Die Assyrer sind heute mit dem Stigma grausamer Eroberer behaftet. Das liegt jedoch nicht daran, dass sie viel kriegerischer wären als andere große Reiche der Geschichte; ihren Zeitgenossen galten sie keineswegs als besonders grausam. Ihre schlechte Presse verdanken die Assyrer vielmehr ihrem über Jahrhunderte anhaltenden militärischen Erfolg sowie dem Eifer, mit dem die assyrischen Könige ihre kriegerischen Erfolge in Wort und Bild verherrlichten.
Schriftliche Berichte sind in großer Zahl erhalten, in Stein gemeißelt wie auf Tafeln und anderen Objekten aus Ton geritzt, und viele der Wandreliefs, die ihre Paläste schmückten, zeigen kriegerische Szenen. Die Geschehnisse werden dabei, wie nicht anders zu erwarten, einseitig aus der Perspektive des assyrischen Hofes dargestellt. Glücklicherweise werden diese eigens für die Nachwelt konstruierten Überlieferungen durch andere Quellen ergänzt. Dazu gehören Verwaltungsakten, Originalbriefe und Notizen, aber auch schriftliche Hinterlassenschaften aus Reichen, die mit Assyrien in Kontakt standen.
Die Quellen enthüllen den Blick auf eine insgesamt gewalttätige, friedlose Zeit. Zahllose große und kleine Könige bekämpften einander, während zugleich Steppen- und Bergbewohner die Wege unsicher machten und den Karawanen auflauerten. Um das Jahr 1000 v. Chr., als die politische Zersplitterung einen Höhepunkt erreichte, war in weiten Teilen des Vorderen Orients die sesshafte Bevölkerung Überfällen nomadischer Gruppierungen ausgesetzt, deren Anführer gelegentlich auch von Beutezügen zur Eroberung übergingen und sich ihrerseits zu Herrschern kleiner Reiche aufschwangen.
Den assyrischen Königen ging es in dieser Situation zunächst nur um das Überleben ihres seit dem 12. Jahrhundert stark geschrumpften Reiches. Es gelang ihnen, der Gefahren Herr zu werden, und schon bald ging die Notwendigkeit, sich zu verteidigen und verlorene Reichsteile zurückzugewinnen, nahtlos über in unverhohlene Habgier. Die wachsende Macht Assyriens ermöglichte es, immer neue Reiche, Völker und Städte zu Tributzahlung und Heeresfolge zu zwingen.
Ermöglicht wurde dies durch das assyrische Heer, an dessen Spitze die Könige Jahr für Jahr ins Feld zogen. Kaum verwunderlich, dass sie diesen verheißungsvoll begonnenen Weg fortzusetzen gedachten und dafür ihre Streitkräfte kontinuierlich vergrößerten und perfektionierten. Die Strategie war von Erfolg gekrönt: In dem Maße, in dem das Heer wuchs, verging seinen Gegnern die Lust, sich mit ihm in offener Feldschlacht zu messen. Seit Mitte des 8. Jahrhunderts waren Feldschlachten folglich ausgesprochen selten.
Assyrien stieß im Verlauf seiner Expansion jedoch auch auf Mächte, die zu groß waren, um durch eine gewonnene Schlacht oder eine erfolgreiche Belagerung bezwungen zu werden. Wo die Einflußgebiete solcher Giganten aneinander stießen, schwelte der Krieg; er flackerte auf, kam scheinbar zur Ruhe, wurde durch Friedensschlüsse zeitweise unterbrochen, nur um mit erneuter Heftigkeit auszubrechen, sobald eine Seite ihre Aktivitäten verstärkte, weil sie sich momentan im Vorteil glaubte. Von befestigten Stützpunkten aus beobachtete man einander argwöhnisch, schädigte die Gegenseite durch Überfälle und versuchte nach Kräften, ihr die Untertanen und Verbündeten abspenstig zu machen. In einem solchen endemischen Kriegszustand befand sich Assyrien während anderthalb Jahrhunderten mit dem urartäischen Reich und etwa hundert Jahre lang mit dem elamischen Reich.
