Das Theaterspielen war seit der Gründung des Mesopotamien Vereins ein fester Bestandteil der kulturellen Arbeit. Zu Beginn spielte man nur auf Vereinsveranstaltungen selbstgeschriebene Stücke über unsere Kultur und Gebräuche, über die Situation in der Heimat und innergesellschaftliche Themen, um sie der in der Diaspora heranwachsenden Generation näher zu bringen. Nicht zu vergessen sind auch die einzelnen von Jung und Alt sehr geliebten Sketche, die den meisten Besuchern der kulturellen Veranstaltungen durch den Witz, den sie vermittelten, gut in Erinnerung blieben.
Auf dem La Piazza Festival der Stadt Augsburg im Jahre 1990 entstand in einem Gespräch zwischen dem Leiter der Kreßlesmühle Herrn Hans Ruile und der Gründerin des New Yorker La Mama Theaters Ellen Stewart die Idee, die Projekte um die sozialen Belange der Ausländer in der Kreßlesmühle in dem Theaterfestival La Piazza einzubinden. Als sie dann erfuhr, dass in Augsburg eine Gruppe von Assyrern lebt, kam sie auf die Idee, dass mit ihnen das Gilgamesch Epos erarbeiten sollte. Auf der Suche nach Theaterleuten, die mit anderen Kulturen und fremdartigen Überlieferungen umzugehen vermochten, stieß man auf das Meta Theater.
Nach dreijähriger mühevoller Arbeit konnten die assyrischen Laiendarsteller die Premiere des Gilgamesch während La Piazza im Jahre 1993 in Augsburg aufführen. Das Gilgamesch Epos ist ein Zeugnis der Hochkulturen von Assyrern und Babyloniern, es erzählt die Geschichte des sagenumwobenen Königs von Uruk, von seinen Heldentaten, dem Mauerbau von Uruk, von Freundschaft, Tod und Leid, und vor allem von der Suche nach der Unsterblichkeit. Die Sintflutgeschichte des Alten Testaments basiert auf den Gilgamesch Epos, wobei Utnapischtim, den Gilgamesch um Rat nach der Unsterblichkeit bittet, der biblische Noah ist.
Das Theaterprojekt ist erarbeitet und angeleitet worden von Ulrike Döpfer und Axel Tangerding vom Meta Theater. Für die musikalische Begleitung sorgte Edgar Hofmann, der mit seinen Instrumenten weite Landschaften, bizarre Klänge und die Stimmen von Ungeheuern entstehen ließ. Zu den Darstellern gehören Afrem Akcan, Gevriye Bakac, Feride Alp, Cano Alp, Sonja Sahin, Endravos Turgay, Anvar Araz, Gebro Aydin und Ninos Aydin. Es wird zweisprachig, teils deutsch und teils assyrisch, aufgeführt.
Gilgamesch war so ein großer Erfolg, dass man es in verschieden Städten in Deutschland und sogar im europäischem Ausland spielen konnte. Zu nennen sind:
Juli 1993 | Augsburg beim La Piazza Festival |
Juli 1993 | Meta Theater Moosach |
Juli 1993 | Muffathalle München |
September 1994 | Nürnberg |
September 1995 | Waldorfschule Augsburg |
Sebtember 1995 | Waldorfschule Augsburg |
Oktober 1995 | Kammerspiele Magdeburg |
Oktober 1995 | Theaterfestival Hof |
August 1996 | Theatron Olympiapark München |
Januar 1997 | Pavillon Hannover |
Juni 1997 | Abraxas Augsburg |
August 1998 | Veranstaltungshalle Gießen |
September 1998 | Assyrisches Zentrum Wiesbaden |
Januar 1999 | Rotebühl Stuttgart etc. |
Nach der erfolgreichen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem Meta-Theater und dem Mesopotamien Verein begann man sich nun einem neuen Theaterprojekt zu widmen. Es war Babylon, das auf den Schöpfungsmythos des Enuma Elisch basiert. Babylon konnte im 20 jährigen Vereinsjubiläum 1998 in der Waldorfschule zum ersten Mal aufgeführt werden.
Die Geschichte ist klassisch: Die Helden sind Götter, archaische Götter. Im Zentrum des Epos steht ihre Familiengeschichte, die sich hoch dramatisch durchs anfängliche Chaos auf dessen Verwandlung zu bewegt, auf dessen Verwandlung namens Welt. Ziel des Enuma Elisch war es, die Rechtfertigung der Rolle des Gottes Marduk, des eigentlichen Helden der Geschichte, als Hauptgott zu bestätigen. Er ist es, der den Kampf mit Tiamat führt und nach dem Sieg nun allen Göttern ihren endgültigen Herrschaftsbereich und den Gestirnen ihren Lauf weist. Nachdem nun die Welt eingerichtet ist, erschafft Marduk, nach dem Plan seines Vaters Ea, den Menschen. Zweck der Menschenschöpfung ist es, dass die Götter durch eine ihnen dienstbare Menschheit ernährt und versorgt werden und selbst keine Arbeit frönen müssen. Als Abschluss wird das Neujahrsfest gefeiert, das heute noch von den Assyrern am 01. April gefeiert wird.
