Juden- und des Christentums, aber auch des Humanismus und der Aufklärung fußt. Hieraus hat sich unser Freiheitsverständnis und auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau entwickelt. Das gehört zu den grundlegenden Normen in unserem Land, die von jedem hier auch zu respektieren sind. Es kann nicht sein, dass sich jemand auf eine andere Tradition und Kultur beruft und deshalb in unserem Land nach anderen Grundsätzen leben will. Das können wir nicht akzeptieren, erst recht nicht, wenn andere Leitvorstellungen mit Gewalt durchgesetzt werden sollen oder sie schlimmstenfalls auch noch in Ehrenmorden münden. Das muss natürlich mit aller Konsequenz verfolgt und geahndet werden. Um solche Entwicklungen von vornherein zu verhindern, ist es besonders wichtig, sogenannten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Es ist absolut integrationsfeindlich, wenn eine große Zahl von Menschen in unserem Land unsere Gesellschaftsordnung ablehnt.“

Ob Deutsche oder Migranten, grundsätzlich gilt das Recht auf Selbstbestimmung für alle Bürger in Deutschland, was sich klar aus unserem demokratischen Wertekonsens und dem Grundgesetz ergibt.

Insbesondere die Artikel 1 bis 7, aber auch Artikel 12 GG dürften für das Verständnis des Selbstbestimmungsrechts der Migrantinnen wesentlich sein. Ich möchte an dieser Stelle aber nur auf einige Punkte eingehen.

In Art. 1 heißt es: (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Was verstehen wir eigentlich unter Menschenwürde? Sie ist etwas ganz Persönliches, jedem als Mensch geborenem Geschöpf eigen. Ob es nun weiblich oder männlich, dunkel- oder hellhäutig, arm oder reich, in der christlichen oder muslimischen Gesellschaft, in Deutschland, China, Indien oder wo auch immer das Licht der Welt erblickt. Diese Würde beginnt mit dem Menschsein. Es gibt keine klassifizierte Menschenwürde und somit auch keinen in Klassen eingeteilten Menschen. Der Mensch ist, was er ist, nämlich Mensch. Und über alle Grenzen hinweg wird sich daran auch nichts ändern.

Art. 2: (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Das heißt, dass dieses Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch die Selbstbestimmung mit einschließt. Nämlich das Recht der Migrantin, selbstbestimmt zu entscheiden, über ihre Person, über ihre Handlungen, über ihre Art und Weise zu leben. Und wenn sie als Frau die Entscheidung trifft, ihr eigenes Leben selbst zu gestalten, sich einen deutschen Freund zu suchen, so kann und darf ihr das keiner verbieten, wenn sie das durch ihren freien Willen möchte. Und wenn sie sich beispielsweise aufgrund ihrer freien und selbstbestimmten Willensäußerung mit Verletzungen des in Art. 2 (2) genannten Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit innerhalb der Familie konfrontiert sieht, dann würde ein Eingriff in dieses Grundrecht seitens der patriarchalischen Familienmitglieder (z.B. der Vater) damit eine weitere Grundrechtsverletzung darstellen. Die Grundrechte bieten also in sich bereits eine ergänzende Absicherung.

Die Frau ist durch das Grundgesetz geschützt. Und, wie der Innenminister sich auf meine entsprechende Frage hin äußerte: „Jeder, der sich bedroht sieht, kann sich natürlich an die Polizei wenden, die dann entsprechend auch mit Beratung, Schutz und Hilfe zur Verfügung steht. Wir haben bei allen Polizeipräsidien in Bayern spezielle Ansprechpartnerinnen, die gerade auch jungen Frauen aus anderen Kulturen helfen.“

Art. 3: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. […]

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. […]

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. […]

Art. 4: (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

Art. 5: (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. […]

Wenn eine muslimische Migrantin z.B. den Wunsch verspürt, in eine Buchhandlung zu gehen und statt den Koran die Bibel zu lesen, kann ihr das die eigene Familie nicht verwehren. Es ist ihr selbstbestimmtes Recht, sie zu lesen, und ihre Meinung frei zu äußern. Das Grundgesetz gibt ihr auch hier den Rückhalt, denn es gilt für sie gleichermaßen wie für die Deutschen, weil sie in der deutschen Gesellschaft lebt. Es gibt sehr viele Beispiele dieser Art, die eigentlich in sich selbst und für jede Frau aus dem westlichen Kulturkreis normal erscheinen, doch ist das für Migrantinnen keine Selbstverständlichkeit angesichts ihrer aus der Heimat importierten Traditionen.

