Historiker und Bundesgeschäftsführer

Qolo-Interview mit Thomas Hoffmann

Thomas Hoffmann ist Historiker und arbeitet als Bundesgeschäftsführer beim Bundesverband djo – Deutsche Jugend in Europa, dem Dachverband des AJM. Dies allein ist schon Grund genug für ein Interview mit ihm. Er begleitete außerdem die Jugenddelegation des AJM in den Nordirak.

Wir wollten von ihm wissen, wie seine Eindrücke von der Heimat der Assyrer sind.

Thomas, kannst du uns kurz deine wichtigsten Eindrücke von deiner Reise mit dem AJM in den Nordirak schildern?

Für mich war die Reise natürlich eine großartige persönliche Erfahrung. Ich hatte schon lange den Wunsch, Mesopotamien selbst zu besuchen. Seit ich denken kann, interessiere ich mich für Geschichte und als Historiker übte die „Wiege der Menschheit“ immer eine große Faszination aus. Allein deshalb hätte ich mir die Möglichkeit nicht nehmen lassen, in den Irak zu fliegen. Außerdem war es eine einmalige Gelegenheit, sich über die Lage im Nordirak ein eigenes Bild zu machen. Man liest viel und sieht Bilder im Fernsehen über den Irak, aber über die Situation im Norden erfährt man seltsamer Weise wenig. Ich war deshalb auch sehr überrascht mich in einer sehr modernen, offensichtlich prosperierenden Weltgegend wieder zu finden. Ich hatte eine schlechte Infrastruktur erwartet, eine darniederliegende Wirtschaft und eine deprimierende Grundstimmung der Menschen. Das war ein großer Irrtum. Die Infrastruktur kann mit vielen europäischen Ländern mithalten, die Wirtschaft scheint zu boomen und die Menschen wirkten offen und zuversichtlich. Dies war zumindest der erste Eindruck.

Überwältigend war die Teilnahme an der Akito-Parade in Nohadra mit 25.000 (manche sprachen auch von 40.000) Teilnehmern, durch die Straßen zu laufen. Dann die folgende Veranstaltung im Stadion mitzumachen, war ein unvergessliches Erlebnis. In meiner assyrischen Tracht war ich ein beliebtes Fotomotiv und habe in so manchem Fotoalbum somit Spuren hinterlassen.

Sehr wichtig waren die Besuche in den kleineren Städten und Ortschaften bei den assyrischen Organisationen und christlichen Gemeinden. Wir wurden mit viel Herzlichkeit empfangen. Die Organisationen hatten mit viel Liebe ihre Räume geschmückt und überall gab man sich sehr viel Mühe, uns einen guten Einblick zu verschaffen. Dies zeigte mir, dass sich die Menschen dort sehr über unseren Besuch gefreut haben und ihnen dies sehr wichtig war als Zeichen, dass sie nicht alleine sind, sondern sie zumindest eine moralische Unterstützung erfahren. Hierbei zeigte sich, dass der wirtschaftliche Aufschwung an vielen vorbei geht und die Lage mancher Gemeinden verzweifelt ist. Besonders erschreckend war die Lage in Baghdeda. Es wäre deshalb für die Zukunft wichtig, diesen Menschen zu helfen. Die Assyrer der kleineren Ortschaften brauchen Hilfe und deshalb ist das Engagement von AJM, und möglicherweise anderer, hier sehr wichtig. Dies gilt für die vielen Flüchtlinge aber auch die angestammten Gemeinden und Menschen der kleineren Ortschaften. Unsere Besuche waren durch das straffe Programm meist sehr kurz. Das nächste Mal sollten diese Besuche viel länger und intensiver sein, um mit den jeweiligen Vertretern genauer zu besprechen, welche Unterstützung nötig und von deutscher Seite möglich ist.

Besonders emotional war für mich ein Ereignis, welches ich in der Nähe von Almeida in der nestorianischen Kirche miterleben konnte. Einer der Teilnehmer aus Australien traf zufällig seine leibliche Tante, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hatte. Ich stand in dem Augenblick als sie sich erkannten neben ihnen und war sehr ergriffen als sie sich weinend in den Armen lagen. Alleine für solche Momente hat sich der Aufwand gelohnt.