Da Assyrien einerseits viele Feinde hatte und anderseits seine Kräfte konzentrieren musste, um erfolgreich agieren zu können, wollte der Einsatz des Heeres wohlüberlegt sein. Es galt jeweils an den drängendsten Punkten einzugreifen und dabei allzu große Risiken zu vermeiden, denn das assyrische Heer war einzigartig und ließ sich nicht einfach ersetzen. Hatte sich der König entschieden wohin es gehen sollte, sammelte sich das Heer bei einer Festung oder Stadt in der Nähe des Einsatzgebietes, aus deren Magazinen sich die Truppen versorgen ließen. Die Truppenverbände strömten aus allen Teilen des Reichs zusammen. Vermutlich waren diejenigen aus dem assyrischen Kernland am besten ausgerüstet. Mit ihnen erschien der König inmitten seiner Leibgarde von 1000 Reitern; wie es hieß wichen diese ihm „weder im Freundes- noch im Feindesland je von der Seite“. Aus den Provinzen führten die Stadthalter ihre Kontingente heran, die sie aus eigenen Mitteln versorgten und auch im Feld befehligten. Die Truppen rekrutierten sich nicht mehr nur aus der eigentlich assyrischen Bevölkerung: Je mehr sich das Reich ausdehnte, desto mehr Angehörige anderer Völker nahm Assyrien in seine Streitkräfte auf, selbst die Krieger besiegter Reiche wurden nach Möglichkeit in die Armee integriert. Die Buntheit der assyrischen Streitkräfte wurde durch die Abteilung abhängiger Fürsten vervielfacht, die zur Heeresfolge verpflichtet waren – von Königen und Stadtfürsten, die mit kleinen Armeen erschienen, über die Anführer von Kriegern nichtsesshafter Stämme bis hin zu kleinen Heeren mit bewaffneter Gefolgschaft, die nur über einige wenige Siedlungen geboten.
Das Heer war sehr viel weniger uniform, als wir es heute mit Streitkräften assoziieren. Einheitlich gekleidet waren bestenfalls die Eliteeinheiten des assyrischen Kernlands, sofern wir den Reliefdarstellungen Glauben schenken können. Die übrigen unterscheiden sich in Tracht und Bewaffnung je nach dem Land, aus dem sie kamen.
Im 8. oder 7. Jahrhundert, als sich das Reich auf seinem Höhepunkt befand, sammelten sich zu Beginn eines Feldzugs wohl mehrere zehntausend Mann mit tausenden Pferden und Lasttieren. Den Zeitgenossen jedenfalls schien das Heer unermesslich groß, und die assyrischen Könige selbst waren so beeindruckt, dass ihre Inschriften stolz von den „Heeresmassen Assurs“ sprechen.
Nach dem Aufbruch vom Sammelpunkt vollzog sich ein Feldzug in Einzelnen Etappen. In jeder Region, in der das Heer verweilte, wurde ein befestigtes Lager aufgeschlagen. Szenen des dort herrschenden emsigen Treibens sind vielfach auf assyrischen Reliefs abgebildet: Man sieht Krieger, die vielerlei Beschäftigungen nachgehen, Bedienstete, die Tiere versorgen, Gefangene, die auf den Abtransport warten, und nicht zuletzt Priester, die den Diensten an den Göttern versehen. Zumindest für den König gestaltete sich der Aufenthalt keineswegs spartanisch. Er ließ alles mitführen, was notwendig war, um in gewohnter Pracht hofzuhalten und Gesandtschaften in eindrucksvollem Rahmen empfangen zu können.
Plünderungstrupps schwärmten vom jeweiligen Feldlager nach allen Seiten aus. Sie kehrten mit Gefangenen und den abgeschnittenen Köpfen derer zurück, die sich nicht hatten ergeben wollen, trieben erbeutete Tiere vor sich her und schleppten alles herbei, was nicht niet- und nagelfest war. Besonders wichtig waren Lebensmittel, denn anders als innerhalb des Reiches, wo sich Truppen aus Magazinen versorgen konnten, musste das Heer auf feindlichem Gebiet aus dem Land leben.
Waren die Ziele vor Ort erreicht und das Umland leergeplündert, so wurde das Lager abgebrochen, der Heerwurm setzte sich wieder in Bewegung und wälzte sich dem nächsten Ziel zu. Assyrische Armeen überwanden auf ihren Märschen unterschiedlichstes, auch sehr schwieriges Gelände, sie bewegten sich in Gebirgen Irans und Anatoliens, ebenso wie in den Sümpfen Südmesopotamiens oder den Wüsten Syriens; Sanherib ließ sogar eine amphibische Operation über den Persischen Golf hinweg durchführen. Die zurückgelegten Entfernungen waren teilweise enorm: Während des Feldzugs, der die Streitkräfte Assurbanipals bis nach dem oberägyptischen Theben führte, legten sie hin und zurück zusammen 3700km zurück. Wenn es sein musste, trieb der König seine Soldaten so erbarmungslos voran, dass sich die Strapazen „in ihre Gesichtszüge eingruben“.
