Nachdem alle Teilnehmer angereist waren, wurde das Seminar mit mehreren Gruppenspielen eröffnet, durch welche sich die Teilnehmer besser kennenlernen und die Gruppendynamik von Anfang an gestärkt werden sollte. Das Programm endete bereits früh an diesem ersten Tag, sodass die Jugendlichen den restlichen Abend gemeinsam und in großer Runde verbringen konnten.
Der nächste Tag begann nach dem Frühstück mit einem Vortrag von Malfono Abdulmesih BarAbraham, Diplom-Ingenieur (Univ.), zum Thema „Surayt – Eine Einführung“. Als wichtiger Stützpfeiler von Identität und Ethnizität sei es wichtig, sich mit der eigenen Sprache zu befassen, so BarAbraham. Zur Stärkung des „Wir-Gefühls“ sei die Sprache von essentieller Bedeutung für die Mitglieder unseres Volkes, welches durch Namensbezeichnungen oder Kirchen gespalten sei. Für die Muttersprache der Assyrer gebe es allerdings verschiedene gängige Begriffe, wie beispielsweise Turoyo, Suryoyo, Surayt oder Suret, deren Gebrauch häufig zu Verwirrungen führe. Der Vortrag beschäftigte sich deswegen anfangs mit der wichtigen, grundlegenden Unterscheidung zwischen den Ausdrücken „Surayt“ und „Suryoyo“. Während „Surayt“ die gesprochene Sprache bezeichnet, die von den Christen in TurAbdin gesprochen wird und lange Zeit nicht als Schriftsprache existierte, meint „Suryoyo“ die Liturgiesprache der Syrisch-Orthodoxen Kirche, also das klassische Syrische.
Als nächstes ging der Referent Malfono BarAbraham auf die Entwicklung des syrischen Alphabets (Suryoyo) ein, welches zunächst nur zur Niederschrift der Kirchensprache Verwendung fand. Ihren Ursprung hatten die Kirchensprache Suryoyo und das dazugehörige Alphabet in der Stadt Edessa (Urhoy), wo nach der Bekehrung der Assyrer zum Christentum im dritten Jahrhundert nach Christus die Bibel in die Sprache der dort lebenden Menschen übersetzt wurde. Im Zuge der Christianisierung verbreitete sich die Sprache der Stadt Edessa (Urhoyo) als formelle Sprache des Christentums in der gesamten Region.
Am Ende seines einführenden Vortrags setzte sich Malfono BarAbraham mit der Frage auseinander, ob es relevant sei, unsere Sprache auch durch lateinische Buchstaben zu verbreiten und zu erweitern. Im Rahmen einer weitreichenden Standardisierung wäre es auf diese Weise möglich, die Sprache zu erhalten und Lese- und Lernhürden zu überwinden. Zwar dürfe die ursprüngliche Schrift nicht verlernt werden, jedoch sei dadurch gewährleistet, dass größere Teile der Bevölkerung die Schrift nutzen könnten. Die lateinischen Buchstaben dienten dabei eher als Hilfestellung und könnten sogar das Interesse wecken, um das eigentliche assyrische Alphabet mit seinen traditionellen Schriftzeichen zu erlernen. In diesem Zusammenhang empfahl BarAbraham den Jugendlichen am Ende seiner Präsentation noch eine Reihe von Lehrbüchern, die zum Erlernen des Surayts genutzt werden könnten.
Nach dem Mittagessen folgte der zweite Vortrag zum Thema „Surayt – Transkription, Orthographie und Einübung einfacher Texte“. Eine Transkription bezeichnet eine Umschrift, das heißt die Übertragung sprachlicher Ausdrücke von einem Schriftsystem in ein anderes. Basierend auf der Aussprache wurde so für die Sprache Surayt ein Basisalphabet in lateinischen Buchstaben geschaffen, welches dem Nicht-Muttersprachler eine halbwegs richtige Aussprache des Wortes ermöglicht. Mit Hilfe einer Tabelle ging Malfono BarAbraham mit den Jugendlichen das Basisalphabet für Surayt durch. Jeder lateinische Buchstabe steht dabei für einen Buchstabe oder einen Laut des Surayts. Im Zuge einer umfassenden Sprachreform soll dieses lateinische Alphabet standarisiert werden. Den Jugendlichen ermöglichte diese Tabelle das Lesen von einfachen Texten im Surayt. Sie wechselten sich dabei ab, vor Malfono BarAbraham in lateinischen Buchstaben geschriebene Texte in unserer Sprache vorzulesen. Die meisten Teilnehmer sagten später, diese Aufgabe sei ihnen relativ leicht gefallen.