Es war aber auch eindrucksvoll zu sehen, wie wenig Berührungsängste die Teilnehmer von AJM und die Jugendlichen vor Ort hatten. Beide Seiten verband sofort sehr viel Empathie und Herzlichkeit, so als wären sie schon immer gute Freunde gewesen. Das war toll mitzuerleben und dies ist ein Schatz, den ihr bewahren solltet.

Die Unterschrift unter das Partnerschaftsabkommen ist ein wichtiger Schritt. “Khoyada d’yalupe – Chaldoassyrian Student and Youth Union“ – wie wir ihn kennenlernen durften – ist ein guter Partner. Ich freue mich, dass AJM diesen Schritt gewagt hat und sich zukünftig stark im Irak engagieren möchte. Ich denke, dass dies für beide Seiten von großer Bedeutung ist. Für die Assyrer in Deutschland ist der Kontakt zur Herkunftsregion ein Baustein zum Erhalt ihrer Kultur auch in der Diaspora. Für die Assyrer im Irak ist es ein Baustein um als Minderheit im Irak zu überleben. Wir als djo-Deutsche Jugend in Europa werden diese Partnerschaft nach Kräften unterstützen.

Wie macht sich deiner Meinung nach der AJM im Vergleich mit anderen Jugendverbänden in Deutschland?

AJM hat in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, sich zu professionalisieren und bestehende Strukturen zu stärken und auszubauen. Das war nicht einfach, aber dabei haben andere Migrantenjugendverbände auch Probleme. Durch das Engagement vieler ist es aber gelungen, AJM und damit die Anliegen der assyrischen Jugendlichen in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen und zu vertreten. Durch AJM haben viele junge Menschen und Personen der Fachöffentlichkeit überhaupt erst wahrgenommen, dass es Assyrer gibt. Das ist eine wichtige Leistung von AJM, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. AJM ist Teil der Jugendpolitik der Bundesrepublik Deutschland und hat alle Chancen, seine Rolle dort auszubauen und zu festigen. Inwiefern dies gelingen wird, hängt von dem Willen und Engagement seiner Mitglieder ab.

Welche Anregung hast du für den AJM?

Diese Frage lässt sich eigentlich nicht kurz beantworten. Um aber nicht allzu weit auszuholen, beschränke ich mich hier nur auf zwei Schlaglichter. Derzeit haben wir in Deutschland eine sehr intensive Diskussion um die Ausgestaltung der Einwanderungsgesellschaft. Dies hat auch Folgen für die Jugendpolitik. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche integrative Jugendpolitik richtig ist. Als djo-Deutsche Jugend in Europa setzen wir uns dafür ein, dass Migrantenjugendorganisationen und insbesondere bundesweite Migrantenjugendverbände, wie der AJM, gleiche Entwicklungschancen bekommen wie etablierte Jugendverbände. AJM unterstützt uns in diesem Engagement, was sehr wichtig für uns ist. Das Engagement von Natalya Bilgic im Vorstand des Deutschen Bundesjugendringes war ein entscheidender Beitrag von AJM, die Interessen der Migrantenjugendverbände in die Jugendpolitik zu tragen. Hier brauchen wir auch weiterhin eine enge Zusammenarbeit.

Es wird in den nächsten Jahren aber auch darauf ankommen, die Stärkung der bundesweiten Aktivitäten und Strukturen von AJM voranzutreiben. Die Assyrer als Minderheit in Deutschland werden langfristig nur dann Chancen haben, wenn sie sich möglichst breit aufstellen und als Sammelbewegung agieren. Das ist nicht immer einfach, aber die djo-Deutsche Jugend in Europa ist das beste Beispiel, dass es auch in einer Sammelbewegung genug Spielraum gibt, Unterschiede leben und aushalten zu können, ohne dass die Gemeinschaft zerbricht. Als Sammelbewegung junger Menschen assyrischen, chaldäischen und aramäischen Hintergrunds könnte AJM die Zukunft der Assyrer in Deutschland sichern und eine starke Unterstützung und Anker sein der Assyrer im Irak, der Türkei und Syrien. Er wäre der Hauptansprechpartner für die Verwaltung und Politik, um sich in Fragen der Jugendlichen assyrischen Hintergrunds abzustimmen. Das wäre eine gute Ausgangsposition, die deutsche Gesellschaft mitzugestalten.

Quelle: Qolo

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