Kommentar von Abboud Zeitoune

Quo Vadis assyrische / aramäische Musik

Eine Einschätzung über die heutige assyrische Musik ist aufgrund der weltweiten Zerstreuung unseres Volkes schwer. Zumindest in Europa gibt es Tendenzen, die bezüglich der Beständigkeit der Musik besorgniserregend sind.

Die höchste Anzahl an Musikdarbietungen findet auf Hochzeiten statt. Hier kann man die Programme verschiedener Künstler beobachten. Aufgrund der hohen Anzahl an Hochzeiten (im Vergleich zu Feiern), ist die Reichweite an Zuhörern der dargebotenen Lieder größer.

Bei der Analyse vieler Hochzeiten fällt es mir schwer zu sagen, dass ich einer assyrischen Hochzeit beiwohne. In einem Fall (Wassim Hanna) wird der Eintritt des Brautpaares auf Kurdisch besungen. Dabei ist in jedem assyrischen Album mindestens ein „Brautlied“ vorhanden. Der Shekhani-Tanz wird auf arabischen Liedern getanzt (Wassim Hanna, Bassel Haggie, Sargon Daoud….) und Siskany, was irrtümlich als Kurmanji bezeichnet wird, auf Merdelli-Arabisch und Kurdisch. Dies alles unabhängig vom Freitanz, was auf Arabisch und Türkisch erfolgt. Nicht zuletzt ist noch der Chobiya-Tanz zu erwähnen, der selbstverständlich auf Arabisch-irakischen Liedern erfolgt. Nach so einem Programm frage ich mich: „Wo bleibt unsere Kultur und Tradition?“. Ein Großteil des Missstandes kann man vermeiden, in dem die Sänger sich mühen, anstatt andere Sprachen, die eigenen Lieder für die genannten Tänze zu singen.

Selbst für den Freitanz, welcher als arabische Domäne angesehen wird, ist es möglich, assyrische Lieder zu nehmen. Die Schuld an diesem Zustand sehe ich zum größten Teil bei unseren Sängern. Wo liegt das Problem, anstatt Kurdische, eigene Lieder für „Siskany“ zu nehmen? Häufig bekomme ich die Antwort, dass das Publikum dies wünsche. Bei näherem Betrachten merkt man jedoch, dass dies falsch ist. Die Tänzer wollen jeweils einen bestimmten Tanzrhythmus. Die Sprache, in der es gesungen wird, ist für die Tänzer zweitrangig. Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass unsere Jugend zukünftig nur ausländische Lieder hören bzw. lieben wird. Daran sind nur die Artisten Schuld. Diese verstehen nicht, dass seitens der Tänzer mehr auf die Rhythmen als auf die Sprache geachtet wird. Für die Sänger bedeutet die Aufforderung „Kurmanji“ gleich, auf Kurdisch zu singen.

Abboud Zeitoune - Quo Vadis assyrische Musik - SängerEin weiterer Aspekt ist die Zeit, die unsere Artisten zum Erlernen dieser fremden Lieder aufbringen. Anstatt sich die Mühe zu machen indisch und griechisch in das Programm aufzunehmen, wäre es aus meiner Sicht viel besser, diese Zeit in der Erlernung der eigenen Sprache und Musik zu verbringen. Mittlerweile existieren über 20.000 Lieder auf unserer Sprache und diese beinhalten alle möglichen Rhythmen. Daher ist es ein leichtes Spiel aus diesem Topf einen bunten Strauß zu basteln und diesen dann zu präsentieren. Bei einer Anmoderation auf SuryoyoSat zum Beispiel wird Josef Özer als Superstar angekündigt, weil er in fünf Sprachen singt. Die Hälfte der Feier singt er dann auf Türkisch. Wo bleibt der so beschworene Patriotismus unserer Sender, wenn es um Liveauftritte geht. Teilweise wird den Sängern der andere Dialekt verboten, während für Türkisch und Arabisch genug Platz da ist. Ich war blauäugig zu glauben, dass Zensur in Europa kein Platz hat.