Neben diesen beiden Vorträgen stand ein Theater-Workshop an. In drei Gruppen erarbeiteten die Teilnehmer Theaterstücke mit Bezug zu unserer Sprache. Während eine Gruppe pantomimisch Sprachbarrieren zwischen den Generationen aufzeigen sollte, übersetzte eine andere Gruppe ein assyrisches Lied ins Deutsche, um zu zeigen, wie schwierig sich die assyrische Lyrik wortwörtlich in die deutsche Sprache übertragen lässt. Die dritte Gruppe hatte zur Aufgabe, in einem Theaterstück die sprachlichen Probleme darzustellen, mit denen assyrische Gastarbeiter bei ihrer Ankunft in Deutschland konfrontiert worden sind. Anschließend ließen die Teilnehmer den programmreichen Tag gemeinsam vor einem Lagerfeuer ausklingen.
Am dritten Tag wurde das Thema Sprache im Programm erneut aufgegriffen. Die Jugendlichen bearbeiteten in ihren Gruppen eines von zwei Diktaten, welche ihnen von Malfono BarAbraham ausgeteilt worden waren. Dabei sollten sie den diktierten Text in dem am Vortrag erlernten lateinischen Buchstaben niederschreiben, wobei einige Jugendliche sich auch dafür entschieden, beim Schreiben die traditionelle assyrische Schrift zu verwenden. Diese Diktate wurden anschließend gemeinsam korrigiert. Die Übung zeigte den Jugendlichen, dass sich das Schreiben der Texte in lateinischen Buchstaben deutlich schwieriger gestaltet als das Lesen der Texte und zur Verwendung der Transkription Übung erforderlich ist.
Am Nachmittag hielt dann einer der Teilnehmer, Sargon Turgay, einen Vortrag zu der Bewegung „Save Our Souls“ (SOS), welche Anfang des Jahres ins Leben gerufen worden war, um auf den Genozid gegen die Assyrer vor 100 Jahren und auf die Situation der assyrischen Minderheit in den Heimatländern aufmerksam zu machen. Der Präsentation folgte eine Diskussion zu der Zukunft und den Grenzen der SOS-Aktionen.
Den Höhepunkt des Programms stellte die Abschlussfeier („Shahro“) dar. Zunächst präsentierten alle Gruppen die Theaterstücke, die sie in ihren Workshops erarbeitet hatten. Anschließend verbrachten die Jugendlichen den Abend mit Tanzen und dem Spielen von Gruppen- und Kartenspielen und ließen so das Wochenende in heiterer und ausgelassener Atmosphäre ausklingen.
Vor der Abreise evaluierten die Teilnehmer und Leiter noch einmal die vergangenen Tage und die Vorträge. Die meisten Jugendlichen fanden die Vorträge zur Thematik der Sprache sehr informationsreich und wollen sich bemühen, das angeeignete Wissen auch in Zukunft umzusetzen, indem sie beispielweise mehr auf ihre Aussprache achten oder das Alphabet in der schriftlichen Kommunikation mit Assyrern stärker nutzen. Einige gaben sogar an, mit den erhaltenen Unterlagen vorhandene Texte umschreiben zu wollen. Die Jugendlichen sagten ferner, dass sie in diesem Themenbereich Aspekte wie die Grammatik, entsprechende Literatur in Surayt, die Erweiterung des eigenen Wortschatzes und die geschichtliche Entstehung und Herkunft unserer Sprache näher interessieren würden. Mit dieser größtenteils sehr positiven Evaluation der letzten Tage endete das AJA-Seminar mit der Verabschiedung der Teilnehmer.
Die AJA dankt Malfono BarAbraham für seinen lehrreichen und interessanten Vortrag und für seinen mehrtägigen Besuch der Veranstaltung. Außerdem bedankt sich die AJA bei allen Leitern und Teilnehmern des Seminars für ihre Mitgestaltung und für ihre Teilnahme an dem Seminar.
Miryam Aktas (Abraham)
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