Bisweilen erfahren wir von Täuschungsmanövern während des Anmarschs. Da lösten sich vom Hauptheer, das gerade ein Lager aufschlug und sich auf ein längeren Aufenthalt einzurichten schien, bei Anbruch der Dunkelheit schnelle Vorausabteilungen; nach nächtlichem Gewaltmarsch fielen sie im Morgengrauen über Siedlungen her, deren Bewohner die anrückenden Assyrer noch in weiter Ferne wähnten. Oder das gesamte Heer schlug eine Route ein, auf der es sich von seinem wahren Ziel entfernte, änderte dann plötzlich Richtung und Marschgeschwindigkeit und stand so überraschend vor den Grenzen eines Gegners, der sich eben noch in vollkommener Sicherheit gewiegt hatte.
Nun wüssten wir gern, was geschah, wenn das Heer auf feindliche Streikkräfte traf. Unglücklicherweise zeigen sich die Texte aber nur am triumphalen Ergebnis einer Schlacht interessiert, sie malen überwundene Hindernisse, die Beute, die Höhe der feindlichen Verluste, das Entsetzen des Gegners kräftig aus, verraten jedoch nie etwas über den eigentlichen Ablauf.
So sind wir darauf angewiesen, Rückschlüsse aus der Zusammensetzung und Bewaffnung des Assyrerheers zu ziehen. Die Texte unterscheiden im Wesentlichen viert Truppengattungen: zunächst die Streitwagen, deren Besatzung aus einem Bogenschützen, der den Wagen befehligte, dem Wagenlenker und zunächst einem, dann zwei Schildträgern bestand. Diese Waffengattung genoss das höchste Prestige, weshalb Könige sich fast ausschließlich mit dem Bogen bewaffnet als Wagenkämpfer darstellen ließen. Im 9. Jahrhundert begann der Aufstieg der Reiterei, die etliche Aufgaben des Streitwagens übernahm, ihn jedoch nicht ganz verdrängte. Die Masse des Heeres, das Fußvolk, teilte sich ihrerseits auf die Bogenschützen und mit Schild und Speer bewaffnete Nahkämpfer. Die Assyrer besaßen keinen technologischen Vorsprung vor ihren Gegnern; ihnen standen die gleichen Mittel zur Verfügung – so auch das qualitativ schlechte, aber billige Eisen, das sich gegenüber der Bronze durchsetzen begann.
Die wichtigste und vornehmste Waffe war der Bogen, und nicht das Fechten, sondern das Schießen galt als die beherrschende Gefechtsart. Die eigentliche Entscheidung erwartete man vom Angriff der Streitwagen, der durch den Pfeilhagel der eigenen Schützen vorbereitet wurde und die feindlichen Truppen zum Laufen bringen sollte.
Sehr viel häufiger als offene Feldschlachten war die Belagerung befestigter Siedlungen. Noch bis ins 8. Jahrhundert taten sich die Assyrer allerdings mit der Einnahme großer, dichtbesiedelter Städte außerordentlich schwer; so konnte es notwendig sein, noch vor der eigentlichen Belagerung die Ernte im Umlauf der Stadt zu vernichte, um diese im darauffolgenden Jahr notfalls aushungern zu können. Zur Überwindung der Mauern standen Sturmleitern zur Verfügung; Wälle und Türme ließen sich durch Unterminieren der Fundamente zum Einsturz bringen; auch erreichte man gewaltige Erddämme, von deren höheren Position aus die Wehrgänge der belagerten Stadt beschossen werden konnten. An Belagerungsgeräte setzten die Assyrer fahrbare Schutzdächer verschiedener Art und Größe ein, mit deren Hilfe sich feindlichem Beschuss zum Trotz Rammböcke an die Mauern der belagerten Stadt heranführen ließen. Wurfmaschinen (Ballisten) hat Assyrien nicht entwickelt.
