Sargon Slewa, Umweltminister und Mitglied des irakischen Parlaments und der Assyrisch Demokratischen Bewegung (ADM), eine der größten politischen Parteien, die die Assyrer und andere Christen im Irak repräsentieren, stellte die Anfrage für die Errichtung einer Provinz in der Ninive-Ebene, gemäß einer Studie zu den Bedürfnissen der Christen, die in der irakischen Kabinettsitzung 54 im Jahre 2011 angeordnet wurde.
Der Ministerrat veranlasste den Staatsminister für Provinzangelegenheiten, eine Studie zu diesen Projekten vorzubereiten und einen Report bei dem Ministerrat einzureichen. AINA bat den international renommierten Journalisten und Mittelostexperten Nuri Kino, Sargon Slewa bezüglich dieser wichtigen Entwicklung für Iraks angeschlagene und belagerte assyrische Gemeinschaft zu interviewen.
Nuri Kino: Was haben Sie mit dieser Legislation erreicht?
Sargon Slewa: Einer der Hauptziele und – gründe für Assyrer im Irak zu bleiben, ist es eine Selbstverwaltung zu haben. Diese Legislation liegt die Grundlage für das Erreichen dieses Ziels.
Nuri Kino: Können Sie uns sagen, wo Sie sich jetzt in diesem Prozess befinden?
Sargon Slewa: Anerkennung der Ninive-Ebene als Provinz durch den Ministerrat.
Nuri Kino: Wieviel Prozent der Einwohner der Ninive-Ebene sind Assyrer-Syrer-Chaldäer?
Sargon Slewa: Fast 40%. Aber es hängt noch von den Grenzen der Provinz ab und welche Distrikte inkludiert werden.
Nuri Kino: Was heißt das in Klartext? Wird die Ninive-Ebene ihre eigene Polizei haben? Ihre eigene Regierung? Ihr eigenes Haushaltsbudget?
Sargon Slewa: Das Ministerium für Provinzangelegenheiten wird Studien durchführen und Vorbereitungen für die Errichtung dieser Provinz auf die Beine stellen, damit sie alles hat, was in Sachen der Sicherheit, Wirtschaft und Regierung gebraucht wird.
Nuri Kino: Welche Rolle werden die Assyrer dabei haben? Auf welchem Level wurde die Entscheidung getroffen? Die irakische Regierung? Das Parlament? Wird es Wahlen geben?
Sargon Slewa: Diese Entscheidung wurde auf Regierungsebene getroffen. Es gibt spezielle Überlegungen betreffend den Assyrern/Chaldäern/Syrern. Diese Entscheidung wurde für die Sicherung der kontinuierlichen Existenz unserer Gemeinschaft in der Region getroffen. Es gibt noch viel Arbeit, die getan werden muss, aber dies war der wichtigste Schritt und die größte Hürde.
Nuri Kino: Was bedeutet das für Länder, die mit dem Irak zu tun haben?
Sargon Slewa: Die internationale Gemeinschaft muss gut aufpassen bei dieser Angelegenheit, angesichts der Meldungen christliche Flüchtlinge in westlichen Staaten zu empfangen.
Nuri Kino: Erzählen Sie mir über Ihre Gefühle. Was fühlen und denken Sie gerade?
Sargon Slewa: Es ist einer der größten Momente meines Lebens. Ich fühle mich, als müsste ich schlafen, als ob du mit eine ansträngende und zufriedenstellende Aufgabe erledigt hast, müde bist und ein Nickerchen brauchst.
Reaktionen der assyrischen Diaspora
Assyrer außerhalb des Iraks begrüßten diese Nachricht mit vorsichtigem Optimismus.
Afram Barryakoub, Präsident der Assyrischen Föderation in Schweden, sagte dazu:
„Wenn dies implementiert wird, könnte es die Realität der Assyrer grundlegend verändern und sie in einer Position befördern, in der sie etwas zu sagen haben bezüglich ihrer Zukunft im Irak. Hoffentlich wird das ihrer Emigration in den Westen entgegen wirken.“
Attiya Gamri, ein assyrisches Mitglied eines provinziellen Parlaments im Norden der Niederlande, sagte dazu:
„Ich bin sehr erfreut über die Entscheidung des irakischen Parlaments. Die politischen Parteien von Arabern und Kurden werden die Chance bekommen, der Welt zu zeigen, dass sie ein Irak mit verschiedenen Ethnizitäten und Religionen verwirklichen können. In gar keinem anderen Land des Mittleren Ostens ist dies bisher verwirklicht worden. Sie haben die Gelegenheit, den Assyrern im Irak und in der Diaspora zu zeigen, dass sie nationale Minderheiten wollen und respektieren werden durch die Übertragung derselben Rechte, wie sie sie haben. Die Araber und Kurden können der Welt zeigen, dass dies im Mittleren Osten erreicht werden kann. Ich hoffe, dies wird der erste Schritt sein Richtung politischen Respekt für die Assyrer im Irak. Was die Assyrer fordern ist nichts Neues oder Anderes als das, was Kurden und Araber schon haben.“
Dr. Matay Arsan, Präsident der Assyria Foundation Netherlands, sagte dazu:
„Der Rest des Iraks sollte keine Angst davor haben, den christlichen Assyrern eine selbstverwaltete Region in der Ninive-Ebene zu erlauben. Sie trugen enorm viel zur großartigen Geschichte und Erbes des Iraks bei und dies könnte ihnen die Gelegenheit geben, dies erneut zu tun. Die irakischen Araber und Kurden sollten realisieren, dass die Erlaubnis der Assyrer, sich selbst zu beschützen und einen Teil von Iraks Budget zu erhalten, nur beweisen würde, dass sie, Kurden und Araber, sich für den Irak und seiner Stabilität kümmern.“