Die Regie führte Axel Tangerding, die Dramaturgie Nicole Wiedinger und für die Live-Musik sorgte wiederum Edgar Hofmann. Die Darsteller sind diesmal, Anvar Araz, Antoninos Araz, Amno Aktas, Fehmi Ergin, Nahrin Aktas, Chamoun Kourie, Gilgamesch Naramsin Kourie, Sonja Sahin, Amanuel Jelo, Eliyo Makko, Gebro Aydin, Elizabet Demir und Endravos Turgay.
Babylon wurde ebenfalls in verschiedenen Orten aufgeführt:
Oktober 1998 | Waldorfschule Augsburg |
November 1998 | Kleine Komödie Augsburg |
Februar 1999 | Abraxas Augsburg |
Juni 1999 | Wiesbaden |
Juni 1999 | Meta Theater Moosbach |
August 1999 | Festival d’Estate, Spoleto bei Rom, Italien |
September 1999 | Passinger Fabrik München |
Oktober 1999 | 3. Multikulturelles – Festival München |
Oktober 1999 | ANDER ART München |
November 1999 | Pavillon Hannover |
Januar 2000 | Black-Box, München-Gasteig |
April 2000 | Dornbirn, Österreich |
Juni 2000 | Haus der Begegnung Wien |
September 2000 | Theaterfestival Radebeul |
Oktober 2000 | Rathaus Vaterstetten |
November 2000 | Tafelhalle Nürnberg |
Mai 2001 | Frankfurt |
Februar 2002 | München |
Was seit 2002 als Nachfolgeprojekt der interkulturellen Theaterproduktionen „Gilgamesch“ und „Babylon“ des Meta- Theaters und des Mesopotamien Vereins auf den Weg gebracht werden soll, ist diesmal ein über die ganze Stadt gespanntes interkulturelles, interreligiöses, soziokulturelles Netzwerk und soziales Gesamtkunstwerk von dem Mythos der Göttin und Dämonin Lilith, die sowohl im Alten Orient bei den Sumerern und Assyrern, als auch in Bräuchen und alten Ritualen im Judentum, Christentum und Islam eine wichtige Rolle spielt und in der bildenden Kunst, Theater und der Literatur der Moderne, im Feminismus, in den unterschiedlichen Weltanschauungen und in den unterschiedlichen Religionen, in der Geschichte des Wandels der Geschlechterrollen und weltweit in den Popkulturen der Comic-, Fantasy- und Internetwelt von äußerst überraschender Lebendigkeit ist.
Ebenso überraschend war das große Interesse der vielen Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster religiöser, ethnischer, kultureller, sozialer, pädagogischer, geschlechtsspezifischer und politischer Institutionen beim ersten Treffen zum interkulturellen Netzwerkprojekt Lilith. Mit einer kleinen Vortragsreihe, die ein kultur- und religionsgeschichtliches Panorama des Alten Mesopotamiens, dessen Einfluss auf die Bücher des Alten Testaments vermittelt und die Entstehung des Monotheismus mit seinen spirituellen, politischen und kulturellen Implikationen bis heute aufzeigt, möchten die Initiatoren von Lilith das kulturhistorische Fundament und den aktuellen Impuls zur Entwicklung eines offenen Netzwerks Lilith liefern, das die inhaltliche Projektionsfläche und die sozial-kulturelle Basis für ein Theaterprojekt sein könnten, an dem die unterschiedlichen ethnischen, religiösen und kulturellen Gruppierungen Augsburgs mitwirken.
Ein Netzwerk, bei dem im Dialog zwischen den Kulturen, Religionen und Geschlechtern im großen historischen Kontext der Geschichte von Orient und Okzident die Vielfalt, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die Gräben und die Brücken, das Miteinander und die Integrationswirklichkeiten der heutigen komplexen Stadtgesellschaft im Zeitalter der Globalisierung spürbar, erkennbar und verständlich werden.
Zu diesem Projekt fanden bisher mehrere Treffen im Mesopotamien Verein statt, auch eine Vortragsreihe wurde abgehalten. Als Referenten sind folgende namhafte Wissenschaftler aufgetreten.
Prof. Dr. Dietz Otto Edzard:
„Sumer und Akkad – Assur und Babylon-Nachrichten aus dem Alten Mesopotamien“
Prof. Dr. Erhard S. Gerstenberger:
„Der monotheistische Neuanfang – Babylonier, Perser und Juden zwischen Euphrat und Tigris“
Dr. Gerdien Jonker:
„Die Topographie der Erinnerung: Der Umgang mit der Erinnerung im Alten Mesopotamien und sein Einfluss auf die Bücher des Alten Testaments“
Dr. Dr. Martha Haussperger:
„Medizin im Alten Mesopotamien“
Es ist zu erwarten, dass dieses interkulturelle Projekt, vor allem auch als Theateraufführung mit unterschiedlichen Ethnien, eine ebenso große Resonanz geniessen wird, wie es bei den Vorgängerprojekten Gilgamesch und Babylon der Fall war.