Was geschah, wenn das feindliche Heer geschlagen und mit organisierter Gegenwehr nicht mehr zu rechnen war, schildern die uns überlieferten Quellen in anschaulichen Bildern: Dann verbreitete sich das Heer „wie ein Heuschreckenschwarm“ über das Feindesland, und bald war „der Himmel auf viele Meilen hin vom Rauch brennender Siedlungen bedeckt“. Für die Bewohner eines Angegriffenen Landes bedeutete das Erscheinen des assyrischen Heeres eine entsetzliche Katastrophe; Krieg galt nicht als Sport, sondern als eine Angelegenheit von tödlichem Ernst, und um ihn zu gewinnen, erlegte man sich bei der Wahl der Mittel keinerlei Beschränkungen auf. Deshalb kämpften weder die Assyrer noch ihre Feinde fair oder „ritterlich“, sondern rücksichtslos, brutal und grausam. Keine der damaligen Mächte scheint für die Gegenseite Interesse, geschweige denn Verständnis aufgebracht zu haben. Auch die Assyrer sahen sich mit ihren Maximalforderungen grundsätzlich im Recht und wurden in dieser Haltung durch ihre Götter, bzw. deren Priester bestätigt: Wer gegen Assyrien die Waffen erhob, verging sich gegen den Willen der Götter und wurde zum Sünder. Rücksicht und Milde mussten unter solchen Umständen unangebracht erscheinen.
Die Assyrischen Inschriften berichten ganz unbefangen und mit tiefer Befriedigung über das Töten von Feinden oder deren Leiden, vor allem, wenn es um die Bestrafung der feindlichen Anführer geht. Strafgerichte dieser Art wurden als öffentliches Schauspiel entweder im Feindesland zelebriert – dann waren sie als Warnung zu verstehen, sich künftig loyal zu verhalten – oder während der Siegesfeier daheim in Assyrien. In beiden Fällen fanden die Opfer keinen leichten Tod: Nach demütigender Zurschaustellung und Misshandlungen steckte man sie auf Pfähle oder zog ihnen die Haut ab, um sie einen tagelangen Todeskampf zu überlassen.
Zwar waren von derlei Scheußlichkeiten nur sehr wenige Menschen betroffen, doch auch das Schicksal der Masse der Besiegten war hart. Assyrien betrieb zwar keinen Völkermord, denn es wollte die Unterworfenen ausnutzen, nicht sie umbringen, doch wenn es dem assyrischen Herrscher opportun erschien, ließ er große Bevölkerungsteile eines besiegten Landes in andere Reichsteile deportieren.
Auch wer das Glück hatte, weder getötet noch verstümmelt oder verschleppt worden zu sein, erlitt schwerste materielle Einbuße, denn das besondere Interesse der Sieger galt immer der Beute: Nur wenn sie groß genug ausfiel, konnte ein Feldzug als rundum erfolgreich gelten. Folglich räumten die siegreichen assyrischen Armeen Schatzkammern und Tempel ebenso wie das jämmerlichste Nomadenzelt. Die Beutelisten in den assyrischen Inschriften vermitteln eine Ahnung vom Reichtum und der Produktivität des damaligen Nahen Ostens: Zierat aus Gold, Silber, Edelsteinen und Elfenbein, reiche Gewänder, kostbare Möbel und Hölzer, Metallgegenstände jeder Form und Art, Kamele, Rinder, Schafe und nicht zuletzt die hochgeschätzten, sehr teuren Pferde gelangen mit der zurückkehrenden Armee nach Assyrien – entweder als Beute oder als Tribut, mit dem das Wohlwollen des Königs erkauft werden sollte. Für die Mächtigen und Siegreichen war Krieg ein überaus lohnendes Geschäft.
Ein beträchtlicher Teil der Beute wanderte in die königlichen Schatzkammern, weiteres erhielten die Götter zum Dank für den gewährten Sieg, der Rest wurde an das Heer verteilt. Das plötzliche Überangebot an Waren konnte bisweilen die Preise verderben. So behauptet eine Quelle voller Stolz, im Anschluss an einen Feldzug gegen arabische Nomaden hätten derart viele Kamele zum Verkauf gestanden, dass ein Tier in Assyrien für einen Bund Gemüse zu haben gewesen sei.
Die assyrische Armee war etwa 300 Jahre lang in der Lage, es mit jedem Gegner aufzunehmen, und hat in dieser Zeit auch Rückschläge problemlos verkraftet. Angesichts der Quellenarmut für die letzten 30 Lebensjahre des Assyrischen Reiches bleiben wir aber im Unklaren darüber, wie und warum diese Kriegsmaschinerie ihren Gegnern schließlich doch unterlag.
Von Dr. Andreas Fuchs, Altorientalisches Seminar der Universität Tübingen
Der Artikel erschien in der Ausgabe Oktober 2003 35. Jahrgang 10/2003 der historischen Fachzeitschrift DAMALS
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