Von Marianne Brückl
Vom Wilhelmsplatz aus führte der Demonstrationszug zum Stauffenbergplatz, wo die Feierlichkeit vor dem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus stattfand. Unter den Gastrednern befanden sich auch der deutsch-türkische Autor und Menschenrechtler Dogan Akhanli und Ciler Firtina, Vorstandsmitglied im Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln.
Pontos-Griechen, Assyrer und Armenier, deren Volksangehörige zwischen den Jahren 1915-1924 dem Genozid durch die Jungtürken zum Opfer gefallen waren, nahmen am Gedenktag für die Toten des Völkermordes an den Pontos-Griechen (19. Mai) in Stuttgart teil, um mit „einer Stimme zu sprechen“ und Anerkennung des Verbrechens durch den türkischen Staat zu fordern. Bis heute weigert sich die Türkei, eine öffentliche Erwähnung und Aufarbeitung der Gräueltaten zuzulassen. Stattdessen werden kritische Stimmen mit Gefängnis oder sogar mit dem Tod bedroht.
Nur Anerkennung bringt Frieden
Mit Transparenten und Plakaten, auf denen unter anderem geschrieben stand „353.000 TOTE PONTISCHE GRIECHEN, DER UNBEACHTETE VÖLKERMORD“, zogen die rund 500 Teilnehmer des Demonstrationszuges vom Wilhelmsplatz zum Stauffenbergplatz vor das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, um auf die Schrecken und das Leid ihrer Landsleute unter jungtürkischer Herrschaft aufmerksam zu machen. Damals waren mehr als 3 Millionen Pontos-Griechen, Armenier und Assyrer ums Leben gekommen. Besser konnte der Ort der Veranstaltung also nicht gewählt sein, als dieser Platz mit einem Denkmal, das den Opfern eines nie vergessenen Völkermordes gewidmet ist.
In seiner Ansprache hob Ioannis Moisidis vom Verband der Vereine der Pontos-Griechen in Europa hervor, man müsse gerade hier in Deutschland die Erinnerung wach halten, weil gerade die Deutschen gelernt und erfolgreich bewiesen hätten, dass der Weg in eine versöhnende Zukunft im Kreise der Völker Europas nur um den Preis der kritischen Auseinandersetzung mit den dunklen und dunkelsten Kapiteln der eigenen Geschichtet beschriftet werden könne.
Weiter sagte er, Deutschland müsse als weltweit beispielhaft gelten und sich die Freiheit nehmen, bei Staaten wie der Türkei in diesem Punkt die Finger in die Wunde zu legen. Deutschland habe die Pflicht, so wie andere Staaten es bereits getan hätten, unabhängig von den starken wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei, das Verbrechen als Genozid anzuerkennen und vor der Staatengemeinschaft als solchen zu verteidigen. Dies sei man allen Völkermordopfern schuldig.
Dazu verlas Moisidis einen, an alle Bundestags-, Landtags-, Europa-Abgeordneten und Parteivorsitzenden aus Baden-Württemberg gerichteten Brief des Vorsitzenden des Verbandes der pontos-griechischen Vereine in Europa, Ioannis Boursanidis, vom 02. Mai 2013, in dem dieser ausdrücklich die Anerkennung des Genozids fordert.
Zuletzt hatte das schwedische Parlament den Genozid an den Pontos-Griechen, Armeniern und Assyrern anerkannt. Eine Anerkennung durch den Deutschen Bundestag, aber auch durch den Landtag Baden-Württembergs, würde laut Boursanidis einen großen Schritt bedeuten zur Rückkehr der humanistischen Ideen, Werte und Prinzipien in den Pontos, nach Kapadokien, nach Kleinasien, und damit zu einer Harmonie zwischen den Völkern und Nationen, Gesellschaften und Religionsgruppen sowie Männern und Frauen führen.
Wie lange es allerdings dauern wird, bis Deutschland den Schritt der Anerkennung gehen wird, ist noch nicht absehbar. Auch im Fall der Türkei, die immer wieder zeigt, dass sie nicht gewillt ist, Menschenrechte anzuerkennen, scheint eine Einsicht hinsichtlich der begangenen Gräueltaten äußerst zweifelhaft.
Die Türkei hat eine Geschichte der Genozide
„Die Republik Türkei hat eine Geschichte, die auch schon vor der Republikgründung im vergangenen Jahrhundert, gepflastert ist mit Völkermorden, mit Vertreibung, mit Unterdrückung, mit Verleugnung“, sagte Ciler Firtina, Vorstandsmitglied im Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, eine Alevitin aus dem türkische Dersim. Es gebe daher sehr viele Gedenktage, wie zum Beispiel den 24. April, den des Genozids an den Armeniern und Assyrern, oder den 19. Mai, für den Genozid an den Pontos-Griechen.
In diesem Zusammenhang erinnerte sie auch an den 2. Juli 1993. Zu diesem Datum war in Sivas ein Hotel mit Aleviten und Oppositionellen niedergebrannt worden. Firtina machte deutlich, wie gefährlich eine kritische Haltung gegenüber der Regierung in der Türkei sei. Wenn man eine Gruppe sei, die nicht zur offiziellen Staatsdoktrin passe, sei man umso gefährdeter. Die aktuelle Situation in der Türkei lasse zwar sehr viele Menschen in der Türkei hoffen, aber dennoch blieben viele Fragen offen. „Was passiert aber mit den Nicht-Sunniten, mit den Nicht-Muslimen in der Türkei, die mit der konservativen islamischen, islamistischen Regierung oder mit dieser Idelogie von Erdogan nicht übereinstimmen? Werden die an ihre Rechte kommen oder nicht?“ Fragen, die sicherlich viele Menschen beschäftigen. Auf der einen Seite herrsche Euphorie, auf der anderen Seite regiere die Angst, auch im Hinblick auf die Situation in den Universitäten, so die Journalistin weiter. Insbesondere die aufgeschlossenen, modern denkenden jungen Menschen seien Unterdrückung ausgesetzt und würden zum Teil mit Gewaltakten bedroht. Dies gebe Anlass zu Befürchtungen.