Unsere Sänger sind auch in folgender Hinsicht etwas verlogen. Vor laufender Kamera sind sie alle „Shamoshe“ (Messdiener), die ihre Sprache beherrschen und beschützen. Auf der Bühne jedoch, wird dann nur zehn Prozent in dieser gesungen.

Einen weiteren Schritt zur Zerstörung unseres Musikerbes sehe ich in der Herausgabe von neuem fremdsprachigen Material. So hat man über fünf Jahre voller Vorfreude auf das neue Album von Pascal gewartet. Es wurde dann ein komplett arabisches Album präsentiert. Was hätte dagegen gesprochen, die ausgewählten Melodien in unserer Sprache aufzunehmen? Denkt sich ein Pascal wirklich, dass die Arabischen TV-Sender auf sein Album anspringen und er dort über Nacht zum Superstar wird? Ich glaube kaum.

Eine weitere Hoffnung war für mich Fadi Karat. Was er fertiggebracht hat, ist ein Verbrechen an unserer Musik und Sprache. „Akh Yade Yade“ ist erstens auf Arabisch und die Melodie wurde von einem kurdischen Lied „gestohlen“. Dies gilt genau so für sein zweites Lied „Denie Shete“. Die Liste der Sänger mit arabischen Touch kann ich noch weiterführen (Sargon Daoud, Rami Adam etc.). Wie bereits erwähnt, wäre unserer Kultur (und Sprache) ein wenig geholfen, wenn zumindest die Texte auf Aramäisch wären. Mir ist auch bewusst, dass wir kaum gute Komponisten haben, die etwas aus unserer Tradition produzieren. Aber wenn unsere Sänger aus andern Kulturen etwas Musikalisches übernehmen, dann sollen Sie wenigstens unsere Sprache bewahren. Dies macht zum Beispiel ein Ishok Yakub, der türkische Melodien nimmt, aber dafür stets die eigene Sprache nutzt. Er hat auch eine große Fangemeinde. Obwohl ich kein Befürworter dieser Praxis bin, ist dies jedoch das bessere Übel.

Atemberaubend ist diesem Zusammenhang ist Juliana Jendo, die es fertigbringt in einem Lied gleich in 6 Sprachen zu singen (Album Golden Tunes). Sie und Linda George haben ebenfalls versucht, auf Arabisch weiterzukommen, doch sie mussten schnell feststellen, dass dies nicht funktioniert.

Zum Schluss möchte ich auf die Vorbildfunktion und Verantwortung, die unsere Sänger tragen, hinweisen. Die Wiederbelebung unserer Musik (und Sprache) war maßgeblich durch die Pionierarbeit von Legenden wie Habib Mousa, Jalil Maailo, Evlin Daoud oder Nineb A. Lahdo möglich. Habib Mousa wurden Anfang der 70er-Jahre Auftritte im libanesischen Fernsehen versprochen, wenn er Arabisch gesungen hätte. Er hatte dies abgelehnt und wollte nur in seiner Sprache singen. Solche vorbildhafte Beispiele fehlen leider in diesen Tagen. Daher appelliere ich an unser Musiker und insbesondere Sänger, sich Ihrer Verantwortung bewusst zu sein und am Prozess der Entwicklung unserer Kultur teilzunehmen – nicht an ihrer Vernichtung.

In diesem Artikel habe ich bewusst Namen von Sängern genannt, damit diese sich (hoffentlich) angesprochen fühlen. Gleichzeitig gilt mein Appell an die Zuhörer und Fans unserer Musiker, sich der Bewahrung unserer Kultur bewusst zu sein.

Dieser Artikel ist für uns als Anstoß zu verstehen. Es gibt viele Facetten in diesem Zusammenhang, die näher betrachtet und analysiert werden sollten.

Von Abboud Zeitoune

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