Art. 6: (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. […]

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Art. 7: (1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

Art. 12: (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. […]

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, […]

Eine Migrantin, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, muss sich also ihren beruflichen Werdegang nicht vorschreiben lassen. Allerdings setzt dies die entsprechende Qualifikation voraus, was ihr ebenfalls selbst in die Hand gelegt ist, zu entscheiden, welche sie erwerben möchte. Hier kann sie selbst bestimmen, was sie tun möchte. Der Mann hat, und das ist ein wesentlicher Aspekt, kein Recht, sie darin zu behindern.

Das Grundgesetz impliziert also insgesamt diesen Anspruch auf Gleichbehandlung aller Menschen und damit auch der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit jedes Menschen, gleich welchem Kulturkreis er entstammt, innerhalb der rechtsstaatlichen Grenzen. Allein das auf Dauer ausgerichtete Leben in Deutschland gibt der Migrantin das Recht auf Wahrnehmung der durch die bundesrepublikanische Werteordnung garantierten Grundrechte.

Insbesondere die Migrantinnen leiden darunter, wenn ihnen diese Freiheiten und die Gleichberechtigung durch den eigenen Kulturkreis versagt werden und die dadurch Diskriminierung erfahren. Es sind zumeist nicht die Frauen, die eine Anpassung ablehnen, sondern im Gegenteil der Zwang im engsten Umfeld.

Das beginnt bereits bei den Bildungschancen. Denn wenn eine Frau über entsprechende Bildung verfügt, wird sie in der Regel die ihr von der Männerwelt zugedachte Rolle abstreifen und sich zu einer selbstbewussten Persönlichkeit entwickeln, die sich nicht mehr damit zufrieden gibt, nur den Haushalt zu machen, ihre Kinder und den Ehemann zu versorgen, sich aufgrund ihres Geschlechts den Befehlen der Familie unterzuordnen und nicht die allgemeinen Freiheiten eines demokratischen Landes für sich in Anspruch nehmen zu dürfen. Sie wird auch eine gewisse Beteiligung an diesen, der Frau bislang allein zugedachten Aufgaben, auch den männlichen Familienmitgliedern abverlangen. Sie wird den Wunsch haben nach einer Position im Berufsleben, nach Selbstbestimmung in der Berufswahl, in der Partnerwahl, sowie in der freiheitlichen, für alle geöffneten Gesellschaft genauso zu leben und zu handeln.

Dieser Schritt zur Eigenständigkeit bedeutet für Migrantinnen ein Vielfaches mehr, als das, was einheimische Frauen in ihrem Bewusstsein wahrnehmen können. Sie braucht Mut und Rückhalt, sie benötigt Unterstützung und – was sehr wesentlich ist – die Kenntnis ihrer Rechte als Frau in einer modernen und kultivierten Gesellschaft, als Mensch mit eigener Würde und Anerkennung. Für sie hängt von einer solchen Entscheidung, sich zu einem selbstbestimmten Leben in einem Land mit einer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zu bekennen, ihre gesamte Existenz ab, ihre Lebensqualität innerhalb ihrer traditionellen Familienstruktur, wie auch im Zusammenleben mit und in dieser neuen Gesellschaft.

In dem Interview fragte ich Innenminister Herrmann auch folgendes:

„In Migrantenfamilien, die patriarchalisch geprägt sind, werden auch heute noch die Frauen „unter Verschluss“ gehalten, es gibt keine Gleichberechtigung etc. Was müsste Ihrer Ansicht nach geschehen, um das zu verändern?“

Worauf er antwortete:

„Wir dürfen so etwas nicht zulassen. Dieser klare Appell geht zunächst einmal an die deutsche Gesellschaft. Wir begegnen natürlich auch in Deutschland mancher Vorstellung, es sei doch egal, was Migranten untereinander machen, solange sie uns in Ruhe lassen. Wir müssen hier ein klares Signal setzen: In unserem Land gilt das Grundgesetz. Für alle gilt die Gleichberechtigung von Mann und Frau, für alle Frauen, die in unserem Land leben, egal, woher sie kommen. Deshalb dürfen wir solche Tendenzen nicht zulassen.“

Und hier, meine Damen, ist es sehr wichtig, dem Appell unseres Innenministers zu folgen und als integrierte und gleichberechtigte Frauen oder als Einheimische, auch den Migrantinnen Unterstützung zu bieten, die in sich dieser Rolle und diesem Selbstverständnis der Frau in unserer freiheitlichen Gesellschaft noch nicht zurechtfinden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine Frau, die unter Zwängen aufwächst und lebt, nicht ebenso den Wunsch verspürt, diese neue Art der Selbstverwirklichung zu erfahren und den patriarchalisch geprägten Strukturen zu entkommen. Die aber auch auf Widerstände aus ihrem eigenen Kulturkreis stößt, sobald sie sich dem Neuen zu öffnen bereit ist.

