Yakoub Afram ist voller Sorgen. Der Vorsitzende der Assyrischen Föderation in Schweden, der größten Interessenvertretung der Volksgruppe in Europa, beobachtet die derzeitige Situation im Irak sehr genau, telefoniert täglich mit den Betroffenen in seiner Heimat.
Assyrer ist die geläufigste Selbstbezeichnung der Christen im Norden Iraks und Syriens sowie im Südosten der Türkei. Sie gehören verschiedenen Kirchen an, haben jedoch als gemeinsames Idiom das Aramäische, eine altsemitische Sprache.
In Mossul gibt es bereits keine Christen mehr, da dort die Truppen der Gruppe Islamischer Staat (IS), eine Vereinigung radikaler Muslime, die Christen praktisch vertrieben hat. Vor dem Einmarsch der Amerikaner im Jahr 2003 lebten in der zweitgrößten Stadt des Landes 50 000 Christen. Seit dem 22. Juni wurde dort zum ersten Mal seit Jahrhunderten kein christlicher Gottesdienst mehr gehalten.
»Die meisten Flüchtenden aus Mossul kommen in die Ninive-Ebene, dort ist die Situation etwas besser«, erläutert Yakoub Afram. Die Region gilt als eine der letzten im Nahen Osten, in der Christen in der Anzahl dominieren. Die fruchtbare Ninive-Ebene gilt als Brotkammer des Irak, worauf freilich die im Norden ansässigen Kurden schon lange öffentlich Ansprüche anmeldeten.
Die Kurden nutzten die Konfliktsituation mit den IS-Truppen aus, um ihre eigene Position in der Ninive-Ebene zu stärken. Demnach hätten am 25. Juni kurdische Einheiten sunnitische Araber nahe der Stadt Al Hamdaniya, rund 30 Kilometer südöstlich von Mossul, angegriffen. Dort gingen bereits Gerüchte um, dass IS-Truppen die Stadt einnehmen würden, was eine Massenpanik unter den vornehmlich assyrischen Einwohnern auslöste.
Ziel der (vornehmlich sunnitischen) Kurden sei es, die Stadt Tigrit als südliche Grenze des autonomen Kurdengebietes zu etablieren. Seit dem 9. Juni, seit die irakischen Streitkräfte nach Süden geflohen sind, weht in allen Gegenden, wo Minderheiten leben und die Kurden militärisch dominieren, die kurdische Fahne. Teils hätten auch die Kurden Assyrer verhaftet und deportiert, so Afram. Afram glaubt, dass den Assyrern die Erlaubnis gegeben werden müsste, sich selbst zu bewaffnen. Es gab seit 2005 Anläufe, für die Bewohner der Region der Ninive-Ebene eine regionale Streitmacht in Bataillonsstärke zu etablieren. Auch das amerikanische »Joint Operation Center« war in den Beschluss mit einbezogen. Aber die Kurdische Regionalregierung sowie Vertreter der Demokratischen Partei Kurdistans hätten dies verhindert. Es existierten darum heute keine bewaffneten Gruppen auf Seiten der Assyrer, die ernsthaften Widerstand leisten können.
Die kurdische Okkupation würde zudem den Autonomiebestrebungen der Region zuwiderlaufen, die vor Kurzem umgesetzt werden sollten. Der irakische Ministerrat stimmte im Januar dafür, der Ninive-Ebene den Status einer Provinz zuzugestehen, um den Assyrern mehr Autonomie zu ermöglichen und sie zum Bleiben zu bewegen. Denn von den einst etwa 1,5 Millionen Christen im Irak sind seit dem zweiten Golfkrieg 2003 bereits mehr als eine Million geflohen.
Die Föderation in Schweden fordert deshalb eine »Fact-Finding-Mission«, die die Ereignisse um Al Hamdaniya untersucht, sowie eine internationale Unterstützung für mehr politische Selbstständigkeit der Bevölkerung der Ninive-Ebene.
Doch die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben droht aktuell von den IS-Truppen. Viele Assyrer sind deshalb nach Norden, nach Ankawa geflohen, einer vornehmlich von Assyrern bewohnten Vorstadt der kurdischen Metropole Arbil. Dort versucht sie Ignatius Joseph III., Patriarch der syrisch-katholischen Kirche zur Rückkehr zu motivieren.» Unser Überleben steht auf dem Spiel«, sagte der Geistliche kürzlich gegenüber dem schwedischen Staatsfernsehen. »Wir müssen darum mutig sein und uns verteidigen.«
Die Stadt schwillt von christlichen Flüchtlingen immer mehr an, die teilweise ohne Hab und Gut fliehen mussten. Ignatius Joseph III. sieht die Ursache für den militärischen Erfolg der Islamisten in der Finanzierung durch arabische Staaten. Der Westen kritisiere dies nur deshalb nicht so laut, da er das Öl dieser Staaten brauche, so der streitbare Geistliche.
Wer es sich von den verbliebenen Christen im Irak leisten kann, flieht in den Westen. Schweden fährt eine besonders großzügige Flüchtlingspolitik. Von den Assyrern kennt fast jeder die schwedische Stadt Södertälje, in der Mittelstadt sind bereits ein Drittel der Bevölkerung syrischer Herkunft. Das nordische Land wird so bald das Zentrum der orientalischen Christen sein, sollte sich die Regierung in Bagdad nicht behaupten können.
Jens Mattern
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