Gerade hier in Deutschland, wo die größte Migrantengruppe aus der Türkei stammt, müsse man über die Geschichte sprechen, mit Überlebenden und Nachfahren, um an die vertriebenen und ermordeten Menschen zu erinnern. Denn all diese Menschen seien durch eine Ideologie gestorben.
In der Türkei würden bereits die Kinder in ganz jungem Alter mit Rassismus, Nationalismus und vor allem National-Chauvinismus indoktriniert. So z. B. mit Parolen, dass ein Volk mehr wert sei als andere Völker („Ein Türke ist so viel wert wie die ganze Welt“). „Keiner ist mehr wert als ein anderer Mensch. Das ist das, was wir unseren Kindern beibringen müssen. Und das ist auch das, was sich in der Türkei verändern muss.“, betonte Firtina. Man müsse daher Sorge dafür tragen, dass sich auch in Deutschland im Schulsystem einiges ändere, denn die Demokratieerziehung fehle in den Häusern der nationalistischen Familien. Diese müsse aber an den Schulen geschehen. Geschichtsunterricht sei aus diesem Grunde immens wichtig. Das Schulsystem dürfe sich nicht den Vorgaben und den Tabus der Türkei beugen, sondern müsse bei seinen eigenen Standards bleiben.
Vergangenheit aufarbeiten ist unsere Verantwortung
Obwohl man wisse, dass der türkische Staat gegenüber seiner Bevölkerung nicht nur heute, sondern auch in der Vergangenheit Greueltaten verübt habe, gebe es bis heute keine offene Auflärung über die historischen Tatsachen. Gerade wenn Hass gegenüber der christlichen Bevölkerung in der Türkei sich verstärke, gerade wenn, wie in Trabzon ein italienischer Pastor brutal ermordet, oder die Bibelverkäufer in Malatiya abgeschlachtet würden, sagte der deutsch-türkische Autor und Menschenrechtler Dogan Akhanli, dann dürfe man Geschichte nicht den Historikern überlassen. „Wir sind vielleicht nicht verantwortlich für das, was die Jungtürken 1915 getan haben, aber wir sind verantwortlich, das aufzuarbeiten, was wir wissen. Das ist unsere Verantwortung“, mahnte Akhanli.
Weder Pontos-Griechen, Armenier, noch Assyrer hätten nach Erkenntnissen der Genozidforschung eine Überlebenschance gehabt, da die ethnische Zugehörigkeit allein ausschlaggebend für die Ermordung der Menschen gewesen sei.
Wenn man heute die Geschichte betrachte, sehe man genau, dass der Plan der Jungtürken, gezielt und radikal ausgeübt worden war. „Sie haben die Armenier vernichtet, die Griechen vernichtet und vertrieben. Und als die türkische Republik gegründet wurde, blieb nur eine Gruppe übrig, die Kurden. Das ist kein Zufall.“, so der Menschenrechtler. Als 1923 die Leugnung der kurdischen Identität begonnen habe, hätten diese kaum 13 Jahre später ein riesiges Massaker erlebt. Und würde man die Geschichte der Republik Türkei verfolgen, dann sehe man ganz genau, dass sie diesen Plan auch heute noch fortsetzten. Wenn man die Ermordung von Tausenden von Menschen einfach akzeptiere, sei es keine Überraschung, dass Christen getötet würden.
Akhanli appellierte an alle Menschen, dass es sei nun an der Zeit und die Aufgabe aller sei, an die Opfer des Genozids der christlichen Bevölkerung im Osmanischen Reich zu erinnern und mit Erinnerungsaufständen für die zahlreichen Toten zu beginnen.
Kränze zum Gedenken an die Opfer der Genozide
Auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Vereine Pontischer Griechen aus Nordgriechenland Evthiniadis Evthinios war eigens aus Thessaloniki angereist, um an der Genozid-Veranstaltung teilzunehmen. Zusammen mit dem Verbandsvorsitzenden Ioannis Boursanidis legten er, und auch zwei Vertreterinnen des Vereins der Völkermordgegner in Frankfurt, zum feierlichen Abschluss vor dem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus Kränze zum Gedenken an die ermordeten Pontos- Griechen nieder.
So wie der Völkermord an den jüdischen Bürgern während der nationalsozialistischen Diktatur durch die Anerkennung Deutschlands niemals mehr in Vergessenheit geraten wird, muss immer wieder darauf beharrt werden, dass ein Staat mit blutiger Geschichte sich den Fehlern der Vergangenheit stellen und diese auch eingestehen muss. Nur eine solche Haltung wird auch ein Garant für Frieden und gegenseitige Achtung sein.
Die mutige Anerkennung eines in der Vergangenheit verübten Völkermordes (wie die Anerkennung des Holocaust in Deutschland) ist heute keine Bedrohung, sondern eine Ehre – für das Land, das den Völkermord zugibt – und tendenziell beschwichtigt es die Nachkommen der überlebenden Opfer und stärkt den Frieden!“ (Prof. P. Enepekidis)
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