Das Gastarbeiterabkommen Deutschlands mit der Türkei war auch für ihn ein Weckruf. Und wie viele seiner Generation, wollte er eigentlich nur für einen begrenzten Zeitraum in Deutschland bleiben – bis er ausreichend Geld verdient hat, um ein eigenes Geschäft in seiner Heimatstadt Midyat zu eröffnen. Doch er ist geblieben, und mit ihm blieb auch seine Familie.
Ado Seven, geboren am 19.04.1930, kam im April 1965 nach Deutschland. Er landete zunächst in Kempten, wo er als Dachdecker seine ersten Mark verdiente. Ein Jahr später kam er nach Augsburg – und blieb für den Rest seines Lebens hier. Er arbeitete in verschiedenen Unternehmen als Dachdecker, Vorarbeiter im Bereich der Kunststoffverarbeitung und schließlich im Bereich der Robotertechnik.
Die deutsche Sprache hat er sich selbst beigebracht. Zu Beginn lernte er jeden Tag ein paar Worte, übte, wandte das Gelernte an. Vielen Assyrern, die nach ihm in Deutschland ankamen, half er, wo er nur konnte: als Dolmetscher bei Amtsbesuchen, bei der Wohnungssuche, bei Alltagsfragen.
Eine Rückkehr in die Heimat wurde immer weniger zur Option: Viel zu wichtig war es ihm und seiner Frau Atiye, dass ihre Kinder und Kindeskinder ohne Benachteiligung, ohne Unterdrückung aufwachsen. Ihnen sollten alle Wege offenstehen – und das war in der Türkei für sie als ethnische und religiöse Minderheit nicht möglich.
Er erwarb schließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Augsburg wurde für ihn zur zweiten Heimat. Seine Herkunft aber vergaß er nie: solange es gesundheitlich möglich war, kehrten er und Atiye für einige Monate im Jahr in ihre alte Heimat zurück. Sprach man ihn darauf an, wurde er wehmütig: „Wir sind hier fremd und dort fremd. Würden wir sagen, wir haben kein Heimweh, würden wir lügen. Aber wegen unserer Kinder haben wir das Heimweh vergessen“, beschrieb er einst seine Zerrissenheit.
Im Verein konnte er ein Stückchen Heimat wiederfinden. Beim Kartenspielen vertrieb er sich seine Zeit, kam ins Gespräch mit anderen und diskutierte über verschiedenste Themen. Er gehörte zu denjenigen, die nie ein Blatt vor den Mund nahmen.
Seine größte Leidenschaft aber war und blieb bis zum Schluss der Fußball: wann immer es ihm möglich war, war er dabei. Er richtete seinen Terminkalender nach den Spielen, fieberte mehr mit als jeder andere Fan und fluchte bei Fehlern und Niederlagen womöglich mehr als jeder Trainer und Spieler. Als größter, ältester und treuester Fan war er jedem bisherigen Spieler der assyrischen Fußballmannschaft in Augsburg bekannt – ein Platz auf der Spielerbank war immer für ihn reserviert.
Mit seinem Tod hinterlässt er nun eine große Lücke – im Verein, in der Fußballkabine, bei seinen Freunden und Weggefährten, in seiner Familie.
Mit tiefer Trauer verabschieden wir uns von einem Freund und Vorbild. Ado Seven ist am 23. Januar 2022 von uns gegangen. Er hinterlässt seine Frau Atiye, seine zwei Söhne Gebro und Samuel, sechs Enkelkinder sowie zehn Urenkel. Möge er in Frieden ruhen.
Assyrischer Mesopotamien Verein Augsburg e. V.
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