Analyse

Wann endet der Albtraum syrischer Christen?

Augsburg - Nach fünf Jahren Krieg scheinen die Karten in dem geschundenen Land neu gemischt zu werden. Alte Bündnisse brechen auseinander, neue zeichnen sich ab. Jetzt muss sich zeigen, ob sich daraus Chancen ergeben.

Die Türkei greift in Syrien ein. Die Russen sind längst da – an der Seite des Assad-Regimes. Die USA versuchen einen Krieg zwischen Türken und kurdischen Milizen auf syrischem Boden zu verhindern, während die Terrormiliz Islamischer Staat an Boden verliert. So könnte ein – zugegeben äußerst unvollständiges – Telegramm lauten, das die Ereignisse in Syrien in den letzten zwölf Monaten zusammenfasst. In diesem kaum überblickbaren Gewirr aus ständig wechselnden Bündnissen haben die syrischen Christen Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Und das in einer Lage, die vielerorts katastrophal ist.

„Wir sind eine Minderheit, die im ganzen Land versprengt siedelt und verschiedenen Konfessionen angehört. Das macht es noch schwerer, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen“, sagt Issa Hanna von der Assyrischen Demokratischen Organisation (ADO), der von Augsburg aus intensive Kontakte in seine Heimat pflegt, im Gespräch mit unserer Zeitung.

In den Zahlen spiegelt sich die Perspektivlosigkeit: Von den rund 21 Millionen Menschen, die noch 2011 in Syrien lebten, waren – je nach Schätzung – 1,3 bis 2 Millionen Christen verschiedener Konfessionen. Nach fünf Jahren Krieg dürfte heute die Hälfte davon aus dem Land geflohen sein. Auf dem Spiel stehen eine uralte Siedlungstradition, eine eigene Sprache und eine viele Jahrhunderte alte Kultur. „Nach wie vor ist der Wunsch, Syrien zu verlassen, sehr groß“, sagt auch Abdulmesih Bar Abraham, der ebenfalls von Deutschland aus versucht, die syrischen Christen zu unterstützen.

Die Situation hat sich in den letzten Monaten weiter verschärft: „Im Norden war es lange relativ ruhig. Damit ist es vorbei. Seit Ende 2015 gibt es immer wieder blutige Anschläge auf christliche Viertel in den Städten“, sagt Hanna, dessen Familie in Qamischli, also im äußersten Nordosten des Landes lebt.

Doch auch die Flucht ist für Christen besonders schwierig. „In den von sunnitischen Muslimen bewohnten Flüchtlingslagern in Jordanien, der Türkei oder im Libanon können Christen nicht leben. Sie werden dort nicht akzeptiert“, sagt Bar Abraham. Sie sind darauf angewiesen, privat in der Türkei oder dem Libanon unterzukommen.

Die Christen, die noch in Syrien sind, haben längst begonnen, sich auf die neuen Koalitionen und Bündnisse einzustellen. Gewisse Hoffnung setzen Hanna und Bar Abraham auf den von russischen Truppen unterstützten Vormarsch der regulären Armee von Diktator Baschar al-Assad. Hanna: „Ich will nicht falsch verstanden werden, ich vertraue Assad keinesfalls. Aber von seinen Streitkräften haben wir Christen weniger zu befürchten als von den verschiedenen islamistischen Milzen, die es neben dem IS gibt.“ Bar Abraham räumt im Gespräch offen ein, dass christliche Milizen, die ihre Viertel oder Dörfer militärisch gegen Angriffe schützen, vom Assad-Regime mit Waffen ausgerüstet werden.

In der Tat gibt es kaum einen syrischen Christen, der sich nicht mit Wehmut an die Vorkriegszeit erinnert. Damals, so der Tenor, hätten die verschiedenen Religionen weitgehend problemlos zusammengelebt. Hier zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma in Nahost: Brechen staatliche Strukturen zusammen, geraten fast zwangsläufig die Christen in Not.

Mit wachsendem Misstrauen beobachtet Hanna die Bestrebungen der kurdischen Truppen, ein zusammenhängendes kurdisches Gebiet im Norden Syriens zu schaffen. „In den bereits besetzten Zonen haben die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) eine eigene Verwaltung installiert. Rücksicht auf Minderheiten oder andere Ethnien oder Religionen nimmt die YPG kaum“, erklärt Hanna. Und das, obwohl ihre Truppen längst Gebiete besetzt hätten, in denen Sunniten oder Christen die Mehrheit stellen. „Es hat seitens der YPG ethnische Säuberungen und die willkürliche Beschlagnahmung von Privateigentum gegeben. Es wurden sogar arabische Dörfer zerstört“, sagt Hanna. Alles Gründe dafür, dass die Intervention der Türkei gegen die YPG von vielen Christen zwar nicht bejubelt, aber auch nicht ausdrücklich verurteilt wird. In einem kurdischen Autonomiegebiet an der türkischen Grenze will jedenfalls kaum einer der Assyrer oder Orthodoxen leben. „Auch vielen Kurden ist ein solches Projekt suspekt“, fügt Bar Abraham hinzu.

„In den von Sunniten bewohnten Flüchtlingslagern können Christen nicht leben. Sie werden nicht akzeptiert.“ – Abdulmesih Bar Abraham

An einer Frage kommt man nie vorbei, wenn man mit Syrern über Syrien spricht. Gibt es Hoffnung auf Frieden? Die gibt es. Verschüttet zwar, aber sie ist da – vielleicht sogar etwas größer als noch vor einem Jahr. „Wenn es gelingt, nicht nur den IS, sondern auch die anderen radikalislamistischen Gruppen zu vertreiben, könnte es Russland und den USA doch gelingen, sich auf eine Waffenruhe zu einigen. Das wäre ein erster Schritt“, sagt Hanna. Dann würde es verschiedene Einflussgebiete – wie im Irak – geben. Hanna hofft, dass dies eine tragfähige Basis für eine Befriedung sein könnte.

Doch auch er weiß, dass dieser Weg – sollte er überhaupt gangbar sein – sehr lang sein wird. Inzwischen organisieren immer mehr syrische Christen in Deutschland Hilfsprojekte. So wie Issa Hanna und Abdulmesih Bar Abraham, die 2014 das Europäisch-Christliche Entwicklungswerk für Syrien gegründet haben. Der eingetragene Verein wird unter anderem von der katholischen Caritas unterstützt. Mitglieder gibt es bereits in ganz Deutschland. Mit Beiträgen und Spenden wird Hilfe für Kriegs- und Anschlagsopfer finanziert, wird eine christliche Schule für Flüchtlinge im Libanon ausgestattet.

Ein Engagement, das Christen in Syrien zugutekommt, aber auch Initiatoren wie Hanna oder Bar Abraham hilft, dem eigenen tiefen Schmerz über das endlose Drama in der Heimat etwas entgegenzusetzen.

Für Hilfsprojekte nimmt das Europäisch-Christliche Entwicklungswerk für Syrien e. V. unter IBAN: DE86 7205 0101 0030 3974 67, BIC: BYLADEM1AUG, Kreissparkasse Augsburg entgegen.

Von Simon Kaminski

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