Robert DeKelaita, Vorstandsmitglied des Chaldäisch-Assyrisch-Syrischen Konzil von Amerika, sagte dazu:
„Wir gratulieren unserem Volk zu diesem ersten Schritt in Richtung einer praktischen Lösung für unser Volk und seiner schwierigsten Notlage der letzten 10 Jahren in Form der Anerkennung der Ninive-Ebene Provinz. Wir danken all diejenigen, die diesen Traum wahrgemacht haben, ob öffentlich oder privat. Es ist der aller erste Schritt, um sicher zu sein. Aber ein sehr kritischer erster Schritt. Wir sind grundsätzlich allen unseren Parteien dankbar, ob politisch oder unpolitisch, für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre Interessenvertretung. Es ist selbstverständlich, dass wir in der Diaspora, speziell durch das Medium Nineveh Council of America und all die unterstützenden Organisationen und Einzelpersonen, beabsichtigen, unsere volle Unterstützung geben werden für die positive Entwicklung dieser Provinz, gemäß dem Interesse unseres ganzen Volkes und dem gesamten Irak.“
Hermiz Shahen aus Australien, stellvertretender Sekretär der Assyrian Universal Alliance (AUA), äußerte sich dazu:
„Ich möchte Herrn Nuri Al-Maliki danken, dem irakischen Ministerpräsidenten und seinem Ministerrat für diese rechtmäßige Entscheidung. Meine herzlichste Wertschätzung und Gratulation geht an alle 13 politischen Organisationen, die sich 2010 in Arbil auf Anfrage der AUA zusammenschlossen, um mit einer gemeinsamen Stimme die Errichtung einer Provinz für das assyrische Volk in der Ninive-Ebene zu fordern. Wir wertschätzen auch die Bemühungen aller assyrischen Organisationen in der Diaspora, die auf dieses Ziel hinaus gearbeitet haben. Ich glaube, der nächste Schritt ist es, sicher zu stellen, dass die Grenzen und das Gesetz dieser neuen Provinz in der Art gemacht wird, dass sie den Rechten der Assyrer dienen, ihre Rechte schützen und der Errichtung der Ninive-Ebene für das assyrische Volk im Irak beabsichtigt. Ich empfehle ebenfalls, dass eine weitere Konferenz der Koalition unserer politischen Organisationen und Parteien im Irak einberufen wird und alle interessierten Parteien dazu einzuladen, um sicherzustellen, dass den Forderungen dieser Nation gedient wird.“
Wird der assyrische Exodus aus dem Irak gestoppt?
Seit 2004 erfahren die Assyrer im Irak einen schleichenden Völkermord (Report):
73 Kirchen wurden bombardiert, hunderte umgebracht und mehr als die Hälfte der assyrischen Bevölkerung wurde gezwungen, nach Syrien, Jordanien, in die Türkei und nach Libanon ins Exil zu gehen. Es wird geschätzt, dass die Hälfte aller Assyrer, die 2004 noch im Irak lebten, aus dem Land geflüchtet sind (Report).
Die Entscheidung, eine Provinz in der Ninive-Ebene zu errichten, kommt aus den Fersen der Entscheidung der irakischen Nationalversammlung, Assyrisch und Turkmenisch als offizielle Sprachen anzuerkennen. Arabisch und Kurdisch sind ebenfalls offizielle Sprachen. Diese Entscheidung erlaubt, öffentliche und private Schulen auf allen Ebenen, auf Assyrisch und jede andere offizielle Sprachen zu unterrichten. Regierungsdokumente sind nur auf Arabisch und Kurdisch zur Verfügung gestellt.
Die Entscheidung, Assyrisch als offizielle Sprache anzuerkennen, beauftragt ebenfalls den Bildungsminister, Alphabetisierungszentren für das Erlernen der assyrischen Sprache zu eröffnen. Das Bildungsministerium hat einen Brief an die Kirchen gesendet, um die Menschen aufzufordern, sich in Alphabetisierungsprogrammen anzumelden. Die Regierung bezahlt die Schüler, zwei Mal die Woche den Unterricht zu besuchen und stellt eine Bescheinigung über den Abschluss aus.
Für viele assyrische Beobachter sind dies zu kleine Schritte und kommen zu spät. Angesichts des drastischen Exodus´ der Assyrer aus dem Irak und der allgemeinen Stimmung der Assyrer, die keine Zukunft in einem Land sehen, das auseinander fällt durch das sunnitisch-schiitische Blutvergießen und einen Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten, verlassen die Assyrer weiterhin das Land. Kürzlich gab die chaldäische Kirche bekannt, dass sechs assyrische Familien pro Tag das Land verlassen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte, gibt es mehr Assyrer, die außerhalb des Iraks leben.
Beobachter weisen auch darauf hin, dass in der Vergangenheit viele dieser Entscheidungen getroffen, aber nie implementiert wurden, sondern aufgenommen und immer noch nicht geltend gemacht wurden.
Von Peter BetBasoo und Nuri Kino
Deutsche Übersetzung durch John Beth Afrem
© Bethnahrin.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit unserer ausdrücklichen Genehmigung!