Aber, Wege zu suchen, sich zu bilden, die Sprache des Landes zu sprechen, in dem man lebt, zu studieren, dadurch höhere Positionen zu erlangen, und „Nein“ sagen zu dürfen, wenn man etwas nicht will! Dieses „Nein“ zur typischen Hausfrauenrolle, zu erzwungener Partnerschaft, zu Zwangsheirat, zu Abkapselung von der Mehrheitsgesellschaft. Das ist Selbstbestimmung, wie sie in Deutschland verstanden wird und wie sie jedem Einzelnen zusteht. Ob Migrantin oder nicht.

Natürlich stellt sich hier aber auch die Frage, „Was bin ich als Migrantin selbst bereit, dafür zu tun, um meine alte Rolle in der traditionellen Gesellschaft mit der neuen in der modernen zu vertauschen? Denn, ohne eigenes Zutun kann keine Veränderung der Rolle in der Gesellschaft stattfinden.

Gerade in den orientalischen Ländern erfahren die Frauen vielfach eine absolute Inakzeptanz ihrer Frauenrechte. Wenn man hier von Selbstbestimmung sprechen möchte, so trifft man von Beginn an auf schier unüberbrückbare Hindernisse. Zum einen von staatlicher, zum anderen von religiöser Seite, wodurch auch die familiäre Situation bestimmt wird.

Eine junge Frau, nämlich Sabatina James – die sicherlich vielen ein Begriff sein dürfte – hat trotz aller Hindernisse den Mut bewiesen, sich für ein selbstbestimmtes Leben in der freien westlichen Gesellschaft zu entscheiden. Sie dient als Vorbild für viele Frauen, die aus den Zwängen ihrer patriarchalisch gestrickten Gesellschaft ausbrechen wollen. Gegen alle Widerstände ihrer Kultur, wehrte sie sich gegen Zwangsheirat und Verfolgung durch ihre eigene Familie. Sie entging der Ermordung durch die eigene Familie, und sie hilft heute allen Frauen, die in Freiheit und Eigenverantwortlichkeit leben wollen.

Wie ich eingangs bereits erwähnte, wehren sich mittlerweile auch zunehmend Frauen aus den Heimatländern gegen das traditionelle Frauenbild, das geprägt ist von Gehorsam, Unterdrückung und Unterwerfung, insbesondere im muslimischen Kulturkreis.

Bedauerlicherweise möchten manche Frauen, die nur das und nichts anderes gewöhnt sind, die keinen Zugang zu Bildung haben, auch nichts daran ändern und lehnen die Selbstbestimmung ihrer Geschlechtsgenossinnen und auch den Kontakt zur westlichen Gesellschaft ab.

Auf meine Frage, was von staatlicher Seite unternommen wird, um einen engeren Kontakt zwischen Migranten und Einheimischen zu schaffen, sagte mir Innenminister Herrmann,

„Das Wesentliche ist, dass Migranten unsere Sprache sprechen. Wichtig ist außerdem, dass Migranten einen Arbeitsplatz haben, dass sie in die Arbeitswelt integriert werden und von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können. Die Integration am Arbeitsplatz fördert gleichzeitig auch insgesamt den Kontakt zu Arbeitskolleginnen und kollegen. Das setzt sich dann natürlich auch in der Freizeit fort, ob das im Sportverein ist oder bei einer anderen Gelegenheit. Ich glaube, dass wir da heute schon eine Vielzahl von Angeboten haben, die zum Teil auch vom Staat gefördert werden. Aber letztendlich ist Integration eine Aufgabe, die der Betreffende auch selbst zu schultern hat. Es ist nicht in erster Linie eine Frage des staatlichen Engagements, wie stark jemand integriert wird.“

Zum Schluss noch ein Satz, den sich gerade die (nicht anwesenden) Männer aus den patriarchalisch geprägten Kulturen sehr zu Herzen nehmen sollten: „Integration findet von selbst statt, soweit der Einzelne bereit ist gewisse Pflichten der Gesellschaft anzunehmen und Rechte, wie die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Frau zu gewähren.“

Ich kann nur allen Frauen, gleich welchem Kulturkreis sie entstammen mögen, Mut machen, nicht aufzugeben, sondern gemeinsam für ihr Recht auf Selbstbestimmung in allen Gesellschaften zu kämpfen und ihren Vätern, Ehemännern, Brüdern oder sonstigen männlichen Verwandten diesen einen Satz nahezulegen. Denn jede Frau, Migrantin oder Einheimische, hat das Recht, sie selbst zu sein und frei und gleichberechtigt zu leben!

Vielen Dank!

Nurba Yacoub

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